Ach, @cheffe . Deine Fassungslosigkeit kommt zur rechten Zeit und rennt bei mir offene Türen ein. Erst neulich habe ich wie so viele die Netflix Serie „Adolescence“ gesehen ( ich denke, die wurde hier sicher in irgendeinem Thread bestimmt mal angesprochen) und mit den Augen und dem Herzen einer Mutter eines Sohnes in just selbigen Alter wie der Hauptdarsteller, hat das Thema sehr aufgewühlt. Ja, was treibt der Sohnemann da so in seinem Kabuff hinterm Rechner ……
Just vor etwa einer Woche las ich in der SZ einen Gastbeitrag vom britischen Autor John Niven:
Warum wünschen sich so viele junge Leute eine starke Führungspersönlichkeit? - Kultur - SZ.de
Einer Generation mangele es an Rollenvorbildern, sowohl zuhause als auch in Schule, Gesellschaft und Kultur.
Warum das nun gerade für Jungs so ein Ding ist mit der Vaterfigur und dem männlichen Vorbild, kann ich aus weiblicher Sicht nur mutmaßen und mir psychologisch/ biologisch zu erklären versuchen. Fakt ist, dass Mädchen und Frauen eine „Mutterfigur“ eher weniger zur Selbstfindung und Stabilisierung des Selbstwertes benötigen, es zumindest nicht proaktiv und bedürftig suchen. Vielleicht weil die Mutter in ihrer Fürsorgerolle generell verlässlicher ist als der Erzeuger
?
Stärke, Überlegenheit, Dominanz sind evolutionsbedingt notwendige Attribute. Das ist der Punkt, der in mir Verständnis aufwallen lässt für männliches Imponiergehabe und die Tendenz sich zum Zentrum des Universums zu stilisieren. Aber, es ist schon wichtig einzuordnen und da fasst Frau Kalkstein ( im Deutschlandfunkartikel von @Gratschifter )sensationell zusammen, um was es im Grunde genommen geht, nämlich „
aggressives Verhalten, wie toxische Männlichkeit und Rassismus, als Ausdruck verdrängter Gefühle. Im Kontext von Social Media spielt vor allem die Komplexitätsreduktion auf den Plattformen eine Rolle.
Das einfache Schwarz-Weiß-Denken auf Tiktok und Co. liefert ein attraktives Lösungsangebot für Ambivalenzkonflikte: „Wenn wir gleichzeitig widersprechende Informationen oder Emotionen haben, ist das anstrengend“, sagt Kalkstein. „Wenn das nicht so gut gelernt wurde, dann gibt es eine Ansprechbarkeit für Ideologien, die vereinfachen.“
Warum boomt die Incelkultur, Frauenhass, Rassismus, Populismus gerade im Zeitalter der Digitalisierung. Ein Click und mein Weltbild bekommt Kontur, Gefühle werden kanalisiert, etc.Natürlich verfängt das zum Teil auch bei unsicheren Mädchen und Frauen. Ansonsten ließe sich nicht erklären, wie menschenverachtende Demagogen auch immer ein weibliches Fanlager vorzuweisen haben. Im Kern geht es aber um den Gewinn von vermeintlicher Überlegenheit und damit Kontrolle.
Aus dem Deutschlandfunk nochmals:
Mit ihren simplen Botschaften vermitteln sie Handlungsfähigkeit, Stabilität, Sicherheit und Kontrolle. „Dafür sind junge Männer empfänglich, die auf der Suche nach Orientierung sind.“
Um ein gewaltbereites Männlichkeitsideal und antifeministische Einstellungen zu bekämpfen, brauche es eine Pädagogik, „die Emotionen auslöse“, sagt die Psychologin Kalkstein. Jugendliche müssten lernen, ihre Gefühle zuzulassen und auszuhalten.






Auch ein Learning der vergangenen Jahrzehnte, nein Jahrhunderte. Frauen tendieren dazu, Wut, Zorn und Verzweiflung über Lebensumstände- und Zustände nach innen zu kehren, sich selbst zu sabotieren und zu verletzen, wohingegen Männer eher einfach jemandem aufs Maul hauen, im kleinen wie im großen Stil. Eine Frage der Sozialisation? Der körperlichen Voraussetzungen?

Womit Mann jedenfalls offensichtlich schlechter klarkommt, ist das Gefühl von Benachteiligung und mangelnder Anerkennung ( von außen). Ein Faktor, der u.a. in einer muslimisch geprägten Gesellschaft wiederum in Misogynie und sogar Fundamentalismus führen kann, so der Pädagoge Toprak:
„Vor allem diejenigen, die bildungsbenachteiligt sind, die soziale Anerkennung nicht anderweitig finden, suchen die Anerkennung über traditionelle Männlichkeitsnormen.“ Werte wie Loyalität, Stärke und Ehre würden unreflektiert übernommen und eigenen Verhaltensweisen oft mit religiösen Einstellungen erklärt.“
Es ist eigentlich nicht erschreckend und verwunderlich, dass es seit Jahr und Tag soviele (gerade junge) Männer gibt, die auf einen vermeintlich starken Führer stehen und sich ohne eigene Leistung an das obere Ende der Nahrungskette stellen wollen.
Erstaunlicher und wirklich faszinierend ist die Tatsache, dass es viele viele Männer gibt, die diesen Need nicht verspüren. Die sogar d‘accord gehen, dass alle Menschen gleichwertig- und wertig sind und gerne teilen. Eben weil sie wahrscheinlich kein Minderwertigkeitsproblem haben, welches sich durch Abwertung anderer Menschen oder Geschlechter äußert.