Im DoPa (schau ich normalerweise eher nicht) hat Erik Mejier (den ich eigentlich immer recht erfrischend finde, unabhängig seiner Analyse) etwas auf den Punkt gebracht, das ich immer noch oder schon wieder für ein Grundproblem halte - und zwar beim FCB selbst, aber auch in der ganzen medialen Blase inclusive uns Fans.
Sinngemäß:
Gewinnen wir das Double und kommen in der CL mindestens ins Halbfinale, ist alles soweit okay. Nicht super, nicht herausragend, sondern: „okay“!
Und alles, was auch nur ein Prozent weniger ist, ist „Scheiße“. (Erik-Original-Slang.)
Wenn wir uns über zuviel Trainerwechsel unterhalten, über die ganze Gemengelage, in der Aktive beim FCB arbeiten, kann man sich vorstellen, was das bedeutet.
Ein Beispiel:
Da wird (auch hier) ein Van Gaal ausgiebig gelobt (gerade im Quervergleich mit Tuchel), dass er den Mut hatte, Talente gegen alle Widerstände durchzuboxen. Soweit in Ordnung. Nur: damals war die Startposition unserer Erfolgs-Ära doch eine ganz andere. Heute stehen wir da mit zwei CL-Titeln und 11-mal Meister in Folge, und das hat eine Erwartungshaltung (und eine ganze Generation von Fans und Berichterstattern) hervorgebracht, die - man verzeihe mir den Ausdruck - versaut sind.
Und zwar insofern, dass man die Dinge gar nicht mehr zur Zufriedenheit aller Beteiligten lösen kann. Völlig egal, was man macht. Und obendrein ohne jede Erfolgsaussicht, weil man bestenfalls die Erwartungen erfüllen kann. Und im schlechtesten Fall etwas passiert, was ein 12-Jähriger Junge sich nicht mal vorstellen kann - ein anderer wird Meister. Weltuntergang!
Und so wird die Verpflichtung eines 100-Mio-Mannes genauso kritisiert wie die Nachverpflichtung eines Nachwuchs-Talents. Und der erste muss schon 27 Tore in 23 Spielen machen, um aus der Kritik zu kommen, und der zweite muss natürlich dauerhaft spielen, von wegen Nachwuchsförderung, aber das bei einem Team, das zum höchsten Titel verpflichtet ist, und das innerhalb eines Gefüges, das Schnappatmung bekommt, weil stattdessen nämlich ein Nationalspieler draußen hockt, was natürlich auch irgendwie nicht geht.
Wir brauchen einen 25-Mann-Kader, natürlich alles Spitzenkräfte, weil wenn eine Verletzungsserie zeigt, dass es eng wird, ist das blamabel für den FCB. Wir meckern aber sofort auch, wenn hochgelobte junge Sympathieträger zu wenig Spielzeit kriegen. Wir meckern sowieso, wenn wir nicht gewinnen, wir meckern aber genauso, wenn wir erst in der Nachspielzeit gewinnen, und wenn das Ganze nicht höchsten ästhetischen Ansprüchen genügt, meckern wir im Dauermodus.
Leverkusen gewinnt sehr mühevoll Zwei-Eins gegen einen Abstiegskandidaten.
Wir gewinnen sehr mühevoll Zwei-Eins gegen RB.
Man kann sich ja mal anschauen, wie unterschiedlich diese Siege bewertet und beschrieben werden.
Fakt ist doch, dass es einem komplett die Maßstäbe verschoben hat, wenn man vom gestrigen Spiel erwartet, dass Bayern die Dosen stabil und souverän an die Wand spielt, so wie die Rückrunde verlaufen ist.
Und worauf ich prinzipiell hinauswill, ist folgendes:
Es wird Zeit, dass man sich beim FCB selbst (in der Führungsriege) komplett unabhängig macht von diesen verschobenen und irren Kriterien. Denn diese sorgen für übereilte, seltsame Entscheidungen, die selten durchdacht sind und auf allen Positionen nur für eine Druckwelle sorgen, unter denen auch die Abgezocktesten leiden werden und unter-performen. Das betrifft Trainer, Spieler, alle.
Tuchel hatte gestern nicht viele Möglichkeiten, personell vieles anders zu machen. Trotzdem wurde gemeckert (wieder kein Tel, Dier statt Kim). Hätte er diese Möglichkeiten gehabt, wäre das Gemecker noch größer gewesen, ganz egal, was er gemacht hätte.
Deswegen gilt eigentlich für alle:
Vorsicht vor zu krassen Urteilen. Ausgewogene Analyse. Durchaus mal ergebnisunabhängig und sich Zeit nehmend. Und man hüte sich vor Dauernörglern (die es zahlreich gibt), aber natürlich auch vor Dauer-Lobenden (gibt es die in Deutschland?).
EDIT:
Ich finde es auffällig, dass nach Niederlagen/Rückschlägen das MSR-Forum explodiert (Anzahl der Stimmen, Kritik allerorten und nicht selten maßlos).
Nach Siegen - wichtigen Siegen wie gestern! - bleibt die Resonanz im Vergleich mager. Ich bin mir sicher, dass das was aussagt über unsere Gesellschaft. Ich weiß nur nicht genau, was…