Fortsetzung der Diskussion von Der Politik- und Gesellschafts-Thread (Teil 2) - #3123 von Ibiza.
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Fortsetzung der Diskussion von Der Politik- und Gesellschafts-Thread (Teil 2) - #3123 von Ibiza.
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Das Recht auf Asyl teilweise aussetzen bis die verloren gegangene Kontrolle über die eigene Grenze wieder hergestellt ist.
Das wurde unlängst von Friedrich Merz gefordert und sorgte in Teilen Deutschlands für Zustimmung, in anderen Teilen für Empörung.
Aktuell vernimmt man aus Polen identische Aussagen. Vor einem Jahr hätte das wohl niemanden verwundert, denn da regierte noch die PiS-Partei. Die aktuellen Aussagen stammen allerdings vom ehemaligen EU-Spitzenpolitiker und aktuellen Regierungschef Donald Tusk, also eigentlich einem überzeugten Europäer, bei dessen Ernennung vor ca. 1 Jahr fast ganz Europa lauthals gejubelt hat.
Tusks Begründung ist mMn sehr interessant und auch nachvollziehbar. Er wirft Putin und Lukaschenko , den Diktatoren der polnischen Nachbarländer vor, dass sie bewusst Menschen (vor allem junge Männer) aus islamischen Ländern an die Grenze transportieren, um die Demokratien in der EU zu destabilisieren.
Diese illegale Immigration muss seiner Meinung nach begrenzt werden.
Polen wird wahrscheinlich auch deswegen aktiv, weil die deutschen Grenzkontrollen an der gemeinsamen Grenze sich negativ auf die einheimische Wirtschaft auswirken. Polen als Exportnation ist von solchen Maßnahmen natürlich stark betroffen. Der Grund für die Grenzkontrollen von deutscher Seite ist es, die Migration mit dem Ziel Deutschland einzugrenzen. In Polen sieht man diese Kontrollen zwar eigentlich als Verstoß gegen EU-Recht aber man ist auch überzeugt davon, dass man Deutschland nur dazu bringen kann, die Grenzkontrollen aufzuheben, wenn keine Migranten mehr nach Polen kommen, weil diese dann zwangsläufig auch nicht nach Deutschland weiterreisen können.
In Polen sieht man in weiten Kreisen der Politik die deutsche Asylpolitik als großes Problem an, denn man ist der Meinung, dass Deutschland hier einige Fehler macht. Folgende Vorwürfe werden dabei immer wieder geäußert:
Es sei ein Verstoß gegen internationales Recht, wenn Deutschland Menschen, die keinen Anspruch auf eine Anerkennung als Flüchtling haben, nicht abschiebt. Außerdem gelten auch in Polen die großzügigen Sozial- und Finanzleistungen, die in Deutschland an Migranten (sogar an Ausreisepflichtige) verteilt werden, geradezu als Magnet. So wird es Putin und Lukaschenko extrem leicht gemacht, „Nachschub“ für ihre Pläne zu finden.
Es wird interessant zu beobachten sein, inwieweit Tusk das durchsetzen kann. Wie stark wird der Protest innerhalb der Koalition sein, die ja aus einer sehr breiten Front an Parteien besteht, die eigentlich nur durch das Ziel der Verhinderung einer weiteren PiS-Regierung zusammenkam. Hier dürften die linksgerichteten Parteien nicht begeistert sein, von seinem geplanten Vorgehen.
Interessant wird auch sein, wie sich die EU äußert. Tusk hat geäußert, dass er von den Institutionen der EU eine Anerkennung seines Vorgehens erwartet. Einige Experten vermuten, dass er seine Ankündigungen nicht gemacht hat, ohne vorher Konsultationen mit Brüssel gemacht zu haben. Tusk ist in der EU aufgrund seiner Vorgeschichte als Vorsitzender des Europäischen Rates gut vernetzt. Seine PO gehört der Parteienfamilie der Europäischen Volksparteien an und da dürften viele seine Idee gut finden, wie wir ja zuletzt auch vom Vorsitzenden der größten Fraktion innerhalb der Europäischen Volksparteien vernommen haben.
wieder einmal eine grandiose Folge
Ja - am Ende sind die Moderatoren schuld daran, dass Afd, BSW, CDU/CSU und die FDP ohne Konsequezen Halbwahrheiten und Lügen verbreiten können.
Sie sind entweder diesen Talkingpoints auf den Leim gegangen, vertreten dieselbe Ideologie oder sie sind absolut uninformiert und unvorbereitet - oder eine Kombination von alledem.
Allein diese Formate - in denen Argumente nicht mehr zählen sondern die Sympathie der Moderatoren, Durchsetzungskraft (aka wer ist lauter) und mindestens im Fall von Lanz das Geschlecht und Parteizugehörigkeit - sind schon lang nicht mehr für Aufklärung zu gebrauchen.
Sie sind Sympathiewettbewerbe und Profilierungssendungen für Besucher von Rhetorikseminaren.
Es mag vlt einen Faktencheck nach den Sendungen geben - die schaut sich aber keiner an sodass Woche um Woche Lügen und Propaganda ohne Contra verbreitet werden sofern kein Experte in der Sendung vorhanden ist der dem widerspricht.
Diese kommen dabei auch kaum zu Wort, da sie aus Höflichkeit seltener unterbrechen und selbst ungleich häufiger von den anderen Gästen und Moderatoren unterbrochen werden.
So haben die Talkshows rechtes Gedankengut nicht nur salonfähig gemacht sondern wie ein Strohfeuer verbreitet - bei dem Wähler und anderen Parteien.
Merz bspw. war mal ne Lachnummer im Deutschen Fernsehen und heute wird er gefühlt täglich in Talkshows und den Nachrichten zugeschalten.
Chrupalla und Weidel werden immer öfter eingeladen und bekommen bestenfalls halbherzige Kritik - Warum? Weil CDU/CSU, BSW und FDP ihre Talkingpoints übernommen haben und sie dafür keine wirksame Kritik oder Konsequezen fürchten müssen und mussten.
Die deutschen Medien haben im Kampf gegen den Rechtsextremismus auf ganzer Linie versagt und am Ende ist der dumme Wähler oder DIE GRÜNEN schuld.
Ja, sie sind nicht unschuldig.
Über die Wähler gab es bereits lang und breit Diskussionen in diesem Forum und an der Politik der Ampel sind die Grünen natürlich beteiligt.
Aber schlussendlich ist es dieses neoliberale Mindset, dass diese Situation zugelassen hat.
Ein Mindset, dass eine False Balance immer wieder zulässt, jegliche progressive Veränderungen prinzipiell abwehrt und reaktionären Ablenkungstaktiken nicht in Frage stellt.
Fulminante Reden der Laudatorin Irina Scherbakowa (Memorial) und der Preisträgerin Anne Applebaum („Die Achse der Autokraten“) zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.
Ein Aufstand des Volkes…???
Mit Verlaub, das ist völlig utopisch und spricht nicht dafür, dass du russische Verhältnisse korrekt wahrnimmst.
Und es geht eben gerade nicht um Gottvertrauen, sondern um logisches Denken. Und dies gebietet, sich nicht in emotionale Trigger von Putins Propaganda einzuwickeln, sondern nüchtern zu analysieren, welche Gründe Putin haben sollte, plötzlich irrational zu agieren. Es ist wichtig, das zu begreifen: seine Denk- und Handlungsweise über die Jahre wurde ausführlich nachgezeichnet, alle Einflüsse aufgezählt, und daraus ergibt sich ein klares Bild, das sehr viel mit seiner Vergangenheit als Agent zu tun hat - aber es ist keinesfalls irrational. Sein Weltbild mag auf uns so wirken, aber gemäß seiner Prägungen ist es durchaus, so absurd es sein mag, geistig nachzuvollziehen.
Natürlich wird er nicht ruhig vorgehen, sollte er seine Ziele nicht erreichen, und natürlich wird man die komplexe Gemengelage rund um die Kreml-Struktur berücksichtigen und analysieren müssen. Was übrigens Sieg oder Niederlage genannt werden darf, darüber werden sich die Lager eh nie einig sein. Sollte irgendwann die Ukraine (und mit ihr der Westen) der Meinung sein, dass man zu Verhandlungen bereit sei, weil man sich als Sieger fühlt, wird Putin in jedem Fall ein gegensätzliches Narrativ hervorzaubern und es seinem Volk ins Hirn pfriemeln.
Dass er ein Autokrat ist und kein Demokrat, macht ihn nicht weniger oder mehr vorhersehbar, auch Autokraten wollen überleben und ihre Macht sichern, diesbezüglich ist der Autokrat sogar durchschaubarer.
Nochmal mit Verlaub, aber du weißt nicht, wie militärisch bewandert ich bin.
Und bitte, wer treibt Putin in die Enge???
Genau solche Mär von der ach so bedrohten russischen Seele ist sein Propaganda-Arsenal. Putin ist der Aggressor, Punkt. Ihn zurückzudrängen, ist nicht, ihn in die Enge zu treiben, und wenn du Angst hast, dass er wie ein kleines Kind agiert, fällst du genau in diese Falle, wie ich sie im obigen Post skizziert habe, weil du Putin zugestehst, dass ER das Narrativ bestimmt.
Und im Ergebnis stünde dann konsequent, dass eine Atommacht sich holen kann, was sie will, das ist reine Logik.
Du ignorierst vollkommen die Realität, wie ich sie oben dargestellt habe. Die liberalen Demokratien kämpfen gegen Autokratien, weltweit und nicht nur auf militärischem Gebiet. Hier geht es um Destabilisierung, Desinformation etc.
Die Autokratien wissen das und handeln entsprechend. Falls es dich noch wundert, warum China so wenig Druck auf Russland macht, der Iran Waffen liefert, und Nordkorea sogar bald Soldaten.
Das von dir geschilderte Szenario ist in meinen Augen gefährlich weltfremd. Damit bestätigst du nur die Schwäche, die Demokratien in den Augen der Autokraten haben.
Und was ich persönlich am schlimmsten finde:
Es scheint dir gar nicht in den Sinn zu kommen, was ein positives Ergebnis bezüglich Ukraine für genau diese Ukraine bedeuten würde. Wäre es für dich denn moralisch (im Sinne einer universalistischen Moral) vertretbar, dass die Umsiedlungen, die Zerstörung von Familien und alles weitere, was da dranhängt, der nötige Preis dafür sein sollen, dass unsereins weiter seine ruhige Kugel schieben kann und der Illusion eines „Friedens“ nachhängen kann?
Da bin ich echt sprachlos. Ich dachte nicht, dass ich mit der Wagenknecht spreche.
Im Ernst, oder um mit John McEnroe zu sprechen:
You can’t be serious!
Reden wir jetzt echt noch der Propaganda hinterher, dass die böse NATO ständig Staaten zwingt, sich unfrei dafür zu entscheiden, welchem Bündnis sie beitreten wollen?
Und du denkst, jetzt wäre der Zeitpunkt, um über den Handelspartner Russland nachzudenken?
Wow.
Das Fass möchte ich jetzt echt nicht auch noch aufmachen, ich muss erst mal verdauen, was du bisher so geschrieben hast.
Nur soviel:
Ich verstehe den Sinn hinter deinem Vergleich zweier völlig anders gearteter Konflikte nicht. Übereinstimmungen in Detailfragen gibt es immer.
Was jetzt sicher erscheint, kann in ein paar Wochen schon ganz anders sein. Wie weit kam Prigoschin im Juli 2023 gleich noch mal innerhalb von ein paar Stunden? In einer Sache kann man sich sicher sein: explodieren NATO-Waffen in ukrainischem Besitz auf russischem Boden ist jegliche Planung und Analyse mMn Schall und Rauch, denn dann haben wir ein Szenario, das man so nicht vorhersehen kann, egal wie gut man sich vorher mit Putin, seiner Vergangenheit und seinem Weltbild beschäftigt haben mag. Und in so einem Fall kann ziemlich viel passieren.
vielleicht mehr als ich. Mit ehemaligen Mitgliedern des NATO-Generalstabes wirst du es aber wohl auch nicht aufnehmen können und da vertreten nicht alle die Meinung, dass Putin berechenbar ist. Helmut W. Ganser, Brigadegeneral a.D., hat u.a. im Verteidigungsministerium und in den deutschen Vertretungen bei der Nato und den Vereinten Nationen gearbeitet und hält die Gefahr eines Atomschlages für durchaus gegeben. (@anon62001792 : ich hoffe dass ich dadurch nicht mehr nur im subjektiven Raum unterwegs bin wenn ich solche Leute zitiere)
aus unserer Sicht niemand. Aus seiner Sicht? Könnte der Einschlag von Raketen in Russland, wie Selenskij das ja ziemlich klar in seinem Siegesplan ankündigt, nicht so ein Gefühl erzeugen?
Eine autokratische Atommacht muss man ggf. mit anderen Maßstäben betrachten. Nur weil die Sowjets es in Afghanistan nicht gemacht haben, schließt das für mich gar nichts aus. Vielleicht war ihnen damals Afghanistan auch einfach viel weniger wichtig als die Ukraine?
Dass Autokratien kein Interesse daran haben, dass Demokratien weiter wachsen und prosperieren und ihnen somit „in die Suppe spucken könnten“, steht außer Frage. Die Motivation hierfür ist ihr Machterhalt und das funktioniert besser, wenn es beim Gegner nicht so funktioniert. Paradoxerweise war der Kalte Krieg aber am wenigsten gefährlich, als die beiden Supermächte den jeweiligen Feind in seiner jeweiligen Hemisphäre walten ließen.
Auch wenn du das nicht wahrhaben möchtest. Eine solche Entwicklung würde spätestens ein halbes Jahr in weiten Teilen der Bevölkerung vergessen sein, vor allem wenn die Wirtschaft dann wachsen sollte und die Menschen mehr im Geldbeutel haben.
Wow. Bewusste Verzerrung nenne ich so etwas.
Du stellst dich breit hin und faselst in deiner Selbstüberzeugung mit deinem militärischen Know-How, dass Putin im Falle eines Erfolges quasi schon die Truppen von der Siegesparade in Richtung Baltikum auf den Weg schickt und reagierst dann bei einer anderen Sichtweise gleich so pampig.
Ich habe nicht gesagt, dass der Westen sofort alles auf Null stellen sollte und mit Russland auf Kuschelkurs geht. „Wladi, das war nicht ok, aber können wir bitte wieder Gas haben. Und versprich uns, dass das ein Ausrutscher war.“ genau das habe ich weiter oben geschrieben, oder?
Ich habe lediglich Optionen skizziert, die Putin reichen könnten. Aber nein, es muss ja gleich die Maximaleskalation sein: heute Ukraine, morgen Baltikum, übermorgen Berlin. Ich dachte der Mann ist so rational?
Der Vergleich USA/ Israel ging übrigens aus einer Antwort an mags hervor, in der ich zum Ausdruck brachte, dass man an Israel keine anderen Maßstäbe anlegen sollte, als an andere Partner und da kam mir zufällig die Art und Weise der Kriegsführung der USA im Kampf gegen Terroristen in den Sinn, die mMn genau der gleichen Logik folgt: Hauptsache die Terroristen sind tot. Wir versuchen Zivilisten zu schonen, aber das wird nicht immer klappen.
Da Hallo Leute, vielen, vielen Dank für eure Antworten. Da sind ein paar wirklich gute Zitate dabei, die mir Anstoß zum Nachdenken geben.
Okay, da habe ich überzogen und dich bewusst missinterpretiert. Dafür ein Sorry. Inhaltlich bleibe ich allerdings dabei, dass du bewusst oder unbewusst Narrative benutzt, die allesamt Putins Propaganda dienen.
Ich finde das gegenüber der Ukraine ehrlich gesagt als unangebracht zynisch. Und nochmal: du ignorierst weiterhin, dass Putins Weltbild und weiteres Vorgehen soweit klar ist, dass es eine vollkommene Wiederherstellung des früheren Russland anstrebt, oder du bist anderer Meinung, aber das verstehe ich einfach nicht. Du scheinst nicht daran zu glauben, dass es hier um einen größeren Konflikt geht, nämlich eben darum, die liberalen Demokratien von der Dominanz (militärisch, wirtschaftlich, moralisch etc.) aller Nationen abzulösen - und Putin ist sogar der kleinere Fisch. Also warum zum Geier sollte er aufhören? Das hat mit Maximaleskalation nichts zu tun, das ist eine ganz offensichtliche (und rational nachvollziehbare) Strategie, die der Westen unbedingt verstehen und anerkennen muss, um angemessen darauf reagieren zu können.
Die Motivation ist eben mehr als nur der Machterhalt. Die Motivation ist die Ablösung bisher dominanter Lebens- und Staatsentwürfe.
Ich habe nicht behauptet, dass Putin berechenbar ist, zumindest nicht insofern, dass ich mir anmaßen würde, jederzeit jede Handlung/Entwicklung eines Menschen vorhersagen zu können. Das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist die Alternative, die rein logisch daraus folgt, wenn man sich einem möglicherweise irrationalen Verhaltens grundsätzlich beugt, sobald die Waffe nur bedrohlich genug ist. Und zu dieser Logik hast du nach wie vor nichts gesagt!
Ich persönlich und als Deutscher möchte nicht in einer Welt leben, in der das Recht des (diesbezüglich) Stärkeren wieder die Weltpolitik prägt. Für mich geht da auch Freiheit vor Sicherheit. Und ich weiß sehr gut, dass man das auch anders sieht. Aber ich halte das für falsch und kurzsichtig.
Zu deinen Experten-Meinungen:
Es handelt sich hier nicht um Quantenphysik. Außen- und Militärpolitik und speziell die Abschreckungsdoktrin war im Studium mein Fachgebiet, und wenn der einzelne Herr Brigadegeneral in diesem Falle meine Meinung nicht teilt, sondern auch aus Angst vor dem Atomkrieg vor Autokraten zu Kreuze kriechen will anstatt ihnen frühzeitig die Grenzen des Machbaren aufzuzeigen, dann habe ich schon das Selbstbewusstsein, diesem General zu sagen, dass er sich erstens unter Militärexperten eher in der Minderheit befindet, soweit ich die Veröffentlichungen überblicke, und zweitens, dass er da meiner Meinung nach einfach komplett falsch liegt.
Damit wir uns nicht falsch verstehen:
Natürlich befinden wir uns in einer gefährlichen Lage. Aber das bereits, seit das Wissen um den Bau einer Atombombe existiert! Offenbar konnten das verwöhnte Europäer 50 Jahre lang ignorieren. Da du den „irren Ivan“ zitiert hast, zitiere ich mal eine andere Tom Clancy-Verfilmung: Nicht die vielen Atomwaffen im Besitz von Staaten (und seien sie noch so schurkisch) machen Sorgen - der EINE mit der geklauten EINEN Bombe macht Sorgen!
Die Frage, wie wir mit dieser Bedrohung umgehen, ist lohnend und anstrengend, aber nochmal:
Deine Lösung, die letztlich auf Appeasement gegenüber perfiden Autokratie-Strategien hinausläuft, halte ich, selbstüberzeugt wie ich bin, für falsch und letztlich inakzeptabel.
Mit solchen Sätzen triggerst du hoffentlich unabsichtlich meine Nerven. Ist das alles, was den Menschen interessiert? Seine Ruhe haben, Kohle scheffeln? Dann sollen andere Länder/Menschen halt leiden, überfallen werden, whatever? Und komm mir jetzt nicht mit einem nüchternen so sind die Menschen halt. Es existieren für manche auch noch andere Werte. Und so wie’s bisher aussieht, sind zumindest ne Menge Ukrainer bereit, für diese Werte zu kämpfen. Ich halte so eine Haltung, wie du sie im Zitat ansprichst, nach wie vor für höchst zynisch - und nicht mal zutreffend.
EDIT:
„Ich halte so eine Haltung…“ -
Meine Ausdrucksweise nähert sich dem Niveau von Siebenjährigen .
Mein lieber @willythegreat, ich beuge mich heute der späten Stunde, und für den Moment let’s agree o disagree.
Nichts für ungut insgesamt, ich schätze solche Debatten grundsätzlich und finde sie noch total im Rahmen, und ich würde sie nicht führen, würde ich meinen Kontrapart nicht schätzen.
Durchaus nicht, danke!
Tatsächlich würde ich es auch nicht komplett ausschließen wollen, dass es einen Point of no return gibt, an dem Putin zum äußersten greifen würde, wenn er seine Ziele im Zeitraum seiner eigenen Lebensspanne als unerreichbar ansieht.
Allerdings lehne ich persönlich jedes Einknicken oder gar kooperieren mit Putinrussland strickt ab. Der Preis in Bezug auf die Freiheit in der Welt ist einfach zu groß.
Man könnte sogar weiter gehen und Rassismus, Diskriminierung, Homophobie, usw. usw. dazunehmen.
Nur wären dann nicht dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet.
Einem Politiker könnte es gleich gehen wie mir. Eine ungeschickt gestellte Frage, kann von politischen Gegnern so lange durch die Presse gejagt werden, bis er seinen Posten räumen muss.
Ich sehe da einen sehr schmalen Grad und halte das für sehr gefährlich.
Du bist allerdings hier nicht gejagt worden.
Nein, bin ich nicht.
Ich wollte sagen, dass eine unbedachte Äußerung ganz anders interpretiert werden kann, als sie gemeint war.
In diesem Fall habe ich sogar sehr davon profitiert. Wer weiß, ob ich sonst so viele interessante Antworten erhalten hätte.
Danke, ja, genau richtig.
Die Logik der Abschreckung, das „Auf einem Massengrab kann man keine Siegesfeiern veranstalten“, das „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter“ funktioniert nur, wenn auch der Erste nicht sterben will.
Putin weiß, dass, wenn er den Knopf drückt – und ich spreche hier nur von einem strategischen Erstschlag gegen den Westen, nicht von so etwas wie einem taktischen Einsatz einer Atombombe über der Ostsee oder dem Schwarzen Meer zur Einschüchterung des Westens, das wäre noch einmal anders zu bewerten –, 60 Minuten später auch Moskau und St. Petersburg zu nuklearer Asche reduziert sind.
Aber was ist, wenn Putin das egal ist?
Was, wenn Putin aus irgendwelchen Gründen egal ist, was mit Russland (und der Welt) passiert, wenn er die Bombe zündet, wenn ihm sogar egal ist, was mit ihm persönlich passiert? Was, wenn Putin, konfrontiert mit einer vernichtenden Niederlage in der Ukraine oder wenn bei ihm irgendwelche anderen Triggerpunkte erreicht sind, bereit ist, eine Art „nuklearen Seppuku“ durchzuführen? Abtreten, aber Abtreten in style?
Das Konzept der Abschreckung setzt jemanden voraus, der sich abschrecken lässt.
Putin muss keine Todessehnsucht haben, er will die Welt bestimmt nicht in einen nuklearen Holocaust stürzen, aber es würde reichen, dass er keine Todesangst hat, um die Möglichkeit, das er rs tun könnte, zu einem relevanten Faktor in den Kalkulationen des Westens zu machen.*
Abstrahierend von allen operativen Bedingungen, die eintreten müssten, damit Russland einen nuklearer Erstschlag durchführen kann. Dutzende von Menschen in der Befehlskette müssten mitmachen, es dürfte keine Last-Minute-Intervention aus der Generalität geben etc.
Siehe oben. Ich bin überzeugt davon, dass die Angst vor der Atombombe, und zwar spezifisch die Vorstellung von der Vernichtung der Welt, das zentrale handlungsleitende Motiv in Scholz’ Handeln ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dem der Amerikaner. Etwas zugespitzt formuliert: Wenn Russland keine Nuklearmacht wäre, hätten die Russen den Krieg in der Ukraine schon längst verloren. Dann wären der Ukraine von Tag eins an Panzer, Artillerie, Flugzeuge, Marschflugkörper, Raketen, Bomben und ggf. Schiffe in den Mengen zur Verfügung gestellt worden, die die Ukraine gebraucht hätte, um die Russen wieder aus ihrem Land zu werfen, und es wären von NATO-Gebiet aus russische Flugzeuge über der Ukraine abgeschossen und russische Schiffe im schwarzen Meer versenkt worden, es wäre möglicherweise die Kertsch-Brücke gesprengt worden etc.
Dass all das nicht stattgefunden hat, liegt meiner festen Überzeugung nach nur daran, dass Putin über den roten Knopf verfügt.
Interessanterweise folgte aus dieser Logik, wenn man sie zu Ende denkt, dass die Ukraine vom Westen niemals die Mittel erhalten wird, die sie braucht, um diesen Krieg zu gewinnen. Denn wenn man davon ausgeht, dass Putin im Falle einer Niederlage in der Ukraine, die zu einem großen Teil auf die militärische Hilfe des Westens zurückzuführen ist, bereit wäre, die Welt nuklear zu vernichten, dann kann der Westen die militärische Hilfe, die die Ukraine zum Sieg führen würde, gar nicht leisten, wenn er dieses Ereignis verhindern will.
Damit wäre dann auch alles Gerede von einer Unterstützung der Ukraine, die ihr zum Sieg verhilft, nur das, nämlich Gerede, weil in Wahrheit genau das zu unterlassen ist.
Meine Theorie erklärt schlüssig das empirische Geschehen auf der politischen und militärischen Ebene im Verhältnis Westen - Ukraine - Russland der letzten zweieinhalb Jahre, aber ob sie richtig ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass irgendjemand irgendwo eine alternative Theorie hat, die das Geschehen ebenso schlüssig erklären kann. Ich möchte hier keinesfalls einen absoluten Wahrheitsanspruch anmelden.
P.S.
Dann mache ich das mal, weil ich es gerade sehe:
Indeed. Genauso ist es. Ein Herrscher einer Nuklearmacht, die mächtig genug ist, mit einem atomaren Erstschlag das Ende der Welt einzuläuten, von dem man nicht mit absoluter Sicherheit sagen kann, dass er diese Waffen außerhalb bestimmter definierter Szenarien nicht einsetzen wird, hat unter diesem Schutzschirm der nuklearen Unsicherheit carte blanche, mit konventionellen militärischen Mitteln so vorzugehen, wie es ihm passt, zum Beispiel Nachbarländer zu überfallen, bei denen dieselbe Unsicherheit nicht besteht (im einfachsten Fall, weil sie selbst keine Atommächte sind).
Eine der unangenehmen Folgen der Atombombe.
Alles in Ordnung. Die Diskussion lief ja bis auf ein paar Ausnahmen von beiden Seiten ( da nehme ich mich nicht aus) absolut im Rahmen.
Ich denke du weißt, dass auch für mich Putin der Aggressor ist, der eigentlich mit seinem Verhalten nicht durchkommen darf. Von daher begrüße ich auch - um zu der bisher nicht beantworteten Frage was man gegenüber Aggressoren mit Bombe machen sollte zu kommen - bestimmte Maßnahmen wie Waffenlieferungen und Wirtschaftsboykott. Allerdings (und das sehen wohl viele in den Führungsgremien der NATO-Staaten so) ist in Bezug auf Waffenlieferungen eine Hemmschwelle vorhanden, was man der Ukraine geben möchte. Wenn man sich so sicher wäre, dass man Putin zu keiner weiteren Eskalation außerhalb der Ukraine provozieren wird, wäre es logisch, der Ukraine zu geben, was immer sie will und evtl. sogar auch noch Soldaten zu schicken, wie die USA das ja z.B. im Golfkrieg machten, als ebenfalls ein Alleinherrscher ein freies Land überfiel.
Was ich auch etwas anders sehe, ist Putins Motivation bzgl. künftiger Ziele. Ich würde sagen, dass Putin ein Szenario anstrebt, in dem Russland wieder eine Supermacht ist, die Einfluss in der Weltpolitik hat und eben keine „regionale Macht“, die man, wie in der Schlussphase der UdSSR unter Gorbatschow oder während der gesamten 90er Jahre unter Jelzin jederzeit durch westliches Geld „kaufen“ konnte. Putin hat diesen Verfall erlebt, u.a. als KGB-Offizier in der DDR in der Phase vor der Wende und empfand das als unwürdig. Ich denke, dass Putin schlau genug ist, es gegenüber dem Westen (und da zähle ich auch die ehemaligen Ostblock-Staaten, die mittlerweile EU und NATO angehören dazu), nicht auf eine direkte bewaffnete Konfrontation ankommen lassen würde. Diese Gebiete sind für ihn und Russland „verloren“ und was mMn sehr wichtig ist: sie wurden „verloren“, weil Putins Vorgänger es seiner Meinung nach verbockt haben, indem sie sich vom Westen kaufen ließen.
Der Effekt aus verteidigungspolitischer Sicht war, dass die NATO jetzt im Baltikum eine direkte Grenze mit dem russischen Kernland hat, wobei aufgrund der geographischen Beschaffenheit dieser Gegend eine groß angelegte mögliche NATO-Invasion Russlands (Militärs denken in solchen Kategorien) nur an einer relativ engen Stelle entlang der Grenze zwischen Lettland und Russland überhaupt möglich war, also in einem Bereich, der prinzipiell noch zu verteidigen wäre. (Das war der status quo, bevor sich die Landesgrenze Russlands zur NATO durch den durch die Invasion der Ukraine provozierten NATO-Beitritts Finnlands um ein Vielfaches verlängerte)
Unter diesem Aspekt ist aus rein militärischer Sicht auch verständlich, warum Putin Weißrussland und die Ukraine so wichtig sind. Würde einer dieser beiden Staaten oder sogar beide Staaten aus seinem Einflussbereich fallen, dann wäre sein Land gegenüber einer Invasion ziemlich „blank“. Und diesen Schritt will er nicht wahrhaben und schon gar nicht unter seiner Herrschaft, denn dann wäre er zumindest seiner Logik nach derjenige gewesen, der für die Sicherheit Russlands noch desaströser war als Gorbatschow und Jelzin. Eine Ukraine in der NATO mit NATO-Truppen auf ukrainische Territorium wäre für viele in Russland nämlich genau das, was sowjetische Raketen auf Kuba für die USA waren, nämlich ein absolutes No-Go.
Und gerade deswegen befürchte ich, dass Putin zu einer by any means necessary Strategie zurückgreifen könnte, falls er merkt, dass ihm seine Felle davonschwimmen.
Es beruhigt mich auch nicht unbedingt, wenn viele Analysten das anders sehen, auch wenn deren Expertise natürlich viel größer ist als meine. Mit einigen bisherigen Prognosen bzgl. einer Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf die Ukraine statt einer Fortführung der (gar nicht mal so) „verdeckten Operationen“ im Donbas haben auch viele Experten nicht gerechnet. Genausowenig ging man davon aus, dass Russlands Militär nach dem Krieg in einem im Vergleich zum Anfang des Krieges besseren Zustand sein könnte als 2022 (General Cavoli) oder die russische Wirtschaft weniger unter den Sanktionen des Westens zu leiden hat, wie umgekehrt.
Was übrigens bislang gar nicht auftauchte, ist folgendes Szenario: Russland sieht sich aufgrund ausbleibender Erfolge gezwungen, in der Ukraine eine Atombombe einzusetzen, um den Widerstand zu brechen. Das wäre kein Angriff auf die NATO und ich glaube nicht, dass die NATO das dazu bewegen würde, ihrerseits Russland mit Atomwaffen anzugreifen.
… denen Wagenknecht und ihre Anhänger die moralischen Weihen verleihen. Es wäre dem lieben Putin gegenüber ja ungerecht, ihm eine zynische Kalkulation zu attestieren. Irgendwie muss einer solchen Kapitulation und ihren Folgen doch noch ein pazifistisches Mäntelchen umgehängt werden. Es gilt ja, das kontaminierte Wort „Appeasement“ zu vermeiden. Wie ich sie liebe, diese Debatten im privaten Umfeld, in denen dem Westen vorgeworfen wird, alle Putinschen Verhandlungsangebote in den Wind geschlagen zu haben. Da lobe ich mir fast schon die ungeschminkte Autokratiefreundschaft der AfD, die aus ihrer Sympathie für die russische „Gesellschaftspolitik“ - sprich: ihren tendentiell faschistischen Charakter - keinen Hehl macht und auf den Budenzauber einer angeblichen Friedenspolitik weitgehend verzichtet. Beide Parteien - BSW wie AfD - blenden folgerichtig das Interesse Putins und seiner Freunde an einer systematischen Zerstörung der freiheitlichen Gesellschaftsordnungen in vielen Demokratien aus. Er immerhin befindet sich längst im Krieg mit dem Westen, das vergisst man leicht.
EDIT: Eine solche Kriegserklärung einfach zu ignorieren, das wünschen sich im Rückblick auch einige Friedensfreunde von den USA, die ja den von Hitler hingeworfenen Fehdehandschuh nicht hätten zur Kenntnis nehmen müssen und - gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien - den Kampf gegen Nazideutschland ausschließlich der Roten Armee hätten überlassen können. In welchem Zustand Europa dann heute wäre, das kommt in solchen rückwärts gewandten Träumereien nicht vor.
Francesca Melandri übrigens, deren aktuelle Neuerscheinung „Kalte Füße“ ich erwähnte, weist in ihrer Kritik am verengten Blickwinkel speziell der italienischen Gesellschaft, aber auch allgemein des Westens bezüglich eines Kolonialismus, der üblicherweise als Verbrechen ausschließlich westlicher Nationen betrachtet, und eines Imperialismus, der exklusiv den USA zugerechnet wird, auf die Aktien hin, die Russland in diesem „Spiel“ hat in einer ununterbrochenen Linie vom Zarenreich über den Stalinismus bis in die Gegenwart. Einer Linie, auf die die Nachbarländer Russlands seit Jahrzehnten vergeblich hinweisen.
vorweg:
ich halte eure Diskussion für höchst spannend und gewinnbringend - auf beiden Seiten und verteile deshalb für beide Seiten auch fleißig Sternchen - danke dafür!
zu sehr will ich mich gar nicht einklinken - aber zu diesem Absatz möchte ich kurz etwas einwerfen:
ja!
ich glaube nach 44 Lebensjahren auf diesem Planeten, dass das Gros der Menschen vor allem nach seinem persönlichen Wohlbefinden strebt und sämtliche Konflikte relativ schnell ausblendet bzw. bereit ist Konsequenzen zu akzeptieren, die für andere vielleicht grausam daher kommen mögen, so lange sie einem persönlich nützen oder zumindest nicht schaden!
ich glaube, dass die Mehrheit da recht klar (und einfach) gestrickt ist und dass es einer immensen Willensleistung bedarf, sich diesem menschlichen Bedürfnis zu widersetzen.
zu beobachten ist dies aller Orten und zu jeder Zeit!
je weiter weg - je komplexer - je öfter - desto eher verliere ich es aus dem Blick und kehre zurück in meine innere, persönliche Komfortzone, in der ich möglichst wenig Nachteile erfahren will!
und das ist ja auch verständlich - mache ich mir alle „relevanten“ Konflikte und ihre Folgen zu eigen… dann drehe ich schlicht irgendwann durch - weil es einfach vollkommen überfordert und einem die eigene Hilflosigkeit vor Augen führt!
in meinen Augen übrigens ein Grund, für die zunehmenden psychischen Belastungen der Menschen inklusive Erkrankungen und gesellschaftliche Degenerierung → die Tatsache, dass wir „dank“ Internet etc. mittlerweile gefühlt alle Konfikte weltweit, sofort und in Dauerschleife serviert bekommen - auch deshalb suchen so viele einfache, schnelle Antworten, die mir persönlich vermeintlich einen Nutzen bieten (als Konsequenz AfD, BSW etc.)
das darf man zu recht schlimm finden - ändert in meinen Augen allerdings nichts an der Tatsache, dass es so ist!
Danke für diesen Beitrag. Wenn man diese Tatsache benennt, heißt das ja nicht, dass man sie für gut befindet oder jemanden damit provozieren möchte.
Ich gehe sogar so weit, dass vielen Leuten egal ist, was in ihrem Land passiert, Hauptsache es geht ihnen selber gut.
Einige der großen Revolutionen der Weltgeschichte hätten nie nur aufgrund ihrer hehren Ideale funktioniert, sondern gelangen vor allem deshalb, weil breite Bevölkerungsschichten wegen ihrer materiellen Probleme gemeinsame Sache mit den Kämpfern für Freiheit und Gleichheit machten.
Die Tatsache, dass sich ein paar hundert Gesandte der Generalstände beim Ballhausschwur 1789 als Nationalversammlung konstituierten, hätte wohl kaum eine Einschränkung der Macht des französischen Königs bedeutet. Von Hunger geplagte Pariser Männer und Frauen waren es, die durch ihren Aufstand auf der Straße das System ins Wanken brachten, aber eben in erster Linie, weil sie nicht mehr wussten, wie sie ihre Familien ernähren sollen. Bei einer vernünftigen Versorgungslage wären die Diskussionen darüber, warum Montesquieus, Rousseaus, Kants oder Lockes Ideen nicht in die Tat umgesetzt werden und warum man nicht wie die neu gegründeten USA eine demokratische Verfassung in Frankreich haben kann außer einem intellektuellen Teil des Bürgertums und ein paar aufgeklärter Adeliger dem Rest des Volkes ziemlich egal gewesen und wären in irgendwelchen Salons diskutiert worden und sonst wäre erst mal gar nichts passiert.
Warum lautete denn ein Wahlspruch der britischen Kolonien vor dem Unabhängigkeitskrieg „No taxation without representation“? Es ging ums Geld und erst dann um die Freiheit. Nicht alle in den Südstaaten waren überzeugte Rassisten. Für die Sklaverei und somit für die bewusste Aushöhlung der Verfassung in Sachen „Alle Menschen sind gleich“ waren sie trotzdem, weil es um eigene, wirtschaftliche Interessen ging.
1848 gingen die Menschen im Deutschen Bund auch deswegen in großem Maße auf die Straßen, weil es ihnen finanziell schlecht ging. Das war auch der Hauptgrund dafür, warum in der Zeit so viele Deutsche nach Amerika auswanderten. Der Anteil derer, die wegen der Karlsbader Beschlüsse oder wegen der unerfüllten deutschen Einheit auf die Straße gingen oder auswanderten war ebenfalls eher gering im Vergleich zur Gesamtzahl.
Warum kam es 1953 letztendlich zum Volksaufstand in der DDR? Die Arbeitszeit sollte bei gleichbleibendem Lohn erhöht werden. Das brachte die Menschen auf die Straße und das Fass zum Überlaufen. Und wäre es mit dem Ostblock in den 80ern nicht so rapide wirtschaftlich bergab gegangen und die Unterschiede in Sachen Lebensstandard im Vergleich zum Westen nicht immer evidenter geworden, hätten sich auch niemals so viele Menschen in den sowjetischen Satellitenstaaten auf die Straße begeben.
Unzufriedenheit über politische Systeme und mangelnde Freiheit kann freilich zu Protesten führen. Die Mehrheit des Volkes wird aber erst dann aktiv, wenn es sie selbst direkt finanziell betrifft.
Warum weint denn ein großer Teil der Russen der Phase in den 90ern, in der Russland auf dem Weg zu einer Demokratie war, keine Träne mehr nach? Weil es ihnen unter ihrem Autokraten Putin trotz aller Repressalien größtenteils wirtschaftlich besser geht als in der bisher wohl freiheitlichsten Phase der russischen Geschichte.
Und angesichts dessen darf es doch niemanden verwundern (ärgern allerdings schon), wenn sich viele Menschen für das, was anderen Menschen in anderen Ländern widerfährt, nicht interessieren bzw. wenn sie nicht bereit sind, dafür auf Dinge zu verzichten.
Bei manchen mit etwas weniger egoistischen Motiven kommt natürlich auch das von dir angesprochene Phänomen der Ausblendung zum Tragen. Die von mir hoch geschätzte EAV hat das gesamte Dilemma im Song „Willkommen im Neandertal“ mMn perfekt zusammengefasst:
„Schau, do drin im Fernsehn, da liegt a klanes Kind!
Schau, dem fehln die Fusserln, geh, schalt um, mach geschwind!
Des kann sich kana anschaun, weils Essen nimmer schmeckt!
Und spenden, das hat a kan Zweck, weils sowieso verreckt!“
Erklärungen für mangelnde Bereitschaft, andere zu unterstützen wird man viele finden.
nix gegen meine Nachbarschaft…
Ich verstehe nicht genau, wie Deine Replik an meinen Beitrag anknüpft, auf den sie ja zumindest technisch eine Antwort ist, weil Du auf meinen Beitrag geantwortet hast.
Was übersehe ich, wo ist der Link?