Vincent Kompany beim FC Bayern – Schlechter als Tuchel? Eine Bilanz

Danke für Deine interessanten Erläuterungen, @Faenger.
Jetzt verstehe ich Deinen Punkt besser.

Mir gefällt in diesem Zusammenhang die Forderung von Ranke, Geschichte solle die Dinge so beschreiben, wie sie damals WAREN - und nicht, wie es meist der Fall ist, mit dem überlegenen und manchmal fast schon arroganten Wissen der Nachgeborenen zu beurteilen, die im Gegensatz zu den damals Lebenden wissen, „wie die Sache letztlich ausgegangen ist“ (wobei wir hier auf MSR natürlich nicht als Historiker unterwegs sind, sondern aus der retrospektiven Perspektive des Fans zurückliegende Entwicklungen beurteilen).

So hätten z.B. 1932 und 1933 natürlich bei weitem nicht dermaßen viele (wenn überhaupt einer…) Menschen die NSDAP gewählt, wenn sie gewusst hätten, wie apokalyptisch das Ganze 1945 enden würde.

Oder kann man den deutschen Kommunisten der Weimarer Republik vorwerfen, sie hätten doch vorhersehen müssen, dass das Ganze in einem menschenverachtenden Stalinismus enden würde, der mit Zwangsumsiedlungen, Genoziden, GULAGs, Massenhinrichtungen, Schauprozessen udgl. zig Millionen Todesopfer fordern und dazu führen würde, dass die Sowjetunion bis 1990 ganz Osteuropa autoritär beherrschen würde?

Ich frage mich sogar, ob man die Geschichtswissenschaft überhaupt als richtige Wissenschaft betrachten kann. Denn (mit Ausnahme vielleicht der Philosophie, der Germanistik usw.) beruht Wissenschaft ja im allgemeinen darauf, dass man auf der Grundlage von Experimenten Vorhersagen trifft, die sich dann entweder bestätigen oder widerlegen lassen und somit zur Grundlage von Theorien werden.

Während die Historiker immer erst mal schön abwarten, was in der Vergangenheit geschehen ist, um dann im Nachhinein mit dem Wissen von heute erklären zu können, WARUM es so kommen musste.

In Wahrheit verläuft Geschichte - sofern man nicht gerade Marxist ist - aber nicht in vorhersehbaren Gesetzmäßigkeiten, sondern der „Kamerad Zufall“ spielt häufig eine entscheidende Rolle; weswegen ich auch Theorien zur „Alternativgeschichte“ oft interessant finde.

Wenn z.B. Hitler beim Bürgerbräu-Attentat 1939 seine Rede nicht eine halbe Stunde früher als geplant abgebrochen hätte, weil er wegen schlechten Wetters unbedingt einen früheren Zug nach Berlin nehmen wollte, hätte Elsners Bombe ihn getötet und wäre die Weltgeschichte komplett anders verlaufen.

Oder wenn bei den Leipziger Montagsdemonstrationen 1989, wo zuweilen 500.000 Demonstranten auf den Straßen aufmarschierten, zufällig auch nur ein einziger Schuss eines sowjetischen Panzers in die Menge abgefeuert worden wäre, hätte es leicht zum Showdown zwischen Ost und West mit der möglichen Folge eines dritten Weltkriegs kommen können - ähnliches gilt auch für die Kuba-Krise 1962.

Übrigens hat erstaunlicherweise kein Historiker und auch kein westlicher Geheimdienst den dramatischen Zusammenbruch des gesamten Ostblocks einschließlich der DDR 1989/1990 vorhergesagt.

Nach diesem kleinen Exkurs sollten wir aber wieder zum Fußball zurückkehren.
Denn auch da spielt der o.g. „Kamerad Zufall“ oft eine entscheidende Rolle, die sich der wissenschaftlichen Analyse bzw. Prognose entzieht.

Wie hätte sich die deutsche Fußballgeschichte anders entwickelt, wenn z.B. Schalke 04 am 19. Mai 2001 nicht nur „Meister der Herzen“, sondern tatsächlicher Deutscher Meister geworden wäre, weil unser Andersson nicht 4 Minuten nach Abpfiff des Schalker Spiels für den FCB beim HSV in der aller letzten Sekunde der Nachspielzeit durch ein Getümmel von 14 Männer-Beinen hindurch einen indirekten Freistoß verwandelt hätte?

Siehe:
Andersson mit dem Tor für den FC Bayern zum Titel in Hamburg

Schalke würde dann heute vermutlich nicht in den Untiefen der 2. Liga herumdümpeln, sondern hätte als Meister wichtige Spieler halten und gute neue dazukaufen können, hätte lukrative Sponsoren gefunden usw.

Und noch vor einem Jahr hätte sicher kein Fußballwissenschaftler und auch kein K.I.-Programm vorhergesagt, dass ausgerechnet der BVB wenige Monate später im CL-Endspiel landen würde.

Das Leben im allgemeinen und der Fußball im speziellen werden öfter als man denkt vom Zufall gelenkt - erst im Nachhinein und mit dem Wissen von heute versucht man zu erklären, warum es „so kommen musste“, wie es kam.

2 „Gefällt mir“