Der Politik- und Gesellschafts-Thread (Teil 3)

Oh ja, @Alex, des bin ich mir durchaus bewusst. Ein bisschen Populismus, satirische Zuspitzung und rhetorische Verkürzung finde ich zulässig - wie Du das auch tust, nur nicht so offensichtlich.

Du reduzierst bewusst meinen Post auf einen populistischen Versuch, indem Du ihm unterstellst, simplifizierend, faktenverdrehend und emotional manipulativ und aufstachelnd zu sein.
Simplifizierung der Zusammenhänge - klar. Dies Forum ist weder eine wissenschaftliche Abhandlung zum Steuerrecht (obwohl ich es sehr spannend fände, hier mit dir in einen Exkurs zum Thema Steuergerechtigkeit in den USA und Deutschland zu gehen) noch eine Dissertation über Vor- und Nachteile kapitalistischer Gesellschaftssysteme.
Das einzige Faktum, das ich nach der Lektüre deiner Antwort verdreht habe, ist die falsche Angabe der Körperschaftssteuer. Dank dir für die Richtigstellung; ich hatte tatsächlich die Steuersätze von Körperschafts-und Kapitalertragssteuer verwechselt. (siehe unten)
Die emotionale Aufstachelung - hmm - neben meiner stillen Freude, dass sie offenbar deine Wut („Empörung, Wut, Neid, Hass“) hervorgebracht hat, stehe ich dazu. Es ist in meinen Augen kein Zeichen von politischer, moralischer oder argumentativer Reife, ungerechten Zuständen ggü. stets gelassen und ruhig zu bleiben. Mir zu unterstellen, ich wolle bewusst Hass befördern mittels sprachlicher Manipulation - nun ja, da bleibt auch mein Auge nicht mehr trocken (mein Mund hingegen schon). Offenbar traust Du Deinen Mitleser:innen nicht allzu viel intellektuelle Selbständigkeit zu, wenn Du befürchtest, dass sie der populistischen Rattenfängerei des Agitators ins Netz gehen. Eine Parallele mit AfD-Agitation oder der Rhetorik eines Goebbels brauchst Du gar nicht mehr auszusprechen - das ist nach Deiner Einleitung auch zwischen den Zeilen klar geworden.

Dein Aufhänger, dass ich zu den Verschwörungstheoretikern gehöre, die MuskTrump eine absichtliche Rezessionsverschärfung, ist faktisch falsch.
Ich habe exakt das Gegenteil geschrieben. Sinngemäß: „Es ist mir piepegal, ob wir denen Absicht nachweisen oder nicht.“ Du zitierst das sogar. Um dich dann aufzumachen, wortreich genau diese Verschwörungstheorie zu widerlegen, die ich weder vertreten noch gutgeheißen habe. Das halte ich für rhetorisch manipulativ. Und ich fürchte, Du machst das bewusst.

Auch wenn ich diese idiotische Verschwörungstheorie nie vertreten habe - eines hab ich mich beim Lesen deiner Argumentation schon gefragt:
Wenn jemand wie Musk, der sichtbar an den exekutiven Hebeln der Macht sitzt (im Ggs. zu Zuckerberg, Bezos, Thiel, die im Hinterzimmer bleiben) - wenn jemand wie Musk in Kauf nimmt, erst mal über 100 Mrd. über Bord zu werfen, was, bitte, ist sein Motiv dabei? Christliche Nächstenliebe etwa, Altruismus oder selbstlose Liebe zu seinem Vaterland? Glaubst Du im Ernst, Elon würde unvernünftig, irrational in Bezug auf sein Vermögen handeln? Das hingegen glaube ich nicht.
Mann erschafft kein Vermögen von über 400 Mrd. mit unvernünftigem Verhalten.
Ich weiß von Musks Vermögensverlust, seitdem diese 125Mrd auf Instagram viral gingen - das war vor drei Wochen. Laut Forbes besaß er im Januar 423 Mrd. Ende März sind es laut Statista 342 Mrd., laut Forbes hingegen 328 Mrd. Ja, ich habe nicht darauf hingewiesen.
Ob Größenwahn oder Gleichgültigkeit die psychologische Triebfeder von Musks Handeln ist, ist mir genauso piepegal wie die von dir widerlegte Verschwörungstheorie, die ich nie vertreten habe.

Entscheidend ist für mich bei der ganzen Debatte um Milliardäre ein einziger Punkt:
Es ist für einen einzelnen Menschen schei…egal, ob er 420 oder 320 Mrd. besitzt. Für den Einkauf reichts immer noch. Entscheidend ist: Was bleibt nach Steuern?

Im Thema effektive Steuerbelastung kann ich dir nicht das Wasser reichen.

Aber Schulmathematik beherrsche ich.
Entscheidend is‘, watt unterm Strich übrig bleibt.
Wenn ich 68.480 € jährlich verdiene, greift der Spitzensteuersatz von 42%. Bleiben mir 39.720 - sind 3.310 monatlich. Nich üppig mit 2 Kindern und Urlaub. Aber geht.
Ab 68.480 Jahres-EK steigt die Steuer nicht mehr weiter.
Also bleiben bei 100Tsd Jahres-EK 58.000 nach Steuern - 4.830 monatlich. Kann man schon von leben.
Bei 275Tsd Jahres-EK bleiben 159.500 nach Steuern - 13.290 monatlich. Da is schon mal ne Jahreskarte beim FCB drin.

Wenn ich 277.826 € e per anno verdiene, greift endlich die sog. Reichensteuer. Alles oberhalb dieser Grenze wird dann mit 45% versteuert. Der Einfachheit ignorieren wir diese 3% Differenz (ich kann nur Schulmathe) und rechnen einfach mit 45% Steuer.
500 Tsd. PA - bleiben 290 Tsd - 24.160 monatlich.
1 Million PA - bleiben 580 Tsd - 48.320 monatlich.
Uswusf.

Die Frage, die sich die verschwindende Mittelschicht stellt (von denen unten ganz zu schweigen), ist simpel:
Wie hoch muss ein Monatseinkommen sein, damit es als ausreichend gedeckelt wird?
5 Tsd.? 10 Tsd.? Ab wann wird es grotesk?

80% der Deutschen verdienen jährlich unter 50.000 vor Steuern.
Über 500.000 verdienen 0,16% der Deutschen, über 1 Mio. 0,07%. (Statista-Zahlen aus 2019).
80 % der Deutschen kommen monatlich mit weniger als 2.420 € aus. Das ist zuwenig.
Das ist meine Haltung zur Steuergerechtigkeit in Deutschland.

Die in Deutschland seit 1997 ausgesetzte Vermögensteuer auf Privatvermögen ist mMn ein sozialer Skandal. Zur Erinnerung: das Bundesverfassungsgericht mahnte damals die ungerechte Bewertung von Grundbesitz an und forderte die Regierung auf, dies zu ändern. Das BVerfG hat NIE die Aufhebung der Vermögensteuer legitimiert. Seit 28 Jahren (!!!) nun ist das den wechselseitig Regierenden CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen schnurz wie piepe. Wir haben wichtigeres zu tun. Den öffentlichen Kassen entgehen jährlich geschätzte 20 Mrd. - bei einem moderaten Steuersatz von 1%. Aber wir haben ja Sondervermögen - da brauchen wir datt gar nich.

Deinen Diskurs in der Folge zum Thema „Ham die Milliardäre ihren Reichtum verdient, ist Milliardärstum gerecht und sinnvoll“ finde ich spannend. Diesen Diskurs führe ich gerne mit dir weiter.
Ob hier allerdings, wie Du postulierst, das Bestreben der Handelnden vorrangig ist, „für ein gutes Leben ihrer Mitglieder zu sorgen“, - Sorry, aber das Monatseinkommen von 80% dieser Mitglieder spricht eine andere Sprache.

Zur Frage, was eigentlich die intrinsische Motivation der Milliardäre (0,003 % der Bevölkerung - egal, ob in den USA oder in Deutschland) ist, zitierte Georg Schramm gerne Warren Buffett:

Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Es ist der Milliardär, der hier von Klassenkampf spricht, nicht der populistische @Gratschifter.

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