Moin @justin , Moin @SegundoVolante,
Na ja, so richtig viel fundiertes kann ich dazu auch nicht beitragen, aber, hey, versuchen wir’s mal. 
Das besondere am Kader eines Profifußballvereins ist ja, dass hier so unmittelbar und konkret wie vielleicht nirgendwo sonst in einem Fußballverein die sportliche und die wirtschaftliche Ebene zusammentreffen. Der Kader ist der eine Ort, wo die sportliche Qualität wirklich ziemlich akkurat mit der Höhe der wirtschaftlichen Investition skaliert. Man kann ziemlich einfach statistisch berechnen, wie viel Prozent mehr Leistungsfähigkeit man für jeden weiteren zusätzlich ausgegebenen Euro für Transfers und Gehälter erwarten darf.
Insofern ist natürlich klar, dass jede wirtschaftliche Notwendigkeit zu sparen und Ausgaben zu reduzieren einen ziemlich unmittelbaren Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit des Teams hat. Und es ist auch klar, dass wirtschaftliche Zurückhaltung auf der einen und sportliche Leistungsfähigkeit auf der anderen Seite in einem inhärenten Zielkonflikt zueinander stehen, wobei das Primat immer auf der wirtschaftliche Ebene liegen muss. Der FC Bayern würde nicht insolvent gehen, wenn er theoretisch mal zwei Saisons am Stück keinen sportlichen Erfolg hätte, aber er könnte nie wieder sportlichen Erfolg haben, wenn er wirtschaftlich insolvent ginge.
Der Gedanke der sportlichen „Vorschüsse“, wie du es nennst, Justin, ist daher zwar naheliegend, aber desto gefährlicher bzw. mit größeren Risiken behaftet, je schwieriger die wirtschaftliche Situation des Vereins ist. Salopp formuliert: Die besten Vorschüsse nützen dir nichts, wenn du ein halbes Jahr später Insolvenz anmelden musst. Dann hast du vielleicht das stärkste Team weit und breit, aber es kann nicht mehr spielen.
Nur, wie sieht die wirtschaftliche Situation des FC Bayern denn aus?
Dazu vielleicht einmal ein paar Zitate aus dem aktuellen Geschäftsbericht des FC Bayern für das Geschäftsjahr 2019/20, also für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 30.06.2020:
Der Vorstand erwartet unter der Voraussetzung eines Spielbetriebs ohne Zuschauer in der Hinrunde für das Geschäftsjahr 2020/2021 einen Umsatzrückgang von mindestens 15-20%.
Auch im Bereich Sponsoring und sonstige Werbeerlöse sowie in der medialen Vermarktung muss mit einer deutlich reduzierten Einnahmesituation gerechnet werden.
Im Handel wird mit einem Umsatzrückgang von bis zu 10 % gerechnet.
Infolge des erwarteten Umsatzrückganges und unter Berücksichtigung anstehender Transfertätigkeiten rechnet der Vorstand für das Geschäftsjahr 2020/2021 mit einem negativen Cash Flow.
Und zu guter Letzt vor dem Hintergrund der hier diskutierten Thematik der Transfers und Ausgaben für die Spieler vielleicht am interessantesten:
Aufgrund der volatilen Einnahmesituation infolge der Corona-Pandemie stellen hochdotierte, langfristige Arbeitsverträge mit Lizenzspielern ein Risiko dar. Bei einem starken Umsatzrückgang kann der Club nur bei neuen Vertragsabschlüssen direkt auf die veränderte Einnahmesituation reagieren. Eine Änderung bei bestehenden Vertragsverhältnissen durch Vertragsanpassung ist schwierig, ebenso wie der Abbau von Personalkosten durch Transfers. Der Vorstand hat bisher bei personellen Entscheidungen im Lizenzspielerbereich eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik verfolgt und wird auf die aktuelle Lage mit noch größerer Sensitivität reagieren. […] Um die sportliche Leistungsfähigkeit auf dem obersten Niveau zu halten, die es auch in Zukunft erlaubt, nicht nur in der Bundesliga an der Spitze zu bleiben, sondern auch im europäischen Vergleich in der UEFA Champions League bestehen zu können, muss fortwährend in den Kader investiert werden. Die Refinanzierung dieser Aufwendungen bedingt jedoch ein Wechselspiel von sportlichem Erfolg und der Akquise neuer Erlösquellen. […] Chancen und grundsätzlich auch die sportliche Notwendigkeit sieht der FC BAYERN MÜNCHEN in der Förderung und eigenen Ausbildung von jungen Fußballspielern. Unabhängig davon, ob sie später gut ausgebildet in der eigenen Lizenzmannschaft oder aber bei anderen Clubs weltweit zum Einsatz kommen, sind die jungen Talente ein wesentlicher Bestandteil der langfristigen Kader- und Transferstrategie. Auch der verstärkte Einsatz von Nachwuchsspielern ist für den FC BAYERN MÜNCHEN eine Antwort auf die wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Investitionen der vergangenen Jahre zeigen hier erste Früchte und geben die Möglichkeit zur Verbreiterung des Lizenzspielerkaders auf einem niedrigeren Kostenniveau.
(Hervorhebungen von mir.)
Man kann finde ich aus diesen paar Zitaten gut herauslesen, dass der FC Bayern die aktuelle COVID-19-Pandemie wirtschaftlich nicht auf die leichte Schulter nimmt und dass er in der Konsequenz auf dem Transfermarkt mindestens noch in diesem Sommer im Zweifel eher vorsichtig als mutig agieren wird.
Wohlgemerkt ist dies der Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 2019/20, das am 30. Juni letzten Jahres endete. Dieser Text wurde also bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahres geschrieben. Damals ging man noch von einer Normalisierung der Situation in der zweiten Saisonhälfte 2020 aus. Vor einigen Tagen hat Herbert Hainer auf der Pressekonferenz zur offiziellen Inauguration von Oliver Kahn als neuem Bayern-CEO gesagt, dass der FC Bayern über die letzten 18 Monate der Pandemie hinweg Einnahmeverluste von ca. 150 Millionen Euro (!) hätte hinnehmen müssen. Von solchen Dimensionen war in diesem Geschäftsbericht selbst bei aller dort geäußerten Vorsicht noch nicht viel zu spüren.
Wenn man diese Aussage Hainers mit dem wirtschaftlich sehr nüchtern formulierten Konservatismus dieses Geschäftsberichts verbindet und sich dann auch noch die aktuell sicherlich nicht zuletzt wegen der gestiegenen Gehaltsforderungen stockenden Vertragsverlängerungsgespräche mit Goretzka, Coman, Süle und bald bestimmt auch Kimmich vor Augen führt (habe ich noch jemanden vergessen?), dann wird glaube ich deutlich, dass die Bayern momentan geschäftlich andere Dinge umtreiben als die Frage, ob sie sich einen Hakimi für 40 Millionen Euro oder einen Camavinga für 30 oder sonstwen für Beträge in dieser Größenordnung als sportliche „Vorschüsse“ kaufen sollten.
(Notabene: Ich will damit keine Wertung abgeben, also sagen, ob die Bayern das meiner Meinung nach richtig machen oder nicht, ich versuche nur zu erklären wie ich denke, wie die Bayern ihre aktuelle Situation einschätzen.)