Stimmt, natürlich.
Ich dachte halt, dass das trotzdem nicht nur als geschmacklos wahrgenommen werden könnte, sondern einen gläubigen Menschen sogar zutiefst befremden müsse. Aber um ehrlich zu sein, fällt es mir sehr schwer, mich in solche Leute hineinzuversetzen.
Aber auch ohne diese klassische Trump-Aktion fand ich die Bilder der Woche im Zusammenhang mit der Beerdigung wirklich schwer erträglich, absurd sogar. Dabei sollte ich als Atheist da drüberstehen. Aber diese ganzen Kleingeister da vor dem Grab eines (so kam er mir zumindest vor) zutiefst anständigen Menschen auflaufen zu sehen, die in jeglichen Zusammenhängen das genaue Gegenteil von dem abbilden, wofür Franziskus stand - das ist schon bitter. Und unser Trump heißt übrigens Söder. Das Selfie gehört für mich in die gleiche Kategorie: Narzissten ohne Gefühl und Empathie. Passt wahrscheinlich in unsere Zeit.
Ich gehe im Folgenden auf deinen Post zum Thema „Sportjournalismus“ (Mitbewerber-Bundesliga/International- Thread) ein, lieber @Alex, den ich sehr lesenswert und wie immer lehrreich finde . Da meine Antwort Teil 1 etwas ausuferte, bevor sie sich überhaupt mit deinen Ausführungen zum Sportjournalismus auseinandersetzen konnte, verschiebe ich sie hierher in den Politik-Thread - hoffentlich mit deiner Zustimmung.
Hier der Link zu @Alex vollständigem Artikel zum Sportjournalismus - bitte lesen!
Mein Artikel bezieht sich nur auf deine ersten, noch nicht sportspezifischen Absätze.
Ich bin kein Antikapitalist. Woher nimmst Du das? Hab ich je irgendetwas behauptet, was belegt, dass ich ein antikapitalistisches Wirtschaftssystem fordere? Zitate?
Das ist ebenso aus meinen Äußerungen zusammengereimt wie umgekehrt mein
Der einzige Unterschied in puncto ökonomischem Standpunkt zwischen uns beiden ist, dass ich bei der Bewertung dessen, was besser nicht „durch den Markt geregelt werden“ sollte, vermutlich zu anderen Ergebnissen komme.
Die von Dir genannten Beispiele hätte ich genauso genannt. Und dass ich dir unterstellen wollte, Du würdest
für sinnvoll halten, weil es eine Nachfrage danach gibt, das ist eher billiger rhetorischer Populismus, den keiner von uns beiden nötig hat und der uns beiden auch nicht gerecht wird.
Ich setz deine Liste der verabscheuungswürdigen Märkte mal fort:
Drogenhandel? Klar.
Menschenhandel und Schlepperbanden? Klar.
Zwangsprostitution? Klar.
Waffenhandel und Kriegsgewinn? Klar… äääh.
Unregulierte Kapitalakkumulation in den Stockmarkets durch Hedgefonds, die über höhere Budgets als die der Staatshaushalte verfügen? Neee, also … der Kapitalmarkt muss weiter dereguliert bleiben.
Wie Ryan Gosling in The Big Short erklärte: „Wenn die Hypothekenanleihen das Streichholz waren und die CDOs die kerosingetränkten Lappen, dann waren die synthetischen CDOs die Atombombe, über deren Knopf ein betrunkener Präsident den Finger hielt."
(CDOs, zu deutsch: gesicherte Schuldverschreibungen, bewirkten im sub-prime-Kollaps der US-amerikanischen Immobilienblase 2008 in etwa das, was Wasser bei einem Fettbrand bewirkt…)
Ich nehme dein Beispiel Kinderarbeit.
Geht unsere Politik entschieden genug gegen Profiteure von Kinderarbeit vor? Verbot des Verkaufs von Textilien aus Kinderarbeit etwa? Konsequente Durchsetzung des Lieferkettengesetzes, etwa in der Schokoladenindustrie?
Selbst wenn politisch gewollt, wie bei der Bekämpfung der Kinderarbeit: Multinationale Konzerne entziehen sich der nationalen Gerichtsbarkeit oder arbeiten mit Lieferanten zusammen, die das Lieferkettengesetz vor Ort brechen. Und in unseren Supermärkten liegt weiterhin Schokolade aus den Cacao-Plantagen der Elfenbeinküste und Ghanas. 1,5 Millionen Kinder arbeiten dort, zum Teil von Sklavenhändlern aus Mali und Burkina Faso verschleppt.
Nestlé, Mars, Lindtt, Storck und Ferrero unterzeichneten 2001 ein freiwilliges Protokoll zur Abschaffung der Kinderarbeit im Kakaoanbau – das nach zwei US-Senatoren benannte Harkin-Engel-Protokoll. 2020 kam eine Studie der US-Regierung zum Ergebnis, dass die Kinderarbeit seit 2000 nicht abgenommen, sondern im Gegenteil sogar zugenommen hat.
Aber solange Primark T-Shirts aus asiatischer Kinderarbeit für 3 € und unsere Supermärkte Schokolade für 79 Cent anbieten dürfen, gibt es auch einen Markt dafür. Und von den extremeren Beispielen der Kinderarbeit (Arbeit in den afrikanischen Fördergruben für seltene Erden, Silber, Gold, Edelsteine, Platin) und deren Nutznießung haben wir noch gar nicht angefangen…
Wir beide gehen bei der moralischen Bewertung der Märkte, die reguliert werden sollten, lediglich unterschiedlich weit. Ich bewerte Exzesse des Kapitalismus (vermutlich) verschieden wie Du. Und bekämpfe diese Exzesse vehement argumentativ und politisch.
Ich habe ein Jahr Lebenserfahrung in puncto Staatskapitalismus der UdSSR und weiß, wie sich eine völlig versagende Ökonomie unter der Diktatur einer pseudoproletarischen Gerontokratie anfühlt, wenn man dort lebt. Ich weiß, was Korruption, Seilbande, Überwachung, Günstlingswirtschaft, Lobbyismus, totalitäre Repression, Manipulation der öffentlichen Meinung und jahrzehntelange Misswirtschaft mit Menschen machen. Deswegen bekämpfe ich sie, wo immer ich ihnen begegne. Über den Titel „Antikapitalist“ kann ich nur müde schmunzeln.
Ich war froh, die Gesundheitsversorgung in deiner Liste der Bereiche zu finden, die nicht unreguliert dem Markt überlassen werden dürfen.
Dann machen wir uns demnächst gemeinsam an die Deprivatisierung des deutschen Gesundheitswesens? Nein?
Na, zumindest sollten alle arbeitenden Menschen gleichermaßen in die staatliche Gesundheitsversorgung einzahlen? Auch nein? Wenigstens die Regelung einer Beitragsbemessungsgrenze für KK-Beiträge infrage stellen? Auch nein?
Du siehst: Bis die Menschheit bessere Lösungen für ökonomische Fragen als die der kapitalistischen Produktionsweise gefunden haben wird (und das hat sie noch nicht), streiten wir lediglich über das Wie, nicht jedoch über das Ob.
Du musst dich vermutlich mit dem Gedanken anfreunden, dass es linke Kapitalisten gibt - auch wenn‘s vielleicht n bisschen wehtut, weil das praktikablere Feindbild vom naiven sozialistischen Träumer flöten geht.
So wie ich den real existierenden Sozialismus von links attackiert habe, tue ich es auch mit der Wirtschaftsform, die in manchen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erstaunliche und kaum für möglich gehaltene Fortschritte für die Lebensbedingungen vieler Menschen ermöglichte: mit dem Kapitalismus.
Um es mit Deinen Worten zu sagen:
Das unterschreibe ich Wort für Wort. (Woher stammt dieses Zitat? Interessehalber…)
Und entschuldige mich, wenn Du bisher den Eindruck gewinnen musstest, ich würde Dir unterstellen, „Freie Märkte überall und am besten unreguliert“ anzubeten. Mir ist klar, dass Du das viel differenzierter betrachtest. Allerdings musst Du mir gestatten, dass ich im Lager des ökonomischen Neoliberalismus viel weniger Vertreter deiner Reflektiertheit finde, dafür umso mehr Apologeten der Heiligen Kuh (resp des Holy Bull) Marktderegulierung. Und da vergleiche ich schon mit Aspekten einer angebeteten Religion - oder dem Tanz um das goldene Kalb. (Prima, Bulle, Kuh, Kalb - da hätte mer die Heilije Famillich ooch sprachlich beienand!)
Über die weitere Entwicklung des Kapitalismus und das regulatorische Abstecken seiner Spielfelder im 21. Jahrhundert streiten wir uns gerne weiterhin.
Als erklärte Kapitalisten
Wie der Blick auf den britischen NHS zeigt, ist ein vollständig staatlich organisiertes Gesundheitssystem nicht notwendigerweise besser als ein privatwirtschaftlich organisiertes.
Die Gegenüberstellung von staatlich und privat konstruiert eine falsche Differenz. Es geht um Anreize und Effizienz. Ob die Ärzte und Krankenschwestern in einem privaten oder staatlichen Krankenhaus für einen privaten oder staatlichen Chef arbeiten, ist letztlich zweitrangig. Entscheidend für die Qualität der Versorgung sind die Anreizstrukturen, in denen diese Menschen arbeiten, und die regulatorische Ausgestaltung des Gesundheitswesens.
Dass das Gesundheitswesen privatwirtschaftlich organisiert sei, ist ohnehin ein Witz. Es gibt kaum eine Branche, die stärker und umfassender staatlich reguliert ist. Das fängt bei den Versicherungsbeiträgen an und hört bei den Medikamentenpreisen und kleinteiligsten Personalvorschriften noch lange nicht auf. Marktwirtschaftliche Strukturen existieren hier allenfalls in speziellen Teilbereichen.
Tun sie das nicht?
Klar, kann man machen. Systematisch denkende Menschen werden sich bei diesem Vorschlag daran stören, dass gerade die Krankenversicherung eine Versicherung ist und z. B. das Risiko eines Beinbruchs nicht von der Höhe des Einkommens abhängt und Umverteilungsfragen daher besser über das Steuersystem geregelt werden sollten.
Nö, ich habe keine Feindbilder.
Kinderarbeit wie die auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste ist extrem bitter. Was ist die Lösung?
Ääh… von mir. Das ist kein Zitat. Ich habe den Satz nur als wörtliche Rede kennzeichnen wollen.
Glaube ich nicht. Ich glaube, der radikale Marktapologet ist nur eine imaginäre vereinfachte Karikatur, die ausschließlich in den Köpfen ihrer Kritiker existiert, damit Ihnen das Daranabarbeiten leichter von der Hand geht. Stichwort Feindbilder.
Richtig. Über die Krankenversicherung praktisch eine zweite Einkommensteuer zu implementieren: dieser Wunsch wird immer mal wieder vorgetragen; es ist aber systemwidrig, jegliche Relation zwischen Beitragsvolumen und Leistungsversprechen zu eliminieren. Worüber man stattdessen nachdenken sollte, wäre eine präzisere Ausgestaltung der kostenlosen Versicherung von Familienmitgliedern in der gesetzlichen Krankenversicherung, die selbstverständlich grundsätzlich sinnvoll ist. Sie wird nur in nennenswertem Ausmaß von Personen genutzt, deren materielle Lage diese soziale Wohltat - vorsichtig gesagt - überflüssig macht.
Wenn man sieht, wie die AfD über das Scheitern von Merz im ersten Wahlgang frohlockt und der Hoffnung Ausdruck gibt, es möchten doch bitte CDU-Abweichler dafür verantwortlich sein, die - verknappt zusammengefasst - aus Einsicht in die Notwendigkeit die Tür für eine Kooperation mit der AfD öffnen wollen: dann muss man unweigerlich an die Berichte gleichartigen Inhalts aus CDU- und CSU-Kreisen denken. Vor zehn Tagen verlinkte ich dazu diesen ZEIT-Kommentar mit ein paar Anmerkungen von mir.
Eben sagte Renate Künast in der ARD ganz richtig: „Wie will man die anstehenden großen Aufgaben bewältigen, wenn das schon nicht klappt?“
Dass 18 Abgeordnete aus einer oder beiden Fraktionen sich verweigern, weckt große Befürchtungen. Als bei uns in S-H Heide Simonis in vier Wahlgängen jeweils eine Stimme zur Wahl als Ministerpräsidentin fehlte bei wiederholt erfolgreichen Probeabstimmungen, war klar: da handelt es sich um einen Akt persönlicher Rache (fraglich nur, von wem); unschön, aber politisch weit weniger gewichtig als die aktuelle Situation, die auf einen Machtkampf um die künftige grundsätzliche Ausrichtung der Union hinzudeuten scheint.
Wenn die AfD jetzt im 2. Durchgang geschlossen für Merz abstimmt und ihn somit zum Kanzler macht, kann er eigentlich gleich zurücktreten. Dann gäbe es vermutlich Neuwahlen?
Es ist ja eine geheime Wahl. Woher der Überhang an Stimmen dann käme, ließe sich nicht sicher zuordnen. Die AfD könnte ihn für sich reklamieren, müsste aber damit rechnen, dass z.B. die Grünen zumindest teilweise ähnlich agieren; Hofreiters Äußerungen konnte man zumindest so interpretieren, dass man darüber nachdenkt. Für die AfD interessanter dürfte ein erneutes Scheitern und ein daraus resultierender Rückzug von Merz sowie ein Canceln der Koalition mit der SPD sein; denn es gab ja bereits solche Statements aus der Union.
Neuwahlen jetzt wären politischer Selbstmord der Union.
Die Frage ist meines Erachtens (ohne meine Vermutung verifizieren zu können), was da eigentlich in der Union abgeht. Ich bin da bei @jep’s Ansatz und befürchte am ehesten, dass sich da eine Gruppierung innerhalb der Union ihren ganz eigenen Plänen widmet. Ich möchte eigentlich nicht so verschwörungstheoretisch raunen, aber ob die Entscheidung, Jens Spahn zum Fraktionsvorsitzenden zu machen, diesbezüglich so klug war…
Jedenfalls, unabhängig, wie man zu Merz steht:
Freuen kann das eigentlich niemand im Lager der Demokraten. Die Herausforderungen sind groß, und wenn schon die eigentlich obligatorische Wahl so schiefgeht - nun ja.
Für einen individuellen Denkzettel sind es mir eigentlich zu viele Stimmen, die da fehlen. Die Mehrheit der Möchtegern-Koalition ist ja nicht riesig, aber doch stabil (12 Stimmen Mehrheit, aber letztlich 6 zuwenig in der Abstimmung, wenn ich es richtig im Kopf habe).
Offenbar läuft es jetzt auf Freitag hinaus für einen zweiten Wahlgang. Und das werden heiße Tage, Tage voller Spekulation, Medien-Getrommel, und, soviel kann man sicher sein, ausufernden Hintergrundgesprächen der Herren Generalsekretäre. Denn eines ist klar:
Irgendjemand hat da seinen Laden definitiv nicht im Griff.
Man kann (und es ist wirklich surreal, dass ausgerechnet ich das schreibe) nur hoffen, dass Merz seine Affekthandlungen im Griff hat und sich nicht (wie schon so oft) in den Schmollwinkel zurückzieht. Jetzt könnte er jedenfalls beweisen, dass er der Aufgabe an sich gewachsen ist - wenn es dafür nicht schon zu spät ist.
Ich wollte Merz ganz sicher nicht als Kanzler sehen. Meiner Meinung nach ist er eine komplette Fehlbesetzung.
Trotzdem: Das heutige Geschehen lässt mich einigermaßen schockiert zurück.
Das Gerede von „Diese Regierung ist die letzte Chance für die Demokratie in Deutschland“ finde ich noch immer übertrieben.
Aber wir bewegen uns so konsequent Richtung Sackgasse, da wird einem schon mulmig.
Wow, habe mir (aus gesundheitlichen Gründen „other fish to fry“ und der Politikthread einfach zeitmäßig mit Abstand das übelste Fass ohne Boden auf MSR ) eigentlich Abstinenz hier verordnet - aber das ist ja wirklich kaum zu glauben und an Watschn quasi nicht mehr zu übertreffen:
Erstes Mal in der Historie der Bundesrepublik, herzlichen Glückwunsch, Herr Merz - sooooooo well deserved!!!