Du vergisst oder ignorierst hier mMn eine Möglichkeit. Wir haben es bei Putin nicht mit einem demokratischen Politiker, sondern mit einem Autokraten zu tun. Demokratische Politiker werden entweder abgewählt oder treten von selbst von ihren Ämtern zurück bzw. werden wie im Fall des US-Präsidenten oder des französischen Staatspräsidenten in ihrer Amtszeit durch die Verfassung begrenzt. Die häufigste Art, wie Autokraten ihre Herrschaft beenden ist der Tod (meist entweder natürlich oder durch eine Erhebung des Volkes hervorgerufen).
Ich will damit auf folgendes hinaus: Da Putin noch nicht im Greisenalter ist und sich Nachrichten über einen schlechten Gesundheitszustand nicht bestätigen lassen, kann man davon ausgehen, dass er aufgrund seines im Vergleich zu Stalin, Breschnew oder auch Jelzin gesunderen Lebenswandels (ich will Jelzin nicht in die Autokraten-Schiene pressen, sondern nur als Beispiel für bedeutende Politiker der UdSSR/ Russlands aufführen), durchaus noch 10 Jahre oder länger an der Macht bleiben kann. Um einen Aufstand des Volkers zu verhindern, kann er sich im Normalfall Niederlagen nicht leisten und er kann es sich gar nicht leisten vor seinem Volk als jemand dazustehen, der die Sicherheit Russlands nicht garantieren kann.
Wer also mit Sicherheit behaupten kann, dass Putin im Falle einer drohenden Niederlage, womöglich begleitet von Raketeneinschlägen von NATO-Waffen, die der Ukraine überlassen wurden, weiter ruhig und rational vorgeht, dessen Gottvertrauen möchte ich auch haben.
Ich bin mir sicher, dass in den Beraterstäben in Washington, London und auch in Berlin genügend Analysten sitzen, die einen „irren Iwan“ (U-Boot Jargon, Zitat aus „Jagd auf roter Oktober“) nicht ausschließen können. Wovor man dort sicherlich auch Angst hat, ist die Ungewissheit, wer auf einen gestürzten Putin folgen könnte.
Die USA und der Westen sahen sich schon einmal mit der Situation konfrontiert, dass eine in sich kollabierende Sowjetunion eine große Unsicherheit darstellte, was mit den Atomwaffen dort passiert. Die Historikerin Mary Elise Sarotte hat in ihrem Buch „Kein Schritt weiter nach Osten“ eindrücklich dargelegt, warum die USA in der ersten Hälfte der 90er Jahre auf Kuschelkurs mit Moskau waren und auch die Ukraine so umgarnten. Man wollte sichergehen, dass Moskau alle Atomwaffen aus Sowjetbestand einkassiert und in Moskau jemand sitzt, den man kontrollieren kann.
Da Sicherheitspolitik oft langjährigen Konstanten folgt, dürfte an den Schalthebeln der westlichen Mächte noch die Denkweise vorhanden sein, dass man einen russischen Machthaber niemals in die Enge treiben sollte, weil man nie weiß, ob er auch noch rational handelt, wenn sich die Schlinge immer weiter zusammenzieht. Von mir aus mag dir diese Argumentation nicht logisch vorkommen. Ich habe sie mehrfach von Leuten vernommen, die militärisch bewanderter sind als wir beide.
Das ist richtig und das gelingt ihm gerade formidabel, weil die Unterstützung der Ukraine in vielen Ländern eine ähnliche politische Sprengkraft besitzt wie das Thema Migration (das Putin laut Donald Tusk ja auch massiv durch Schleusungen beeinflusst). Im Übrigen: ist für dich folgendes Szenario unwahrscheinlich: Putin kommt mit einem für ihn positiven Ergebnis aus der Ukraine-Krise heraus, wird in Russland dafür gefeiert und die Beziehungen zwischen West und Ost verbessern sich wieder. Wäre dann ein Umdenken in Sachen Cyberkriminalität, Beeinflussung von Wahlen, Auftragsmorden etc. nicht auch eine Möglichkeit. Ich bin nicht davon überzeugt, dass Putin nach einem Erfolg in der Ukraine sofort das nächste Land in Angriff nimmt. Ich könnte mir tatsächlich eher vorstellen, dass er vollkommen zufrieden damit wäre, wenn er als Sieger aus der Sache hervorgeht und der Westen Russland wieder als Handelspartner akzeptiert und vor allem einen Stopp in Sachen NATO-Erweiterung macht.
Zur Thematik Nahost bzw. dem deiner Meinung nach unterkomplexen Vergleich USA/ Israel in Sachen Vorgehen gegen Terroristen und dem Akzeptieren von Kollateralschäden (waren es nicht die Amerikaner die den Begriff collateral damage erfanden?) würde mich eine genauere Aufzählung der Unterschiede tatsächlich interessieren.
Flugzeuge krachen ins World Trade Center und ins Pentagon. Tausende Menschen sterben und die USA bombardieren Afghanistan, weil in diesem Land die Infrastruktur für den Terror zu finden ist. Dass man das Entführen von Flugzeugen möglicherweise auch dadurch verhindern könnte, dass man am Flughafen (wie seitdem ja üblich) nicht mehr so lax kontrolliert wie vor 9/11 lassen wir mal beiseite. Israel wurde vom Gaza-Streifen und vom Libanon aus angegriffen und bekriegt seitdem beide Gegenden, wobei zur Erlangung des Zieles (Ausschaltung der Terrorgruppen) auch in Kauf genommen wird, dass viele Zivilisten sterben. Vom Einmarsch im Irak als Schutz vor Terrorismus möchte ich in diesem Fall gar nicht reden. Da wäre ein israelischer Angriff auf den Iran in Sachen Abwehr einer Gefahr tausendmal glaubwürdiger.