Der Politik- und Gesellschafts-Thread (Teil 4)

Letztens hab ich einen Bericht in der Kulturzeit gesehen, der mich krass erwischt hat:

Es ging um das moderne Männerbild. Und zwar angesichts der erschreckenden Tatsache, dass bei vielen Wahlen Europa-weit junge Männer sich weit rechts positionieren.

Die Spaltung der Wählerschaft in Stadt-Land hat man mittlerweile ausführlich thematisiert, nun wird auch klar, dass sich speziell die jungen Männlichen gern einem Starken Führer-Kult hingeben, fasziniert sind von vermeintlich rücksichtslosen, harten Typen, die einfach ihr Ding durchziehen, gern auch mal politisch unkorrekt und ohne große Manieren, mit nicht nur leichtem Hang zum Kriminellen. Jüngstes Beispiel der Ex-Hool aus Polen, der sicher ganz gezielt von der PiS-Partei rekrutiert und unterstützt wurde. Die Rechtspopulisten wissen um die Wirkung solcher Typen speziell in dieser Wählergruppe.

Es wurde dann auch noch ein Sozialarbeiter/Psychologe interviewt, der sich offenbar dieser Klientel widmet - als eine Art Männer-Beauftragter…
Weil doch das moderne Männerbild so diffus ist, so herausfordernd.

Mich lässt das zugegeben völlig rat- und fassungslos zurück.
Ich weiß auch nicht, wie man das in den Griff kriegen will oder kann. Mir fehlt es angesichts von Jahrhunderten Patriarchat und Misogynie auch durchaus an Empathie mit solchen Männern. Mir kommt das Gejammere eher albern und wehleidig vor, wenn es heißt, wie sollen wir denn sein, stark und doch gefühlsbetont, verantwortungsbewusst und doch lässig, dominant und doch rücksichtsvoll - und überhaupt, als Mann darf man ja heute gar nichts mehr ausreizen oder falsch formulieren, ohne dass man gleich als Sexist gilt… blablabla.
Ich fasse es wirklich nicht. Vielleicht kann @Women7 dazu was Schlaues sagen? Oder sonst wer? Ich bin da wirklich raus. Hätte ich einen Neffen oder Sohn, der mir mit so einer Art käme - ich sage lieber nicht, wie ich reagieren würde. (Wobei, wär’s ein Sohn, hätte ich selbst zuvor schon offensichtlich was grob falsch gemacht.)

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Was Du berichtest, ist kein Einzelfall und auch nicht neu, sondern ein kultureller Trend mit vielen Akteuren:

Im folgenden ZEIT-Bericht werden einzelne Vorreiter-Gruppen beschrieben, die Frauenfeindlichkeit offen in Social Media propagieren, füttern und betreiben.

Die Autorin Pauline Schinkels schließt mit:
Als Gegenmaßnahme fordern die Forscher mehr Aufklärung über Geschlechterrollen, Medienkompetenz und digitale Radikalisierung in Schulen, gerade junge Männer kämen mit den Inhalten in Kontakt, ohne zu erkennen, wie gefährlich diese seien. Es brauche außerdem eine stärkere zivilgesellschaftliche Gegenbewegung, die alternative Männlichkeitsbilder aufzeige. Zudem müssten Plattformen, die solche Inhalte algorithmisch verstärken, strikter moderieren und bestehende Gesetze zur Plattformregulierung besser durchgesetzt werden. Darüber hinaus fehlten Unterstützungsangebote für Betroffene.

Ich möchte hier noch einmal explizit auf den hervorragenden ZEIT-Artikel von Mariam Lau hinweisen, der Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher und politischer Entwicklung herstellt

Der Deutschlandfunk beleuchtet im folgenden Hintergründe und Mechanismen der Misogynie im Social Media Bereich

Ebenfalls im Deutschlandfunk folgender Detailbericht zu „Incels“ -

Blockzitat
Incels bedeutet Involuntary celibates und meint Männer, die unfreiwillig enthaltsam leben und keinen Sex haben. Sie sind davon überzeugt, dass Männer in der heutigen Gesellschaft benachteiligt werden. Und Schuld daran sind Frauen, der Feminismus die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Das ist grob zusammengefasst das Weltbild verschiedener frauenfeindlicher Gruppierungen, die man in der Forschung unter dem Begriff „Manosphere“ zusammenfasst.

Ich verstehe deine Fassungslosigkeit. Fassungslosigkeit ist immer häufiger meine erste Reaktion auf den Lauf der Dinge.
Aber wenn wir uns da rausziehen, dann ebnen wir dem Rollback endgültig den Weg. Ich hoffe, daß das von Deiner Seite aus (hoffentlich) nur bildlich gemeint ist.

Vielleicht hilft Dir ein kurzer Bericht von meiner älteren Tochter, einer 29jährigen Frau:
Sie löst sich gerade aus einer dreimonatigen toxischen Beziehung mit einem gleichaltrigen Mann aufgrund einer langen Reihe von respektlosen, frauenfeindlichen und patriarchalen Verhaltensweisen (glücklicherweise bisher ohne körperliche Gewalt).
Meine jüngere Tochter hat bereits nach den ersten Verhaltens-Berichten (schon nach 2 Wochen) interveniert: „Schieß den Typen in den Wind - das geht gar nicht.“
Zur Erklärung: Meine Töchter leben beide überzeugt feministisch und vertreten/praktizieren eine vehement anti-patriarchale Lebensweise.
Aber kaum kommen Schmetterlingen ins Spiel, gerät selbst bei einer sehr selbstbewussten Frau wie meiner Tochter plötzlich der Selbstwert ins Wanken. Wir (meine jüngere Tochter und ich) haben jetzt Wochen gebraucht, um sie wegzukriegen aus der Verständis-Haltung, den Macker ständig zu entschuldigen und auf den guten Kern des armen Kerls zu hoffen.

Langer Rede, kurzer Sinn: Im konkreten Kontakt mit der „Manosphere“ scheitert nicht nur unsere Generation…

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Für alle, denen Karten und Graphiken eher als Tabellen und Listen helfen, eine Vorstellung der gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse in der EU zu erhalten

Über den zugehörigen Instagram-Link bekommt man Zugang zu einer vollständigen Quellenliste zu den jeweils letzten Wahlen in nahezu jedem Land der EU.
https://www.instagram.com/share/_ghzwUBAc

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Zum heutigen 150. Geburtstag Thomas Manns (und zum D-Day-Jahrestag) eine Auswahl seiner von der BBC ausgestrahlten Reden an die Deutschen im 2. Weltkrieg. Bemerkenswert unter anderem, wie er den Triumph der Nazis beleuchtet, der darin besteht, dass auch die Feinde schuldig werden müssen.

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Dieser ganze Rechtsruck macht mir langsam wirklich Sorgen. Ich frage mich wo das hinführt und ob „wir“ am Ende stark genug sind das zu überstehen oder jetzt eine Zeit beginnt in der die Rechten wieder das Sagen haben, ehe sich das vllt wieder wandelt.

Alles nur eine Frage der Zeit - nur eben total offen wie lange die jeweiligen Phasen dauern…

Aber langfristig führt das halt alles zu nichts und wieder nix - zumindest für weit über 90% der Bevölkerung!

Früher oder später (nur eben die Frage wie viele Jahrzehnte/Generationen das braucht) checkt aber zumindest die nötige Hälfte der Bevölkerung, dass sie nur komplett verarscht werden von rechter Propaganda jeglicher Art - weil die Realität es halt einfach aufzeigt.

Mit Lügen kommt man sehr (viel zu) weit, klar. Aber irgendwann holen einen immer die Realitäten ein…

PS: und ja, das „wir“ ist eben auch entscheidend wie man es definiert - in einzelnen Ländern kann natürlich jeder Wahnsinn auch ganz schön lange durchgezogen werden. Meine Antwort war natürlich schon eher auf „wir“ als Menschheit bezogen. Das Ganze ist ja eben längst eher ein globales Problem

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Irgendwann können die Lügen so übermächtig werden, dass die Menschen sie kaum noch als solche zu erkennen in der Lage sind. Wenn es z.B. Hochverrat ist, am Tienanmen-Platz Blumen niederzulegen. Oder wenn man für das Hochhalten leerer weißer Zettel verhaftet werden kann. Dann können sehr lange Phasen autoritärer bzw. diktatorischer Regimes folgen, aus denen sich zu befreien unendlich schwer ist.

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Ach, @cheffe . Deine Fassungslosigkeit kommt zur rechten Zeit und rennt bei mir offene Türen ein. Erst neulich habe ich wie so viele die Netflix Serie „Adolescence“ gesehen ( ich denke, die wurde hier sicher in irgendeinem Thread bestimmt mal angesprochen) und mit den Augen und dem Herzen einer Mutter eines Sohnes in just selbigen Alter wie der Hauptdarsteller, hat das Thema sehr aufgewühlt. Ja, was treibt der Sohnemann da so in seinem Kabuff hinterm Rechner ……
Just vor etwa einer Woche las ich in der SZ einen Gastbeitrag vom britischen Autor John Niven:

Warum wünschen sich so viele junge Leute eine starke Führungspersönlichkeit? - Kultur - SZ.de

Einer Generation mangele es an Rollenvorbildern, sowohl zuhause als auch in Schule, Gesellschaft und Kultur.
Warum das nun gerade für Jungs so ein Ding ist mit der Vaterfigur und dem männlichen Vorbild, kann ich aus weiblicher Sicht nur mutmaßen und mir psychologisch/ biologisch zu erklären versuchen. Fakt ist, dass Mädchen und Frauen eine „Mutterfigur“ eher weniger zur Selbstfindung und Stabilisierung des Selbstwertes benötigen, es zumindest nicht proaktiv und bedürftig suchen. Vielleicht weil die Mutter in ihrer Fürsorgerolle generell verlässlicher ist als der Erzeuger :thinking:?

Stärke, Überlegenheit, Dominanz sind evolutionsbedingt notwendige Attribute. Das ist der Punkt, der in mir Verständnis aufwallen lässt für männliches Imponiergehabe und die Tendenz sich zum Zentrum des Universums zu stilisieren. Aber, es ist schon wichtig einzuordnen und da fasst Frau Kalkstein ( im Deutschlandfunkartikel von @Gratschifter )sensationell zusammen, um was es im Grunde genommen geht, nämlich „
aggressives Verhalten, wie toxische Männlichkeit und Rassismus, als Ausdruck verdrängter Gefühle. Im Kontext von Social Media spielt vor allem die Komplexitätsreduktion auf den Plattformen eine Rolle.
Das einfache Schwarz-Weiß-Denken auf Tiktok und Co. liefert ein attraktives Lösungsangebot für Ambivalenzkonflikte: „Wenn wir gleichzeitig widersprechende Informationen oder Emotionen haben, ist das anstrengend“, sagt Kalkstein. „Wenn das nicht so gut gelernt wurde, dann gibt es eine Ansprechbarkeit für Ideologien, die vereinfachen.“
Warum boomt die Incelkultur, Frauenhass, Rassismus, Populismus gerade im Zeitalter der Digitalisierung. Ein Click und mein Weltbild bekommt Kontur, Gefühle werden kanalisiert, etc.Natürlich verfängt das zum Teil auch bei unsicheren Mädchen und Frauen. Ansonsten ließe sich nicht erklären, wie menschenverachtende Demagogen auch immer ein weibliches Fanlager vorzuweisen haben. Im Kern geht es aber um den Gewinn von vermeintlicher Überlegenheit und damit Kontrolle.
Aus dem Deutschlandfunk nochmals:

Mit ihren simplen Botschaften vermitteln sie Handlungsfähigkeit, Stabilität, Sicherheit und Kontrolle. „Dafür sind junge Männer empfänglich, die auf der Suche nach Orientierung sind.“

Um ein gewaltbereites Männlichkeitsideal und antifeministische Einstellungen zu bekämpfen, brauche es eine Pädagogik, „die Emotionen auslöse“, sagt die Psychologin Kalkstein. Jugendliche müssten lernen, ihre Gefühle zuzulassen und auszuhalten.

:clap::clap::clap::hugs::hugs::hugs:
Auch ein Learning der vergangenen Jahrzehnte, nein Jahrhunderte. Frauen tendieren dazu, Wut, Zorn und Verzweiflung über Lebensumstände- und Zustände nach innen zu kehren, sich selbst zu sabotieren und zu verletzen, wohingegen Männer eher einfach jemandem aufs Maul hauen, im kleinen wie im großen Stil. Eine Frage der Sozialisation? Der körperlichen Voraussetzungen?:thinking::slightly_frowning_face:

Womit Mann jedenfalls offensichtlich schlechter klarkommt, ist das Gefühl von Benachteiligung und mangelnder Anerkennung ( von außen). Ein Faktor, der u.a. in einer muslimisch geprägten Gesellschaft wiederum in Misogynie und sogar Fundamentalismus führen kann, so der Pädagoge Toprak:

„Vor allem diejenigen, die bildungsbenachteiligt sind, die soziale Anerkennung nicht anderweitig finden, suchen die Anerkennung über traditionelle Männlichkeitsnormen.“ Werte wie Loyalität, Stärke und Ehre würden unreflektiert übernommen und eigenen Verhaltensweisen oft mit religiösen Einstellungen erklärt.“

Es ist eigentlich nicht erschreckend und verwunderlich, dass es seit Jahr und Tag soviele (gerade junge) Männer gibt, die auf einen vermeintlich starken Führer stehen und sich ohne eigene Leistung an das obere Ende der Nahrungskette stellen wollen.
Erstaunlicher und wirklich faszinierend ist die Tatsache, dass es viele viele Männer gibt, die diesen Need nicht verspüren. Die sogar d‘accord gehen, dass alle Menschen gleichwertig- und wertig sind und gerne teilen. Eben weil sie wahrscheinlich kein Minderwertigkeitsproblem haben, welches sich durch Abwertung anderer Menschen oder Geschlechter äußert.:heart:

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Und das liegt dann mit guter Chance daran, dass sie positive Vorbilder hatten. Damit meine ich erst in zweiter Linie eine bewusste Ausrichtung Heranwachsender an einer männlichen Identifikationsfigur. Vorrangig hingegen die unbewusste Nachahmung in den ersten Lebensjahren, denn auf diese Weise lernen Kinder.

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Ich hatte da in den späten 80ern als damals angehender Teenager das vielleicht beste Vorbild, das man sich überhaupt ausmalen kann:

Jean Luc Picard von der Enterprise!

PS: und der Schauspieler Patrick Stewart steht dem obendrein kaum was nach - nur halt ohne utopische Zukunft sondern harte Realität als Rahmen…

Kann man nur dankbar sein, solche Menschen so zeitlich perfekt miterleben gedurft zu haben…

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[quote=„Gratschifter, post:143, topic:7481“]

Ich verstehe deine Fassungslosigkeit. Fassungslosigkeit ist immer häufiger meine erste Reaktion auf den Lauf der Dinge.
Aber wenn wir uns da rausziehen, dann ebnen wir dem Rollback endgültig den Weg. Ich hoffe, daß das von Deiner Seite aus (hoffentlich) nur bildlich gemeint ist.
[/quote]

Ist es. Raus im Sinne von Ich bin ratlos, nicht im Sinne von Kümmert mich nicht mehr.

Und erfreulicherweise hat mich @Women7 ja gleich erhört bei meinem Hilfeschrei…
Vielen Dank für Deine Zeilen, Charly!

Ja, von mir. :wink:

Ja, die Sache mit den Rollenvorbildern. Ich finde, der Vater in der Serie ist ja kein ganz schlechter Kerl. Ich meine, er ist kein Granaten-Arsch wie ein Trump oder Andrew Tate, sondern hat eigentlich keine schlechten Absichten - und doch ahnt man in manchen Details, was den Sohn unbewusst prägt. Und das sind eben scheinbar nicht die günstigsten Rollenmodelle.

Abseits gewisser Klischees, die ja immer auch einen wahren oder realen Kern wiedergeben (die Rolle der Frau/Mutter in der Care-Arbeit), habe ich wohl auch deshalb so eine instinktive Sympathie für die queere Szene, weil sich dort variablere Rollenbilder manifestieren, mit fluideren Ausrichtungen von Sexualität und dementsprechenden Toleranzen.
Man selbst wird ja (leider) nicht als Feminist geboren. Auch meine Entwicklung unterschied sich keineswegs von anderen in den späten Sechzigern Geborenen. Ich hatte aber, trotz der Prägung herkömmlicher Muster, früh Kontakt zu vielen beeindruckenden Frauen. Das hilft sicherlich.
Jedenfalls hab ich an mir dann schon früh in der Pubertät eine untypische Seite für Männer entdeckt (die sich übrigens bis heute gehalten hat):
Wenn du mich in einen Raum sperrst mit 20 mir unbekannten Männern und einer unbekannten Frau, dann sehe ich automatisch erst mal nicht viel Sinn darin, mich mit einem Mann zu unterhalten. Das hat weniger eine sexuelle Komponente - da wäre ich flexibel :wink:.
Dahinter steckt natürlich das Gefühl, in ein Gespräch mit demjenigen Menschen zu treten, der tendenziell interessantere, vor allem auch größere Einblicke in die Welt offenbaren könnte. Gewissermaßen auch eine breitere Gefühlspalette.
Das ist während einer Zeit des Heranwachsens, wo man sich selbst oftmals unsicher und verwirrt fühlt, definitiv von Wert - und steht im glatten Widerspruch zu den von @Women7 erwähnten simplen Botschaften, die man im Netz heutzutage so ausufernd aufschnappen kann.
Die Folgerung der Psychologin nach Pädagogik, die Emotionen auslöse, finde ich in diesem Zusammenhang tatsächlich stimmig und hilfreich. Ich habe in meinen zahlreichen sozialen Kontakten zum anderen Geschlecht eine so breite emotionale Palette kennenlernen dürfen, dass mir Gespräche mit meinem eigenen oftmals etwas simpel vorkamen.
Eine weitere Facette: Spreche ich als Mann/Junge mit Frauen/Mädchen, entfällt in der Regel dieses hochanstrengende kompetitive Element. (Wohl mit ein Grund, warum so viele Homosexuelle sich mit dem jeweils anderen Geschlecht so gut verstehen.) Da ich mit meiner Freundin nicht konkurriere, wenn ich mit ihr über eine Angebetete spreche, brauche ich meinen Gefühlshaushalt auch nicht verstecken oder schönreden.

In diesem Sinne:

Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass sich hinter den vermeintlich starken Führern allzu gern eine zutiefst verunsicherte Natur verbirgt. Damit jedoch wird das dauernde Gebot, an der Spitze der Nahrungskette zu stehen, unfassbar anstrengend - oder man braucht eben eine Masse hinter sich, damit man sich auch mal verstecken kann.
Letzteres wiederum kränkt zumindest für mich meine Eitelkeit und mein Bestreben, als Individuum und mit persönlicher Note wahrgenommen zu werden.
Aber klar ist, dass es dafür ein relativ stabiles Selbstwertgefühl braucht:

Da liegt der Hund begraben, zweifellos.
Man muss auf diese Psychologin hören (deren Name nicht Omen ist) , und auf @Women7 und all die anderen schlauen Frauen mit einer tieferen Kenntnis der Gefühle und Zusammenhänge. Es ist das komplexere, aber viel interessantere Leben.

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Die moderne Gesellschaft belohnt Intelligenz, Bildung, Herkunft und Beziehungen mit sozialem und ökonomischem Erfolg, Anerkennung und Macht. Menschen ohne Intelligenz, Bildung, Herkunft oder Beziehungen verwehrt sie sozialen und ökonomischen Erfolg, Anerkennung und Macht.

Radikale Parteien geben diesen ohnmächtigen Menschen die Anerkennung und Macht, die ihnen die Gesellschaft ansonsten vorenthält. Eine Stimme für die AfD ist ein metaphorischer Faustschlag gegen das System, das sie zu Verlierern macht, eine Stimme für die AfD ist ein metaphorischer Schuss konzentrierter Macht in den Arm.

Wer keinen Zugang hat zur Macht, muss die Basis dieser Macht zerstören, bevor er selbst Macht erlangen kann. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ ist heute noch genauso wahr wie damals. Macht kaputt, was euch verachtet; macht kaputt, was keine Zeit für euch hat; macht kaputt, was sich nicht für euch interessiert und euch sogar aktiv und mit Vorsatz schadet. Die radikalen Parteien sind die Macht des Machtlosen in einem System, das ihn nicht braucht, nicht belohnt und sich nicht für ihn interessiert, dessen Eliten ihm genüsslich schaden und ihn verachten. Mit Stimmen für radikale Parteien haben endlich auch die Ohnmächtigen mal die Chance, mächtig zu sein. Nichts macht die Eliten so fassungslos, wie eine Stimme für die AfD. Mit jeder Stimme für die AfD werden sie fassungsloser, mit jeder Stimme werden sie nervöser. Hui, das ist Macht. Mit Trump im Oval Office und mit Höcke im Kanzleramt sitzen metaphorisch auch der Hillbilly aus dem Mittleren Westen und der Nachwendeverlierer aus Görlitz auf dem Thron der Macht. Jetzt können sie die Karten des Systems endlich mal in ihrem Sinne ausspielen. Jetzt werden die anderen mal die Verlierer. Es wurde auch Zeit. Mal schauen, wie ihnen das schmeckt.

Die Verwandlung von Ohnmacht in Macht für Menschen, die die moderne Gesellschaft abgehängt hat, ist, da bin ich mir sicher, ein zentrales Element der Attraktivität radikaler Parteien.

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Ach, @Alex - wenn datt “mit Intelligenz und Bildung“ doch nur stimmen täte - isch tät dir küssen tun (keine Angst, rein bildlich gesprochen…)
Kein Merz wäre Kanzler. Kein Dobrindt Minister. Keine Weidel Bundestagsabgeordnete.
Und ganz sicher kein Trump US-Präsident.

„Herkunft und Beziehungen“ hingegen als Ticket to Power - da drink isch noch ene met - un stell misch nit esu ann.

Die moderne Gesellschaft belohnt Herkunft und Beziehungen mit sozialem und ökonomischem Erfolg, Anerkennung und Macht. Ich würde noch Geld hinzufügen - nicht zu den Belohnungen, sondern zu den Bedingungen.

Mit Intelligenz und Bildung wird man MSR-Moderator - @Alex @Lukenwolf1970 @jep @justin und Co. können nicht lügen.
German Chancellor oder Maga-Präsident wird man eher selten aufgrund von Intelligenz und Bildung. Viel eher wird Kim Kardashian PEN-Präsidentin. Oder Heidi Klum Bundespräsidentin.

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Spaß beiseite - natürlich hast Du mit deinem Fazit vollkommen recht.

Deine Kontrastierung von Ohnmacht und Macht gerade auch zur Herausarbeitung psychologischer Motive von AfD-Wähler:innen ist nicht nur sprachlich gelungen. Ich finde das zentral:
Keine Chance des White Trash auf gesellschaftliche Teilhabe - das ist sicher ein wesentliches Element des rechten Siegeszuges in den Industrienationen des Westens.

Eine leise Anmerkung: Hie und da kommt es bei Dir zur impliziten Gleichsetzung linker und rechter Parteien im Subtext.
Du referierst über die „Attraktivität radikaler Parteien“.

Du zitierst TonSteineScherben…

… in einem Atemzug mit Betrachtungen über …

Rio Reiser ist als schwuler Musiker und Anarchist eher kein Wegbereiter des heutigen Wutbürgertums. Und ich mag es nicht, wenn bedenkenlos rechte Parolen in einem Schei…Quirl mit linken Positionen vermischt und dadurch gleichgesetzt werden.
Ich möchte auch nicht Thomas Mann im einem sprachlichen Atemzug mit Joseph Goebbels genannt wissen - beides sicher sprachgewaltige Deutsche, Parallelen gäbe es schon.

Die sprachliche Gleichsetzung linker und rechter Inhalte als radikale Extreme am äußeren Rand der Gesellschaft suggeriert eine identische Gegnerschaft zur demokratischen Gesellschaft und erfüllt vor allem einen Zweck: Faschismus und Sozialismus in einem gemeinsamen Feindbild gleichermaßen zu dämonisieren. Inhaltliche Unterschiede werden nivelliert. Gleichzeitig vertieft dieses Narrativ den Graben zwischen bürgerlicher Mittelschicht und Arbeiterschaft - je weiter unten, desto weiter von der Mitte der Gesellschaft entfernt.
Aber ich weiß, dass das ein Nebenschauplatz deines Posts ist.

Einen anderen Aspekt hingegen finde ich wichtig und brillant formuliert:

Da scheint mir der Pudel seinen Kern vergraben zu haben. Einem Willy Brandt oder sogar Helmut Schmidt habe ich die Worte „Volkspartei“ oder „Volksvertreter“ noch abgenommen.
Aber wenn ein Blackrock-Fritze Merz katzbuckelnd zum Great Deal mit Good Guy Donald pilgert und lächelnd den monologischen Tiraden des Orange Utan beiwohnt - dann kann ich Menschen verstehen, die zum Schluss kommen, das dieses Affentheater mit unserer Lebensrealität nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun hat.

Die Männerfreundschaft zwischen zwei alten weißen Milliardärs-Säcken zerplatzt, wie in der schlechtesten Soap-Opera tragen die Maga-Dogen ihren Zwist auf Asocial Media aus - und die vierte Gewalt hängt wie gebannt an den Twitter-Lippen von Ketamin-Elon und Big-Deal-Donald. Erklärt kriegen wir dann später von Maischbecher, Lanz und Nuhr, wie sich das auf unsere Lebensrealität auswirken wird.

Und da wundern wir uns noch, wenn in Berlin-Neuköln oder Rostock-Lichtenhagen, wenn im 35sten Stock der Sozialwohnung die Glitzerwelt inner Glotze nicht mehr ausreicht, um jenes dumpfe Unbehagen im durchgesessenen Sofapolster noch zu übertünchen

Wenn ich nicht das Glück von „bisschen Bildung“ abgekriegt hätte… wer weiß, wes Lied ich heute sänge.

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Ich bin mir nicht ganz sicher, @Alex, worauf sich Dein Post bezieht.
Grundsätzlich bin ich auch Deiner Meinung, dass das ein Faktor sein wird, keine Frage.

Wenn Dein Beitrag sich jedoch auf unsere kürzliche Debatte um das toxische Männerbild bezieht, würde ich einhaken.

Ich glaube, wir können uns alle darauf einigen, dass es für die Hinwendung zu radikalen Parteien nicht die EINE kohärente Theorie gibt.
Was aber nicht gänzlich zu dem von Dir vorgebrachten Punkt passt - neben dem von @Gratschifter bereits genannten Punkt - passt, ist, dass der hohe Anklang (vermeintlich) starker, (vermeintlich) männlicher Führung auf einer furchtbar alten Überlegenheit in gesellschaftlicher Hinsicht fußt, nämlich dem Patriarchat. Es kann also keine Rede davon sein, dass man sich als Mann als abgehängt fühlen darf, als Teil einer unterdrückten, nicht beachteten, zurückgelassenen Gruppe - vielmehr ist das Gegenteil der Fall: es geht um die Verteidigung einer althergebrachten Struktur, die von einer anderen, bisher weitgehend ohnmächtigen Gruppe in Frage gestellt wird.
Gesellschaftlich also geht es nicht um die Verwandlung von Ohnmacht in Macht, sondern um die Beibehaltung oder Festigung von Macht.

Nun ist, wie wir uns ebenso sicher einig sind, vieles eine Frage der Psychologie, und ein leicht irrationales Element daher wenig verwunderlich. Deswegen bin ich immer vorsichtig, wenn Reize für die Wählerschaft eine schlichte Erklärung finden. Den von Dir beschriebenen klassischen Globalisierungs-Verlierer gibt es sicherlich, und wenn die (vermeintliche) Bildungs-Elite mit kaum verhohlener Verachtung auf die weniger Gebildeten blickt, ist das sicher nicht förderlich (und ein so offensichtlich ungebildeter, ungehobelter Klotz wie der amerikanische Präsident kann da sicher wie ein Antidot rüberkommen).
Trotzdem bin ich skeptisch bezüglich des Narrativs der Abgehängten und vermute, dass sich dieser Ansatz gerne mal verselbständigt. Obendrein müsste man vermuten, dass sich daraus eine Tendenz hin zu eher linksradikalen Parteien ergibt, die ja gemeinhin für den „kleinen Mann“ eintreten. Zu beobachten ist aber die massenhafte Hinwendung zu rechtsradikalen Bewegungen, deren Politik ganz sicher einer bestimmten Gruppe zugute kommt, ebenso sicher aber nicht den tatsächlich Abgehängten. Da wären wir wieder beim irrationalen Element.

Wo ich ganz bei Dir bin, ist der spezielle Einzelfall Donald Trump. Grade bei der oft empfundenen sprachlichen und kulturellen Dominanz linksliberaler (tatsächlicher) Eliten ist Trump das offensichtlich ohnmächtige Element, bisher weitgehend verlacht und ignoriert in seinem Streben nach Anerkennung, sobald er auf wirkliche Macht in Form von Bildung und Intelligenz traf. Da mögen sich viele wiedererkennen und mit identifizieren können.

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EDIT:
Tatsächlich würde ich gerne auch nochmal den von @Gratschifter zeitgleich genannten Punkt mit der (von Dir nicht beabsichtigten, aber inhärenten) Gleichsetzung linker wie rechter Radikalismen unterstützen wollen.

Ich habe da schon auch ein Unwohlsein, wenn man eine Parole von Rio Reiser argumentativ nutzt, um eine Hinwendung zu radikal rechten Bewegungen erklärbar zu machen.
Wenn man sich die geistigen Grundlagen und Einflüsterer der neuen Rechten mal genauer anschaut, wird natürlich schnell klar, dass die grade von dezidiert linken Taktiken lernen. Dann packt man halt gerne mal den Gramsci und den Reiser mit rein - warum soll man das, was für die Linken funktioniert hat, nicht ebenso nutzen?

Umso vorsichtiger sollten wir sein, solche Erklärungsmuster zu simplifizieren und auf ein vermeintlich zentrales Muster zurückzuführen.

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Nicht völlig unerwartet, nimmst Du mir wie immer die Worte aus dem Mund. Im Kontext des Wiedererstarkens toxischer Männlichkeitsideale (das war zuvor unser Thema der letzten 36 Stunden) ist nicht fehlende gesellschaftliche Teilhabe die alleinige Triebfeder. Sondern die Angst vor dem Machtverlust des Patriarchats in einer egalitären, bunten, queeren, pluralistischen und diversen Gesellschaft.
Wie Heidi Reichinnek ggü. Cem Özdemir spezifizierte: „Wenn seine Tochter in Berlin nachts auf der Straße Angst hat, dann sind nicht Migranten daran schuld. Sondern Männer.“ (PS: Danach kommen dann auch andere Aspekte wie kulturelle, religiöse, ideologische Hintergründe hinzu. Aber Gewalt gegen Frauen hat primär eine Ursache: Männer.)

Das ist der entscheidende Punkt in der Frage: Wie hängen der Rollbäck von politischem Rechtsruck und gesellschaftlichem Männerbild zusammen?
In beidem geht es um ein rekursives, reaktionäres, restauratives Weltbild - um die idealisierte Verklärung vergangener Gesellschafts- und Machtstrukturen - und die sind patriarchal. Es ist kein Zufall, dass Reichsbürger-Flaggen in den Vorgärten Konjunktur haben - das Schwarz-Weiß-Rot des preußischen Kaiserreichs vor dem Verlust seines Weltmachtstatus als führende Kolonial- und Militärmacht Europas symbolisiert jene Welt, in der die Uniform („Wo hammse jedient?“) noch den wahren Mann macht.

Mit ein wenig Aufklärungs-Hoffnung im Socken könnte ich den Rollbäck der dummen weißen alten Milliardärs-Männer als letztes Rückzugsgefecht einer patriarchalen Denkweise ggü. einer offenen Pride-Gesellschaft sehen. Donald Trump und Andrew Tate wären dann die grauen Neandertaler, die sich über kurz oder lang dem queeren, diversen und bunten Homo Sapiens ergeben müssten.

Meine Europa-Karte (s. Post Nr. 144) und die Follower-Zahlen von Tate und Trump sprechen eine weit weniger hoffnungsvolle Sprache.

Einziger Einspruch, Euer @cheffe Ehren !
Wenn „Bildung und Intelligenz“ die wirkliche Macht stellten, dann wäre Musk nicht der reichste Mensch der Welt. Und Trump nicht Präsident.
Die wirkliche Macht liegt immer noch in den
Vermögen auf der hohen Kante. Und im Zweifelsfall in den Gewehrläufen - wie Putin zeigt.

Wie gesagt @cheffe : Unsere Aufklärungs-Hoffnung ist eine gemeinsame. Und stirbt zuletzt.

Zur Zeit aber herrschen nicht Bildung und Intelligenz. Und sie sind auch nicht auf der Siegerstraße - bei weitem nicht.

Ich zitiere in diesem Zusammenhang immer wieder gerne Warren Buffett.
Als er noch der reichste Mann der Erde war (heute ist er nur noch auf Platz 6 - weil er inzwischen ein Drittel seines Vermögens in wohltätige Stiftungen seines Freundes Bill Gates überführt hat), antwortete Buffett …

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In diesem Zusammenhang möchte ich an die hier kürzlich breit diskutierten und in ihrer Kernaussage nicht allein dastehenden Studien erinnern: die Wählerschaft der AfD rekrutiere sich nicht in erster Linie aus den untersten Einkommensschichten (von einer Arbeiterklasse kann man heute ja genauso wenig mehr sprechen wie vom in Marxscher Diktion sogenannten Lumpenproletariat), sondern aus denjenigen, die den Abstieg fürchten; so stieg übrigens auch die NSDAP in den 1920er Jahren auf. Damit verschieben sich auch die Akzente, was die detaillierte Betrachtung ihrer Motive anbelangt. Die von Dir geschilderten Emotionen wandern in den Rang von Behauptungen, wenn sie denn überhaupt so artikuliert werden. Anekdotische Ausnahmen - Entrechtete, die wie von Dir dargestellt mit einiger Berechtigung so empfinden, aber die falschen Schlüsse daraus ziehen - gibt es selbstverständlich.

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Das stimmt natürlich.
Ich bezog mich auf die diskursive Macht. Die Macht der Intellektuellen in den üblichen Debattenräumen oder in den Feuilletons, in der Wissenschaft oder auch in den Treffen einer elitären gesellschaftlichen Schicht.
(Exemplarisch sei hier das mittlerweile legendäre Dinner genannt, als Präsident Obama sich vor versammelter New Yorker Hautevolee über Trump lustig machte, und das heute gemeinhin als Geburtsstunde des gedemütigten Donald gilt, um selbiges Amt anzustreben.)

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I know I know.

Und das ist ein zentraler und wichtiger Punkt - die Arroganz und der Dünkel der reichen Linksliberalen in den USA, der sich wie ein roter Faden durch Hollywood, Harvard und Yale zieht.
Wir machen dieselben Fehler in unserem Land. Das eloquent talkende Entsetzen eines Markus Lanz oder Günther Jauch über den ach so unverständlichen Aufschwung der AfD ist immer noch extrem gut gekleidet, teuerst frisiert, fährt schick Auto und wohnt exklusiv in Potsdam.
Auf dem Rücksitz einer Limousine jammert es sich halt bequemer.

Nicht nur das erinnert mich an die goldenen Zwanziger, als Berlin auf dem Vulkan tanzte und der Hass auf die bunte, queere, diverse Welt einer Josephine Baker zur Welle wurde, auf der ein uniformiertes, patriarchales, antidemokratisches Führer-Ideal wieder nach oben geschäumt wurde.

Ein bisschen fühle ich mich wie in der „Farm der Tiere“: Der pessimistische, doch gutmütige Esel Benjamin und seine Freundin Muriel, die weiße Ziege, kennen die sieben Gebote und können sie auch lesen.
Aber die Schweine haben die Macht - und die Schafe blöken alles Nachdenkliche in Grund und Boden: „Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht“

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