Ich habe absolut keine Ahnung von Rugby Union und ich habe auch noch nie in meinem ganzen Leben auch nur ein einziges Spiel gesehen, nicht einmal Highlights. Ich weiß mit Mühe, dass die All Blacks mit ihrem berühmten Tanz die beste Mannschaft der Welt sind, dass auf der Südhalbkugel außerdem noch Australien und Südafrika gut sind, und dass auf der Nordhalbkugel die drei besten Teams England, Schottland und Irland (oder Wales) sind, zumindest historisch, die Franzosen scheinen ja aufzukommen.
Aber nachdem ich hier vorhin von @ChrisCullen gelesen hatte, dass die erste Halbzeit zwischen Frankreich und Südafrika gestern das beste Rugby gewesen sei, was er jemals gesehen habe, bin ich neugierig geworden und habe mir das Spiel einfach mal angeguckt. The proof of the pudding ist ja bekanntlich in the eating.
Hier mal ein paar grobe Eindrücke von einem, der auszog, das Rugby zu lernen:
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Ich muss mit etwas Ästhetischem anfangen: Diese Trikots, und zwar beider Teams, sind einfach so wahnsinnig viel schicker als die im Fußball. Ich habe einen eher klassischen Garderobengeschmack und Fußballtrikots sind mir oft viel zu unruhig, überladen mit Elementen, durchzogen von abstrakten, asymmetrischen Mustern und getönt in grellen, oft einander beißenden Farben. Diese Rugby-Trikots hingegen: unifarben, keine wilden Muster, ruhig, „clean“, reservierte, zurückgenommene Farbtöne, die zudem sehr gut abgestimmt sind (ein dunkles und ein etwas helleres Blau bei Frankreich und ein gedämpftes Orange und dunkles Grün bei Südafrika - sehr klassisch), dazu schlichte, serifenlose Nummern auf dem Rücken - einfach schick.
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Wo wir gerade beim Ästhetischen sind: Boah, sind einige der Spieler massiv. Offenbar werden die Spieler im Rugby nach ihren Funktionen durchnummeriert und haben keine festen Nummern wie im Fußball, und die Spieler mit den tiefen Nummern 1, 2 und 3 sind ja Brecher vor dem Herrn. Also z. B. mit diesem südafrikanischen Rothaarigen mit dem blutigen Ohr würde ich nur höchst ungern in eine körperliche Auseinandersetzung geraten, mein lieber Herr Gesangsverein.
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Weg vom Ästhetischen, hin zum Spiel: Das Spiel war insgesamt sehr viel flotter und mobiler - mit viel mehr Action - als ich es erwartet hatte. Rugby Union stand bei mir immer in dem Ruf, ein eher statisches Spiel zu sein. Nicht so gestern Abend. Bis einige Minuten vor der Halbzeit war das Spiel quasi ständig in Bewegung und sogar für mich, der ich von den Regeln nicht den leisesten Hauch einer Ahnung habe, „engaging“ anzugucken.
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Nach der Halbzeit wurde es dann statischer, mit viel mehr scrums. Und als ich dann diese scrums gesehen habe, wurde mir auch klar, warum ich das Spiel als statisch abgespeichert hatte. Diese scrums aufzusetzen dauert sehr lange und dann müssen sie sogar manchmal noch wiederholt werden, das Spiel steht praktisch minutenlang still. Letztendlich ist der scrum ja ein Tie-Breaker für eine bestimmte Form von Penalty, der entscheiden soll, welches Team den Ball bekommt, wenn ich das richtig verstanden habe, und denselben Zweck könnte man auch viel zeitökonomischer erreichen. Im einfachsten Fall könnte das der Schiri einfach so entscheiden oder man macht eine Art Hochball wie bei den line-outs, beides würde den Zweck der Ballzuteilung viel schneller umsetzen. Mit einem Element wie den scrums macht man den Sport jedenfalls sicher nicht besonders anschlussfähig für die nachwachsende Tiktok-Generation von heute. Das ist einfach sehr viel Aufhebens um am Ende ziemlich wenig.
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Ziemlich cool hingegen fand ich die aufgestützten bzw. hochgehobenen Spieler nach einem Einwurf, um vor dem Gegner an den Ball zu kommen. Das sieht spektakulär aus und führt auch umgehend zu Anschlussaktionen, die das Spiel danach schnell machen.
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Was ich nicht abschließend verstanden habe, ist, warum, nachdem ein Runner getackelt wurde und nach und nach ein Haufen entsteht und der Ball nach hinten durchgereicht wird, der Spieler hinter dem Haufen, der den Ball aufnehmen darf, manchmal den Ball sofort aufnimmt und sofort weiter passt und manchmal ziemlich lange wartet, während das Spiel um ihn herum quasi wie eingefroren stehenbleibt. Warum passiert das? Muss der Schiri den Ball immer erst freigeben? Aber dafür erfolgen Aufnahme und Pass manchmal eigentlich zu schnell…
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Ich bin wirklich verwundert, dass aus diesen rucks nicht mehr Verletzungen entstehen. Die Spieler tragen, nehme ich an, Stollenschuhe und steigen in diesen wachsenden Haufen praktisch alle übereinander hinweg. Dass da niemanden ins Gesicht oder in den Abdominalbereich getreten wird, vielleicht sogar Augen auf der Strecke bleiben, erstaunlich.
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Aufgefallen ist mir auch, dass der Spieler hinter diesen rucks, der den Ball schließlich aufnimmt und passt, eigentlich immer derselbe Spieler ist, bei den Franzosen war es z. B. der Achter.
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Weiterhin aufgefallen ist mir, wie sehr die Kicker ihre Kicks zelebrieren. Kein Wunder, dass es da eine shot clock gibt, die sogar sehr großzügig ist und die es die Spieler trotzdem regelmäßig schaffen, ganz weit herunterlaufen zu lassen.
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Einige der Spieler sind mir aus verschiedenen Gründen besonders aufgefallen. Da wären natürlich zuallererst diese massiven Forwards, wegen ihrer bulligen Statur, aber dann, wie schon gesagt, der Achter der Franzosen, der wahrscheinlich die meisten Pässe auf dem ganzen Feld geworfen hat und mir wie der Dirigent des französischen Spiels vorkam, und dann natürlich auch dieser Rückraumläufer der Südafrikaner, der einen try selber gelegt hat und ansonsten auf spektakuläre Weise enorme Distanzen mit dem Ball in der Hand zurückgelegt hat (und natürlich diesen charge-down gegen den französischen Kicker hatte). Dann ist mir auch der schwarze Kicker der Südafrikaner aufgefallen, der nicht nur einige Kicks converted hat, sondern auch im laufenden Spiel einige spektakuläre Aktionen hatte, am meisten in Erinnerung geblieben ist mir die Szene, als er fast wie ein Fußballer mit dem Ball am Fuß nach vorne gedribbelt ist, was sogar ziemlich gut funktioniert hat.
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Welche Rolle und welchen Einfluss auf das laufende Spiel haben eigentlich die Trainer? Mir ist aufgefallen, dass auf den Bänken beider Mannschaften sehr viele
Leute (mutmaßlich Trainer) mit Headsets saßen, die ständig irgendetwas in ihre Mikros sagten. Mit wem kommunizieren die da? Wohl kaum mit einem Spieler auf dem Platz, oder? Und wenn nein, wie teilen die Trainer ihren Spielern auf dem Platz Anweisungen mit, oder passiert das überhaupt nicht? -
Der Begriff „sin-bin“ für den Ort der mit gelber Karte vom Platz gestellten Spieler ist ja wohl grandios.
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Besonders stark fand ich die fantastische sportsmanship nach dem Spiel, als die Sieger den Verlierern ihre Anerkennung und ihr Mitgefühl mitgeteilt haben und die Verlierer groß genug waren, dies anzunehmen und ihrerseits den Siegern zu ihrem Erfolg zu gratulieren. Vor diesem Hintergrund kommen mir die versteckte Wut und mit stampfendem Abgang dokumentierte Entrüstung von Fußballern nach einer bitteren Niederlage umso aufgesetzter vor.
Das hat Spaß gemacht, ich bin jetzt etwas auf den Geschmack gekommen. Ich denke, ich werde mir die Halbfinals und das Finale auch angucken. Wenigstens muss ich ja mal erster Hand feststellen, ob die anderen Mannschaften auch so elegante Trikots haben.