Ich setze in meiner persönlichen Sicht eben erst in der Zeit bei Ancelotti an. Natürlich kann man überall ansetzen, aber bei 11 gewonnenen Meisterschaften in Folge kann man eigentlich nicht eine Generalkritik der abgelaufenen Dekade umsetzen, ohne sich da auch widersprechen zu müssen. Aber Du merkst schon daran, dass ich allein zeitlich ein bisschen später ansetze und daher nur leicht unkritischer bin, als Du.
Nach Pep hatten wir eigentlich endlich ein jahrelang erklärtes Ziel der Vereinsspitze umgesetzt, uns eine spielerische Identität zu geben. Vor van Gaal haben wir Spiele gewonnen, aber wir hatten keine spielerische Identität und ehrlicherweise haben wir mehr Jahre als „Rumpelbayern“ verbracht und eben immer aufgrund individueller Überlegenheit gewonnen. Nun konnte jeder alleine am Spielstil erkennen: das ist der FC Bayern.
Die Spitze wusste rechtzeitig, dass Pep nach drei Jahren bei uns aufhören würde. Es war genug Zeit, einen nachhaltigen Plan zu verfolgen und sich auf die Suche nach einem Trainer zu machen, der wenigstens einen ähnlichen Spielansatz verfolgt, um Kontinuität zu schaffen. Stattdessen verfiel man sogar mit genug Zeit trotzdem wieder in das Muster „Wir holen den größten Namen, der gerade verfügbar ist. So haben wir es immer gemacht und gut.“
Dass dieser Move komplett dem langjährigen Ziel, uns eine spielerische Identität zu geben, komplett widersprach, mögen sicherlich auch vereinsintern einige erkannt haben, aber wer widerspricht schon den Altvorderen, wenn dazu noch ein Weltmann wie Ancelotti an der Linie steht.
Ancelotti ist unwidersprochen ein großer Trainer, aber als Nachfolger von Pep? Welcher Logik folgt das? Wofür steht Ancelotti? Er ist selbstverständlich kein Taktik-Trottel, aber seine größte Stärke ist menschliche Bindung zu seinen Spielern und ein fantastisches Gefühl dafür, welcher Spieler welche Freiheiten auf dem Platz brauchen. Das hätte nach van Gaal wahrscheinlich prima funktioniert, aber doch nicht nach Pep. Und so kam es, wie es kommen musste.
Und ab da sehe ich das leidige Thema, das uns bis heute verfolgt. Widersprüchliche Entscheidung, die eigentlich spätestens alle zwei Jahre eine Strategie konterkariert … sofern es überhaupt eine übergeordnete Strategie gab.
Kovac? Super Leistungen, die er mit Eintracht Frankfurt gebracht hat, super! Da hat alles gepasst, keine Frage! Aber der Ansatz, mit einer Mannschaft eine starke Defensive über vor allem Körperlichkeit zu generieren und spielende Gegner zu zermürben, bis man sie dann auskontern konnte war für unsere sportliche Führung das, was wir als FC Bayern spielen wollten?? Was war der Plan hinter dieser Entscheidung? Vermutlich keiner …
Die Zeit unter Flick hat dann vieles übertüncht, aber da scheiden sich die Geister. Was er da „abgezogen“ hat, war so einfach wie (im Nachhinein) genial und er hatte das Glück (oder das Gespür), dass das so funktioniert hat. Sein Ansatz des totalen Überrollens aller Gegner funktionierte nicht zuletzt durch eine dann doch tolle Mentalität der Mannschaft, der individuellen Klasse aber auch vor allem, weil die restliche europäische Fußballwelt zu lange gebraucht hat, diese dann doch relativ einfache Methode zu entschlüsseln. Schon ab der Zeit Halbfinale CL hat das immer weniger gut funktioniert und es war gut, dass wir die Titel dann noch alle eingefahren haben, bevor es dann vorbei war. Ich erinnere daran, dass wir bereits im Halbfinale wenig souverän waren. Danach war es dann auch vorbei mit der Übermacht.
Bei allem Respekt für Flick und der Mannschaft von damals, aber diese Taktik würde heute wahrscheinlich in neun von zehn Fällen nicht funktionieren.
Aber geschenkt, der Erfolg gab ihm Recht und wer würde nicht gerne eine Taktik durchsetzen können, die einen ein Jahr lang auf den Thron des europäischen Fußball hebt?
Und eigentlich hätte die Geschichte insofern gut weiterlaufen können, als dass mit dem Abgang von Flick, so unschön das alles lief, eigentlich genau das richtige passiert ist. Abgelöst von einem jungen, ehrgeizigen und bis dato erfolgreichen Trainer, der taktisch ein vielfaches mehr drauf hat, aber auch vor mächtigen Problemen stand und der es mit dem Kader nicht leicht hatte. Einige meinen, er wäre schlecht mit den Spielern umgegangen, andere meinen, zu viele erfahrene Spieler hätten ihn auflaufen lassen.
Ich persönlich tendiere zur zweiten Variante und insbesondere Lewandowski hat sich in dieser Zeit unmöglich verhalten, was dann auch in seinem unwürdigen Abgang mündete. Gerade er war Sinnbild, sich von Nagelsmann nichts sagen lassen zu wollen und es gab mehrere Journalisten unterschiedlicher Medien, die alle beobachtet haben wollen, dass sich Lewandowski (offenbar bewusst) nicht an taktische Vorgaben von Nagelsmann gehalten hat. Warum die eine Person so wichtig war? Weil Lewandowski eben DIE Person war und mit seinem Verhalten auch andere erfahrene Spieler beeinflusst hat. Nagelsmann Fehler war sicher die große Nähe zu Kimmich, mit der er Neuer gegen sich aufgebracht hat, der sich in der Folgezeit leider auch nicht mit Ruhm bekleckert hat und nach einem völlig irrwitzigen Skiausflug inklusive Langzeitausfall auch noch meinte, er müsste mittels Interview gegen den eigenen Verein wie ein bockiges Kind schießen, dass es nur so krachte. Dabei habe ich die völlig verkorkste WM, die insbesondere unsere Leistungsträger in ein tiefes Loch gestürzt hat, noch gar nicht erwähnt.
Mit all dem war Nagelsmann konfrontiert und wurde dabei insbesondere von Kahn, der sich zunächst nur als Esspresso-Tassen haltender CEO wenig als Wortführer zeigte, lange Zeit im Stich gelassen und fing erst an, klar Stellung zu beziehen, als er lange Zeit von den Medien dazu gedrängt wurde.
Wenn man mal alles zusammennimmt, was in dieser Zeit zusammenkam, insbesondere auch den Abgang von Lewandowski ohne entsprechenden Ersatz, dann hat Nagelsmann eine fantastische Arbeit abgeliefert, obwohl die Probleme damals sogar noch akuter waren, als jetzt im ersten halben Jahr. Und um dann diesen ganzen Irrsinn auf die Spitze zu treiben, feuern sie ihn nach einem zugegebenermaßen besch…eidenen Spiel, während er in allen Wettbewerben noch gut dabei war. Eine Entscheidung, die bis heute noch von vielen Seiten als grotesk angesehen wird und die auch am Ende mitentscheidend für die Entlassung von Kahn und Brazzo war.
Spätestens da hatte sich in der Mannschaft etwas festgesetzt, was nicht mehr zu korrigieren war und vielleicht auch nicht mehr zu korrigieren ist. Aber ich persönlich denke, es ist eine Mischung aus vielem, was durch all diese Vorgänge ausgelöst wurde, vor allem der Erkenntnis, dass sie jeden Trainer überleben und nicht angemessen selbst zur Rechenschaft gezogen werden.
Tuchel kam in dem Glauben, dass er es wie beim FC Chelsea machen könnte und legte wirklich Herzblut rein. Aber er hatte dann doch leider gewaltig unterschätzt, in welche Resttrümmer er da hineingeraten würde. Natürlich hat er auch selbst Fehler gemacht, aber ich persönlich mache ihm am wenigsten einen Vorwurf. Dass er nun gehen wird, ist meiner Meinung nach eindeutig mehr seine eigene Entscheidung als denn die Entscheidung des Vorstandes.
Und nun stehen wir an dem Punkt, an dem sich zeigen wird, ob wir zusammen mit Eberl auch mal den Mut haben, uns auf eine eventuell mal längere erfolglose Phase einzustellen, damit wir tiefgreifende Prozesse der Reformierung einleiten und durchalten können, oder ob wir wieder den gleichen Ansatz verfolgen, wie schon die ganze Zeit … so lange zu warten, bis ein großer Name frei ist, völlig egal welchen Stil und welche Philosophie dieser verfolgt und den Kader dann wieder flickenteppichmäßig nach dessen Vorstellungen zu ergänzen, so dass wir am Ende dann einen verkorksten Kader aus vier verschiedenen Trainer-Sichten haben.
Ich persönlich hoffe auf das Allerbeste und wäre locker bereit zu akzeptieren, wenn wir auch nächstes Jahr keinen Titel holen. Aber das wird nicht passieren. Ob es eine dritte, noch nicht vorhersehbare Option gibt, werden wir sehen.