@Mehmet68: Das ist eine wahrlich spannende Frage, die ich versuchen möchte, in einem größeren Zusammenhang zu beantworten.
Ich denke, man kann deine Frage auf mindestens zweierlei Art lesen. Da wäre zum einen die Binnenperspektive: Wohin entwickelt sich die Bundesliga als attraktiver Wettbewerb, den sich fußballbegeisterte Menschen gerne ansehen? Und da wäre zum zweiten die Globalperspektive: Wohin entwickelt sich die sportliche und ökonomische Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga und ihrer Vereine in Europa und der Welt?
Ich glaube, für beiderlei Fokus hängt die Antwort ganz wesentlich von einer Entwicklung ab, die die Bundesliga und die in ihr organisierten Vereine nur begrenzt beeinflussen können. Ich beobachte über die letzten 10 bis 15 Jahre das zunehmende Aufkommen einer neuen Klasse von Clubs in Europa, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich in ihrem Wesen zunehmend von den anderen Clubs entfernen und außerdem einen im Verhältnis zu ihrer Anzahl weit überproportionalen Einfluss auf die Entwicklung des europäischen Fußballs insgesamt nehmen. Nach dem kürzlichen Verkauf von Newcastle United an einen saudischen Staatsfond sind eben dieses Newcastle, PSG, Manchester City und Chelsea wohl die vier eindeutigsten Exponenten dieser neuen Klasse von Clubs.
Mit „wesensmäßiger Entfernung“ dieser Clubs meine ich nicht etwa nur ihren seit Jahren zu beobachtenden wachsenden finanziellen Vorsprung vor einer ansonsten im wesentlichen gleichartigen Konkurrenz, sondern dass sie sich in ihren Denkstrukturen, Zielsystemen und Handlungslogiken in einem viel fundamentaleren Sinne immer weiter vom großen Rest absetzen. Wie Clubs wie PSG, Manchester City und Chelsea denken und handeln, in welchen Sinnhorizonten sie agieren, welche Ziele sie verfolgen, welche Zweck-Mittel-Relationen sie anlegen hat nur noch wenig (und immer weniger) gemein damit, wie etwa Vereine wie der SC Freiburg, Arminia Bielefeld oder sogar der BVB operieren.
Das beginnt damit, dass diese Clubs die herkömmlichen ökonomischen Logiken aushebeln, die im europäischen Fußball trotz aller Kritik an Investoren und Kommerzialisierung bisher immer noch einschlägig waren. Für lange Zeit korrelierte die Finanzkraft eines Clubs relativ stark mit seiner Teilnahme an den europäischen Wettbewerben. Wer regelmäßiger Champions League-Teilnehmer war (und in Abschwächung EL- und Conference League-Teilnehmer), hatte finanziell einen deutlichen Vorteil vor der nicht teilnehmenden Konkurrenz. Dieser finanzielle Vorteil ließ sich in der Folge lukrativ in einen sportlichen Vorteil ummünzen, welcher wiederum weiteren wirtschaftlichen Vorteil nach sich zog.
Dieser enge Zusammenhang von sportlichem und wirtschaftlichem Erfolg lag, für manchen vielleicht paradoxerweise, nicht zuletzt daran, dass im Fußball selbst - und gerade - bei den Clubs der am kühlsten kalkulierenden Investoren à la Kroenke, den Glazers oder Henry bisher stets ein knallhartes ökonomisches Kalkül galt. Diese Investoren richten ihr gesamtes geschäftliches Handeln nach dem Ziel der Profitmaximierung aus. Das Ziel der Profitmaximierung strebt nicht nur nach immer höheren Gewinnen, sondern zwingt auch zur Effizienz. Jeder Euro, der zur Erreichung eines gegebenen Ziels (beispielsweise die Meisterschaft oder den Gewinn der Champions League) unnötigerweise eingesetzt wird, ist ein verschwendeter Euro, der den Profit schmälert. Somit hielt sich der sportliche Vorteil selbst der finanzstarken Clubs stets einigermaßen im Rahmen, denn ihre Investoren waren stets bemüht, immer gerade das Minimum dessen zu investieren, was sie meinten investieren zu müssen, um den angestrebten sportlichen (und damit auch wirtschaftlichen) Erfolg zu erreichen und sich dann den (hoffentlich) großen residualen Jahresüberschuss ihrer Clubs als Rendite ausschütten zu können. Und so sorgte dieses beständige Streben nach Profit und Effizienz selbst der kältesten Investoren dafür, dass keine wilde, herrenlose Exzess-Liquidität im Fußball umherschwirrte, die verzweifelt nach neuen Anlageobjekten suchte, weil ein solches Finanzgebaren ihren Renditezielen diametral entgegengestanden hätte.
Jetzt hingegen stehen wir an der Schwelle zu einer Zeit, in der sich die Verfügbarkeit von Liquidität eines Clubs immer stärker unabhängig von klassischen ökonomischen Zwängen entwickelt. Immer mehr Vereine haben Zugriff auf Liquidität, die nicht mehr in einem logischen Zusammenhang zum Fußball selbst steht. Das Profitmaximierungsprinzip mit dem zugehörigen Effizienzzwang verliert zunehmend an Bedeutung. Mit Geldgebern wie Katar, Abu Dhabi, mit Abstrichen China und jetzt neuerlich auch Saudi Arabien sind Denkstrukturen und Zielsysteme in den europäischen Fußball eingezogen, die sich den Maximen klassischer ökonomischer Logik vollständig entziehen.
Denn anders als den Kroenkes und Glazers dieser Welt geht es diesen Geldgebern nicht mehr vornehmlich um die Generierung wirtschaftlichen Erfolgs. Auf ihrer Menükarte finden sich stattdessen Dinge wie „Sportswashing“, politischer Einfluss, manchmal vielleicht, wie im Falle Abramovich, auch persönliche Sicherheit unter den Hauptgerichten, während etwas wie wirtschaftlicher Erfolg vielleicht noch zum Dessert oder Digestif gereicht wird - falls noch Platz im Magen ist. Außersportliche Motive ersetzen zunehmend innersportliche Logiken, die zuvor trotz aller ökonomischer Exzesse immer noch für eine gewisse binnenlogische Konsistenz im Fußball sorgten: Wirtschaftlicher und sportlicher Erfolg waren eng miteinander verbunden, Ausbildung, Entwicklung, langfristige Arbeit und sorgfältige Erneuerung unter Berücksichtigung ökonomisch effizienter Zweck-Mittel-Relationenen bildeten dies Basis des Erfolgs.
Mit den neuen Geldgebern sind die Zeiten einer streng auf ökonomischer Kalkulation basierender Berechenbarkeit vorbei. Spieler werden nicht entwickelt, sie werden kurzfristig eingekauft, wie man sie gerade braucht. Kein Preis kann zu hoch, keine Investition zu kostspielig, keine Renditeaussicht zu düster sein, um einen Spieler unter Vertrag zu nehmen oder ein neues Trainingsgelände zu bauen, wenn es den eigenen, außersportlichen Zielen dient. Schließlich steht 2022 eine WM an oder man will sich schön machen für die Zeit nach dem Öl. Jeder Preis ist recht, wenn es dem kurzfristigen Erfolg oder dem eigenen Ansehen dient und das Image aufpoliert.
All dies geschieht auf der Basis einer bespiellosen Ressourcenausstattung, die sich vollkommen jeglicher normalen Vorstellung von Bregrenztheit entzieht. Spätestens mit dem Eintritt von Staatsfonds in den europäischen Fußball ist das ökonomische Prinzip des Agierens unter Bedingungen der Knappheit faktisch ausgehebelt worden. Man kann sogar sagen, dass ersteres letzteres geradezu bedingt. Nur weil Vereine wie PSG, Manchester City, Chelsea und Newcastle nicht nach konventionellen ökonomischen Regeln handeln müssen, können sie es sich überhaupt leisten, die etablierten Gesetze des Fußballs mit Erfolg als Ergebnis von Leistung zu ignorieren.
Das Aufkommen dieser neuerartigen Clubs hat langfristige Auswirkungen auf alle anderen Vereine in Europa, ligaübergreifend. Dies nicht nur in einem direkten Sinne, weil die herkömmlichen Clubs nunmehr gezwungen sind, finanziell ebenfalls in immer größeren Dimensionen zu denken und zu handeln, um im Wettstreit um neue Spieler mit der finanziellen Potenz dieser Großclubs Schritt halten zu können, sondern auch im subtileren Sinne einer schleichend voranschreitenden strukturellen Anpassung der Handlungslogiken der anderen Vereine an die Anforderungen dieser Großclubs. Denn je mehr und je stärker diese Clubs fertige Spieler verpflichten wollen, die ihnen sofort weiterhelfen, desto größer ist der Anreiz für die restlichen Vereine, sich strategisch als Erfüller dieses Bedarfs auszurichten. Dies kann entweder bewusst geschehen, so wie etwa beim BVB, oder aber auch schleichend, so dass man nach fünf oder zehn Jahren auf die eigenen Transferaktivitäten zurückblickt und plötzlich feststellt, dass man im Laufe der Zeit immer mehr zu einem Entwicklungsverein für talentierte Nachwuchsspieler für diese Großclubs und diejenigen geworden ist, die es sich noch leisten können mit ihnen finanziell zu konkurrieren.
Hinzu kommt, dass diese Clubs über ihren formellen und informellen Einfluss in den entscheidenden europäischen Fußballgremien und Zirkeln ein ganz gewichtiges Wort bei der Entwicklung der zukünftigen europäischen Wettbewerbslandschaft haben. Es sind die Vertreter dieser Clubs, die in der ECA und der UEFA an den entscheidenden Stellen sitzen, es sind die Präsidenten dieser Clubs, die sich mit Alexander Ceferin bei einem Glas abendlichen Weins über die Zukunft der Champions League austauschen.
Ich würde sagen, dass die Anzahl dieser Clubs mit PSG, Manchester City, Chelsea und jetzt Newcastle zur Zeit noch relativ überschaubar ist. Aber wie sich empirisch zeigt, genügt bereits dieses kleine Feld, um den Fußball in Europa in Teilen in seinen Fundamenten zu erschüttern. Eine Initiative wie die letztlich gescheiterte Super League war ein erster, besonders plakativer Vorbote der wirklich transformativen Umwälzungen, die dem europäischen Fußball dank des von diesen Clubs erzeugten finanziellen Drucks und dank ihres enormen Einflusses möglicherweise noch ins Haus stehen mögen, die finanziellen Exzesse auf dem Transfermarkt der letzten Jahre sind ein anderer.
Von diesen Änderungen - und damit, @Mehmet68, schließe ich zu guter Letzt den Bogen zurück zu deiner Frage - bleibt auch die Bundesliga nicht verschont. Mit Bezug auf einzelne Vereine habe ich den BVB und seine offensive Positionierung als Ausbildungsverein der großen Clubs schon erwähnt (die überhaupt nur deshalb möglich ist, weil es irgendwo anders noch größere Vereine mit noch mehr Geld gibt, die es sich leisten können, dem BVB seine horrend teuren Multimillionen-Spieler abzukaufen). Aber selbst ein Verein wie der FC Bayern, der ökonomisch noch einmal eine Stufe oberhalb des BVB anzusiedeln ist, sieht sich durch das Aufkommen dieser neuerartigen Clubs mindestens zwei Herausforderungen ausgesetzt, derer er sich mittelfristig kaum wird entziehen können. Zum einen läuft er Gefahr finanziell zunehmend in einen nicht zu gewinnenden Wettlauf zu geraten, weil er im Unterschied zu diesen Clubs seine Finanzierung auch in Zukunft fortwährend im Rahmen der traditionellen ökonomischen Logiken des Fußballs sicherstellen muss. Zum anderen wird sich der FC Bayern absehbar aus eben diesen ökonomischen Zwängen heraus solchen Initiativen wie einer eventuellen nächsten Iteration der Super League nicht entziehen können, wenn er sportlich international nicht ins zweite Glied zurücktreten möchte.
Diese Logik übersetzt sich ziemlich nahtlos auf die Bundesliga und berührt damit unmittelbar die beiden eingangs von mir formulierten Fragen. Mit Bezug auf die Binnenperspektive sehen wir einen Wettbewerb, der zumindest an der Spitze weniger offen ist als vielleicht noch vor 20 Jahren. Es gibt eine zunehmende Spreizung zwischen einigen wenigen wirtschaftlich besonders starken Vereinen an der Spitze und einem großen Rest eher kleinerer Vereine, die weniger gut begütert sind. Die großen Vereine kaufen von den kleinen, die kleinen sind effektiv die Ausbildungsbetriebe der großen. Ob dies den Wettbewerb insgesamt weniger attraktiv, weil vorhersehbarer macht, oder ob er zumal bei einem internationalen Publikum von der wachsenden Markenstärke der großen Vereine und der hohen Qualität ihres Fußballs profitiert, ist eine vielgeführte Diskussion, die weiterzuführen ich an dieser Stelle euch überlassen möchte.
Mit Bezug auf die Globalperspektive ist aber klar, dass wenn sich der von mir skizzierte Trend in Richtung neuartiger Clubs weiter fortsetzt, die Clubs der Bundesliga langfristig an internationaler Wettbewerbsfähigkeit einbüßen werden, weil selbst ein Verein wie der FC Bayern langfristig nicht in der Lage sein wird, mit Staatsfonds und milliardenschweren Oligarchen finanziell mitzuhalten.
Ob und inwieweit sich diese aus Sicht des FC Bayern besorgniserregende Entwicklung mit womöglich noch zunehmendem Tempo fortsetzt oder ob sie sich vielleicht sogar noch zurückdrehen lässt, wird entscheidend davon abhängen, wie sich der Fußball in seiner Gesamtheit entscheiden wird, mit diesen neuartigen Clubs - und eventuellen weiteren neuen des gleichen Zuschnitts - in Zukunft institutionell und regulatiorisch umzugehen. Werden die Gremien des europäischen Fußballs künftig auf einer breiteren, inklusiveren Basis besetzt werden, die die Interessen traditioneller Fußballvereine gegenüber den neuartigen Clubs effektiv vertreten kann? Wird es ein den aktuellen Entwicklungen angepasstes Nachfolgeregularium zum FFP geben, das die richtigen Antworten auf das Phänomen der neureichen Clubs geben kann? Wird es vielleicht schlussendlich sogar wirklich ein von der UEFA sanktioniertes neues Wettbewerbsformat einer übergreifenden europäischen Liga geben, das den gordischen Knoten des seit Jahren wachsenden Streits über die Wettbewerbsbedingungen in den nationalen und internationalen Wettbewerben durchschlägt?
Leider kenne ich die Antworten auf diese Fragen auch nicht und leider kann ich auch nur mehr Diagnose als Therapie anbieten, aber es steht für mich außer Frage, dass sich spätestens nach der vollständigen Rückkehr aus der Pandemie als symbolischer Auslöser der europäische Fußball dem Phänomen der neuartigen Clubs und ihrer disruptiven Kraft auf die europäische Fußballlandschaft institutionell und regulatorisch stellen muss, wenn er eine halbwegs friedliche Zukunft aller unter einem gemeinsamen Dach sicherstellen möchte.
TL;DR
- Seit Jahren gibt es einen zunehmenden Trend in Richtung neuartiger Clubs mit neuartigen Denk- und Handlungsstrukturen jenseits der klassischen ökonomischen und fußballerischeren Logiken der Vergangenheit.
- Diese Clubs haben finanziell und regulatorisch einen enormen disruptiven Einfluss auf die gesamte Fußballlandschaft in Europa. Die Spreizung zwischen arm und reich wird größer und die Wettbewerbe vorhersehbarer.
- Diesem Einfluss kann sich auch die Bundesliga inklusive des FC Bayern nicht entziehen und er wird stärker.
- Ob und inwiefern die disruptive Kraft dieser Clubs zukünftig begrenzt oder gar zurückgedreht werden kann, wird entscheidend von der institutionellen Kraft und Geschlossenheit des europäischen Fußballs nach dem Ende der Pandemie abhängen.