@Gratschifter: Danke für Dein Engagement.
Erstens: Ich bin nicht der Meinung, dass
Es gäbe sicher ganz ausgezeichnet funktionierende Märkte für Kinderarbeit und Sklavenarbeit, wenn es keine Regeln dagegen gäbe. Bin ich der Meinung, dass es diese Märkte geben sollte, nur weil sie gut funktionieren würden? Hmmm… lass mich mal überlegen… ääh: nein?
Ein Fehler, den Du und Antikapitalisten wie Du in der Auseinandersetzung mit Leuten wie mir, die den Kapitalismus gut finden, immer wieder machen, ist zu unterstellen, wir fänden (freie) Märkte universell sinnvoll: „Der Markt regelt das.“
Aber das ist falsch, zumindest für mich. Es gibt sehr viele Bereiche, in denen Märkte
- nicht existieren sollten (siehe z. B. oben)
- unreguliert gesellschaftlich suboptimale Ergebnisse hervorbringen (z. B. zu hohen CO2-Ausstoß, Umweltverschmutzung)
- unreguliert bestimmte Güter nicht von selbst in einem gesellschaftlich wünschenswerten Maße bereitstellen (z. B. Kultur, Gesundheitsversorgung).
Märkte sind ein Mittel zur Allokation von knappen Ressourcen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Präferenzen. Unter bestimmten Bedingungen, z. B. bei eindeutiger und vollständiger Bestimmung der Eigentumsrechte an den zu verteilenden Ressourcen, übertreffen Märkte alle anderen Formen der Allokation (z. B. durch einen zentralen Planer) hinsichtlich Effizienz und größtmöglicher Bedürfnisbefriedigung aller Akteure bei weitem.
Wofür ich plädiere (und mit mir vermutlich viele andere, die so denken wie ich), ist nicht: „Freie Märkte überall und am besten unreguliert; nur das führt zum Heil“, sondern: „In erstaunlich vielen Bereichen, die vor der Herausforderung stehen, knappe Ressourcen gesellschaftlich bestmöglich zu verteilen, sind Märkte dafür die effizienteste Methode. In diesen Bereichen sollten Märkte möglichst ungehindert agieren können, nachdem das Spielfeld für sie regulatorisch abgesteckt worden ist.“ Märkte sind ein Instrument, nicht etwas Anzubetendes.
Zweitens: Meine Frage, ob Fußballjournalismus kritisch sein soll, entsprang nicht einer blind affirmativen ökonomischen Logik nach dem Motto: „Es gibt einen Markt dafür, also ist es gut“ (an wirtschaftliche Aspekte habe ich dabei gar nicht gedacht; Du hast eine größere Obsession damit als ich ).
Deine ursprüngliche Frage, was soll Journalismus, geht schon in die richtige Richtung.
Für mich ist es nicht a priori klar, dass der Fußballjournalismus die gleichen Anforderungen an Unparteilichkeit, Objektivität, Sachlichkeit und kritische Auseinandersetzung mit seinem Berichtsgegenstand erfüllen muss wie der Journalismus, der sich mit der demokratisch gewählten Regierung unseres Gemeinwesens auseinandersetzt. Die Menschen, die in unseren Parlamenten und Regierungen sitzen, entscheiden in unserem Namen über die Einrichtung unserer Gesellschaft und damit über Dinge, die uns auf vielfältige Weise alle und ständig betreffen, bis hin zur möglichen Erleidung von Gewalt, wenn wir uns nicht an die Regeln halten, die diese Menschen für unser Zusammenleben aufstellen.
Da wir nicht alle ständig in Berlin sein können, um die Regierungsgeschäfte unserer Volksvertreter aus erster Hand zu verfolgen und zu beeinflussen, wir aber dennoch informiert sein wollen und müssen, um uns in Form unserer Volksvertreter vernünftig selbst regieren zu können, liegt es auf der Hand, dass es einer intensiven, unparteiischen, sachlichen, objektiven, umfassenden, kritischen, multiperspektivischen und distanzierten Berichterstattung bedarf, um uns als mittelbare und unmittelbare Subjekte der Entscheidungen unserer Volksvertreter auch nur in die Nähe dessen zu bringen, informierte Entscheidungen über die politische Ordnung unseres Gemeinwesens treffen zu können.
Profifußball ist ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Es wird ein Unterhaltungsprodukt produziert, an dessen regelmäßigem Konsum wir uns erfreuen. Es werden dort aber keine politischen Entscheidungen getroffen, die uns in unserer gesellschaftlichen Existenz und unserer Möglichkeit, uns als Individuen nach unseren Vorlieben frei zu entfalten, unmittelbar betreffen. Im Profifußball wird nicht darüber entschieden, ob ich mein Kind morgen auf diese oder jene Schule schicken muss, ob ich für einen Ladendiebstahl drei oder zehn Jahre ins Gefängnis muss, ob ich von meinem Einkommen 20 oder 40 Prozent an den Staat abgeben muss, ob ich diese oder jene Heizung kaufen muss oder ob ich mein Leben selbst beenden darf oder nicht.
Sind die Anforderungen an den Journalismus in einer Unterhaltungsindustrie dieselben wie in der Auseinandersetzung mit der rechtlichen und politischen Einrichtung unserer Gesellschaft?
Ich persönlich sehe den Fußballjournalismus als Teil der Unterhaltungsindustrie. Sein primärer Zweck liegt darin, den Genuss an dem Produkt, über das er berichtet, für das Publikum, an das er sich wendet, zu steigern. Auch kritische Berichterstattung kann den Genuss steigern, aber sie ist im Unterschied zum politischen Journalismus nicht notwendig.
Von einem Artikel über einen Verein zu erwarten, dass er kritisch ist, ist in meinen Augen ein Kategorienfehler: Es ist die Anwendung einer Kategorie für politische Artikel auf Artikel im Unterhaltungsbereich. Fußballartikel können kritisch sein, sie müssen es aber nicht, und wenn sie es nicht sind, ist das kein Versäumnis.
Wie die Diskussion hier im Forum zeigt, funktioniert der Artikel von Herrn von Nocks als Unterhaltungsprodukt übrigens ganz hervorragend: Er gibt dem Produkt Profifußball den Pfeffer und die Würze, die es für eine breite Attraktivität braucht, bei der sich Bayern-Fans genüsslich darüber aufregen können, wie tief Herr von Nocks doch im Netz der Leverkusener Bosse steckt.