Paris Saint-Germain- und Ligue 1

Kommt man (leider) oft immer wieder zur Frage der Religion, und dem Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und Menschenrechten.

Abgesehen davon: es gibt ja kaum einen deutschen Profispieler, der sich geoutet hat (spontan fällt mir nur Hitzelsberger ein, und das nach seiner Karriere). Wir kennen doch alle, so denke ich, die Sprüche aus der Kurve. Manchmal muss man gar nicht weit schauen, um Homophobie zu sehen.

Nein, natürlich nicht! Ich bin mit dem GG vollkommen einverstanden!

Worauf ich hinaus will ist, dass eben diese Werte - Demokratie, Menschenrechte, GG - für uns wertvoll und unantastbar sind.

Ein Taliban in den Bergen Afghanistans würde aber das Gleiche über Koran und Scharia für sich beanspruchen - im schlimmsten Fall inklusive Verschleierungsgebot, Todesstrafe etc.

Dabei handelt es sich nicht um ein paar „Verrirrte“, wie hierzulande bspw. die NSU-Jünger, sondern um eine andere große Wertehemeinschaft. Anderes Beispiel: Israel. Für den Westen ein wichtiges Beispiel für Religionsfreiheit, für die arabische Welt völlig inakzeptabel.

Damit stellt sich die Frage nach einem einvernehmlichen Miteinander mehrerer nicht kompatibler Wertehemeinschaften.

Das ist schon für sich kaum lösbar. Wenn aber eine der Wertehemeinschaften die universelle Deutungshoheit beansprucht, wird es unmöglich.

Aber darum geht es hier doch gar nicht. Die Frage, um die sich zunehmend alles drehte, war doch: wie soll man auf Mazraouis Statement reagieren? Dazu schrieb ich eben an Tobi:

„Es geht nicht um Meinungen. Sich für homophobe Diskriminierung einzusetzen, ist keine Meinungsäußerung, sondern ein verbaler Angriff. Da er überhaupt nicht unter Druck stand, weil nichts von ihm verlangt wurde, ist sein Verhalten unzulässig. Darauf darf man ihn immerhin klar und deutlich hinweisen.“

Ich glaube, das hat nichts mit einer unstatthaften Überlegenheitsgeste zu tun. Sondern nur mit einem dringend erforderlichen Einstehen für die eigenen Werte. Wenn man das den Gegnern nicht zumuten mag, weil sie es nicht hören möchten, kann man gleich einpacken.

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Du hast mich leider noch immer nicht verstanden. Wir liegen in der Frage der Werte ohnehin auf einer Linie.

Du „beanspruchst“ diese Deine Werte aber als universell. Das sind sie schlicht und ergreifend nicht: Milliarden von Moslems, Hindus, Buddhisten etc. haben eben andere Werte, die sie sehr wohl auch als universell verstehen. Es gibt hier keine globale Objektivität: Du bist, so wie wir alle, geprägt durch Deine Gesellschaft und Deine Mitmenschen.

Einfaches Beispiel: In Indien würdest Du für den Verzehr von Rindfleisch stigmatisiert werden. Können sich 1,3 Mrd. Inder so irren, wenn im Westen 40kg pro Person und Jahr verzehrt werden?

Es geht hier nicht um „gute“ oder „schlechte“ Werte, sondern darum, dass es ausser „Frieden ist gut“ oder „Genozid ist schlimm“ nur wenig Konsens bezüglich universell geltender Werte gibt.

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Damit bin ich auch vollkommen einverstanden.

Eine zugegebenermaßen etwas technokratische Einlassung dazu von mir:

Unabhängig von Religion, Politik oder ähnlichem:
Es gibt in Deutschland eine Straßenverkehrsordnung, die besagt, dass man auf der rechten Straßenseite fahren muss, die Geschwindigkeitsbeschränkung einhalten oder nur bis zu einem Blutalkoholgehalt von 0,5 Promille fahren darf:
UEFA und FIFA haben ebenfalls Regeln, man könnte sie vielleicht auch „Teilnahmebedingungen“ nennen, oder auch AGB’s. Ein Spieler, egel aus welchem Kulturraum, hat sich an die Regeln des „Rechtsraums“ UEFA und FIFA zu halten. Kann er diese nicht erfüllen, bleibt ihm ja der Rechtsraum „AFC“ (Asiatischer Fußballverband) usw.

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Meinst Du, man kann die Spieler juristisch zwingen zu spielen, im Extremfall auch im regenbogenfarbigen Trikot? Da sehe ich alle möglichen Probleme, die Dir andere hier noch viel plastischer aufzeigen können als ich. Sorry, wenn meine Antwort Dich enttäuscht. :wink:

Ja sicher kann man das. Borussia Dortmund kann seine Spieler ja auch zwingen, lächerliche, kanariengelbe Trikots zu tragen.
Wenn die Vereine die Anordnung der UEFA befolgen, haben wiederum die Mitarbeiter der Fußballvereine diesen Anforderungen zu folgen.

Nein, Deine Antwort enttäuscht mich nicht, ich bin aber anderer Meinung. Ich werde jedoch der Forumstradition NICHT folgen, und Dich daher nicht persönlich beleidigen :wink:

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Sehr schön. Ist ja auch nicht mein Stil. :wink: Und die aktuelle Debatte verlief ohnehin recht friedlich.

Dass die Vereine das durchsetzen können, mag durchaus sein. Das Problem wird sich damit aber nur verschieben, vermute ich. Es liegt ja auf der Hand, dass es nicht um Farbgeschmack geht, sondern um die mit der Farbwahl transportierte Botschaft.

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beim Thema Trikots frage ich mich, wie sich wohl die muslimischen Spieler in den 90ern bei Bochum gefühlt haben… :wink:

Die haben wahrscheinlich gedacht: hoffentlich wird diese Glücksspielwerbung nicht eines Tages mal eine fiese Botschaft enthalten. Zuzutrauen ist diesen dekadenten Westeuropäern ja alles Mögliche. :upside_down_face:

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Die Semiotik, ein weites Feld. (Frei nach Briest)

Wow, was für eine ganz tolle, wirklich unaufgeregte, produktive und aufklärerische Diskussion. Danke an alle Beteiligten, @cheffe, @jep, @Lukenwolf1970, @anon19834089, @willythegreat, @wohlfarth et al.

Da zwar schon alles gesagt ist, aber noch nicht von jedem… auf geht’s.

Ich fokussiere mich einmal auf das ursprüngliche Problem des verpflichtenden Tragens des Regenbogen-Trikots. Ich bin in diesem Fall bei @anon19834089, @wohlfarth und @willythegreat.

Es ist ethisch meiner Meinung nach problematisch, als Organisation von den von ihr in einem bestimmten Kontext abhängigen Individuen eine weltanschauliche Äußerung zu verlangen, die außerhalb des Kernbereichs der durch diesen Kontext beschriebenen zweckgerichteten Aufgabenerfüllung liegt oder in der Teilnahme der Organisation inhärent angelegt ist, wenn dies vorher nicht durch die Betroffenen selbst legitimiert wurde.

Auf Deutsch: Ich finde es problematisch, dass die Ligue 1 durch ihr Trikot-Dekret von ihren Spielern eine aktive Positionierung in einer gewissen weltanschaulichen Frage verlangt, unter der Prämisse, dass Sie sich vorher dafür nicht das Okay der Spieler eingeholt hat (etwa über eine Abstimmung mit Mehrheit oder so etwas).

Homophobie, Rassismus und so weiter äußern sich im Handeln. Wer zwar mit jeder Faser seines Körpers homophob oder rassistisch denkt, aber nie handelt (inklusive Sprechakten), ist unter praktischen Gesichtspunkten nicht homophob und kein Rassist*.

Wenn nun die Ligue 1 von ihren Spielern das Tragen eines bestimmten Trikots verlangt, das eindeutig als Statement gegen Homophobie zu lesen ist, wird jeder einzelne Spieler dazu gezwungen, sich aktiv zu diesem Sachverhalt zu verhalten. Entweder er macht mit - oder nicht. Macht er mit, ist der Vorgang im Ergebnis unproblematisch (anders als der Vorgang selbst), macht er aber nicht mit, muss seine Entscheidung vor dem Hintergrund der Pflicht als eine aktive Positionierung gegen Anti-Homophobie gesehen werden und kann damit folglich als homophobe Handlung interpretiert werden.

Erschwerend hinzu kommt, dass jetzt die Vereine ihrerseits diese als homophob interpretierbaren Handlungen der Spieler nicht einfach so stehen lassen können, wenn sie sich nicht selbst sozusagen durch Unterlassung dem Homophobieverdacht aussetzen wollen. Nun sind sie es, die gezwungen sind, sich aktiv gegen ihre Spieler zu positionieren, sie gegebenenfalls für eine Zeit zu suspendieren oder zu entlassen oder etwas dieser Art, wenn sie nicht in den Ruch kommen wollen, Homophobie zu unterstützen, mindestens aber schulterzuckend zu billigen.

Am Ende steht somit eine Kaskade erzwungener weltanschaulicher Äußerungen, aus denen mehrere Parteien als Verlierer hervorgehen. Am schwerwiegendsten sind die Folgen für die Spieler, die nun öffentlich und ohne ihr initiatives Handeln als homophob gelten.

Angenommen die Spieler, die sich gegen das Tragen des Trikots entschieden haben, hätten in ihrem ganzen Leben keine einzige homophobe Handlung vorgenommen oder Äußerung getätigt, so gelten sie jetzt doch als homophob, während die identischen Spieler in einer identischen Parallelwelt, in der es lediglich die Aktion der Ligue 1 nicht gegeben hätte, niemals als homophob gegolten hätten.

Damit ähnelt die Aktion ganz frappierend einer aufgezwungenen Gesinnungsprüfung, der der Einzelne, wenn er nur falsches denkt, nicht ohne Schaden für sich selbst zu nehmen entkommen kann, auch wenn er sich in seinem ganzen Leben in seinem Handeln moralisch nichts zu schulden kommen lässt. So eine Gesinnungsprüfung halte ich als liberaler Mensch für ethisch höchst begründungsbedürftig und in den meisten Fällen nicht akzeptabel.×

Die Gedanken sind frei, man soll die Leute nach ihren Taten beurteilen. Diese Möglichkeit ist den betroffenen Spielern durch die ohne zuvor ihre Zustimmung einzuholen auferlegte weltanschauliche Pflichtäußerung, die mit ihrem eigentlichen Metier, dem Fußballspiel, nichts zu tun hat, (Prämisse) der Ligue 1 für immer genommen worden.


*Deshalb halte ich auch @wohlfarths Idee der Durchführung einer Gewissensprüfung an der Grenze für verfehlt, denn solange sich die Leute, die nach Deutschland kommen, an die deutschen Gesetze halten, sollen sie denken können, was sie wollen.

×Ich habe schon einige der Gesinnungssprüfungs-Aktionen von russischern Künstlern, Sportlern und anderen Personen des öffentlichen Lebens im letzten Jahr für übertrieben und grenzwertig, ja oft exzessiv gehalten. Das war ethisch zum Teil höchst fragwürdig.

EDIT: Behelfsmäßig um einen wichtigen Gedanken im Mittelteil ergänzt.

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Einen Ethiktest an der Grenze halte ich auch für sinnlos, weil da erstens jeder erzählt was das gegenüber hören will und zweitens, wie du schon sagst, er denken kann was er will, wenn er sich gesetzeskonform verhält.
Mir ging es nur darum, dass einige jetzt beim Gastarbeiter Mazraoui, der unser Land nach seinem Engagement bei Bayern wahrscheinlich wieder verlassen wird, genau hinschauen, bei den Menschen die täglich in unser Land kommen und bleiben wollen aber nicht.
Das widerspricht sich in meinen Augen.

Lieber Alex,

danke für die anerkennenden Worte, die diese Debatte, finde ich, auch verdient hat, und die Klarstellung! Die Gedanken sind frei, darin stimme ich Dir vollkommen zu.

Meine Position zu der Aktion in Frankreich möchte ich nochmal kurz zitieren. In meinem ersten Kommentar schrieb ich:

„Wenn an solchen Aktionen jemand nicht teilnehmen will, mag es dafür vielfältige Gründe geben; man sollte sie respektieren, denn sie bedeuten nicht zwangsläufig die Leugnung oder gar Ablehnung der fraglichen Menschenrechte. Eine Bestrafung erscheint als unangemessen.“

Und in meiner ersten Replik an @cheffe, mit dem ich ansonsten weitestgehend übereinstimme, widersprach ich:

„Das Spiel zu verweigern ist ein harter Schritt. Wobei es wahrscheinlich auch keine Alternative gab, wenn man das Trikot nicht tragen wollte. Es ist von den Initiatoren nicht besonders klug, in dieser Weise quasi Zwang auszuüben, denn die darauf folgende Eskalation dürfte absehbar gewesen sein. Und das Thema ist dann vielleicht doch etwas näher dran an der Person als eine Werbung für Qatar. Insofern bin ich da bei wohlfarth …“

Ich erwähne dies ausdrücklich, denn ich finde es wichtig, zu versuchen, solche Dinge möglichst objektiv zu beurteilen. Unabhängig von persönlichen Sym- oder Antipathien.

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Die Ligue 1 und der Gesslerhut? :thinking:

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Wo siehst Du denn einen Widerspruch? Mazraoui hat sich von sich aus so geäußert, dass man es als homophob interpretieren kann. Dann muss er auch mit den Konsequenzen leben, zum Beispiel dass der nächste Arbeitgeber zweimal hinguckt, wenn er auf sowas wert legt.

Mir ist bewusst, dass Du auf die Wahrscheinlichkeit gewissen Verhaltens aufgrund kultureller Prägung hinaus möchtest. Diesen Hinweis finde ich legitim. Allerdings finde ich es genauso legitim, darauf hinzuweisen, dass das individuelle Recht auf Asyl bei Leuten, die vor Krieg und politischer Verfolgung fliehen, schwerer wiegt als statistische Wahrscheinlichkeiten, die ja noch nicht mal individualisierte Aussagen sind; und dass man, zweitens, die Leute immer noch bestrafen kann, wenn sie etwas tun, und nicht schon dann, wenn man vermutet, dass sie etwas tun könnten.

Findest Du das fair?

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Mazraoui hat gesagt „Gott segne dich Bruder“ :grin:

Zu dem Wunsch, möglichst schon vorher zu wissen, wer ein Verbrechen begehen wird, empfehle ich den kürzlich erschienen Thriller „Going Zero“ von Anthony McCarten (Diogenes, 25 €). Höchst spannende Lektüre zu einem brandaktuellen Thema.

Ja, aber Mazraoui ist ein vernunftbegabter Mensch und als solcher kann er abschätzen, wie seine Äußerungen wahrscheinlich interpretiert werden. Die Möglichkeit, dass ihm diese Äußerung in diesem Kontext als Billigung oder gar Unterstützung von Homophobie ausgelegt werden würde, hätte er absehen können.

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