Miasanrot sucht Autor*innen und Social-Media-Betreuung rund um den FC Bayern

Da ist schon was dran, aber es klang vielleicht etwas zu negativ. Es hatte wohl schon etwas mit der spezifischen Ausrichtung am Geschwister-Scholl-Institut von Münchens LMU zu tun. Damals herrschte ein bestimmter Ansatz in der Lehre, das ist soweit durchaus nachzuvollziehen, weil es einfach Stand der Forschung war. Hatte man allerdings Kritikpunkte, legte man sich besser hervorragende Argumente parat, sonst gab’s von dem einen oder anderen Prof einen sauberen Einlauf - und manchmal hatte man den auch verdient :wink:.

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Einmal mehr vielen Dank, @pqr, für Deine ausführlichen und wohlstrukturierten Erklärungen, denen ich gut folgen konnte.

An einer Stelle setzt Du das Gendern mehr oder weniger unmittelbar mit der Rechtschreibreform von 1996 gleich; kurz darauf spricht Du vom Gendern als „Sprachreform“. Findest Du das Niveau der Verbindlichkeit der Aufforderung/Verpflichtung zum Gendern vergleichbar mit dem der Rechtschreibreform von 1996 und, wenn ja, verordnet von welchem Gremium?

Deine gesamte Argumentation gegen das Gendern fußt für mich logisch auf der Prämisse, dass es allgemein verpflichtend sei oder zu einer allgemeinen Pflicht gemacht werden soll, denn ansonsten wäre ja die ganze Aufregung über schlecht gemachte Studien etc. der Mühe Deiner umfangreichen Einlassungen dazu nicht wert. Wenn eine esoterische Gruppe esoterische Evidenz für ein esoterisches Projekt heranzieht - so what?

Mir scheint es an dieser Verbindlichkeit, die Dein Niveau des engagierten „Aktivismus“ gegen das Gendern validieren würde, noch zu mangeln, oder irre ich mich?

Übrigens: Ich kann mir einige Angriffsvektoren gegen das Gendern vorstellen, der via psychologisch-sprachwissenschaftliche Studien wäre nicht meine erste Wahl.

Zweite Frage: Würdest Du Dich mit dem Gendern wohler fühlen, wenn es nicht sprachwissenschaftlich, sondern politisch begründet würde, wenn also seine Vertreter sich gar nicht erst auf (wackelige) wissenschaftliche Erkenntnisse in dieser oder jener Disziplin, sondern ganz offen auf das aus ihrer Sicht durch das Gendern gestärkte Gemeinwohl berufen würden?

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Vielen Dank, @Alex, für Deine weiteren Nachfragen sowie Deinen sokratischen Ansatz, der mir sehr sympathisch ist.

Mir scheint es an dieser Verbindlichkeit, die Dein Niveau des engagierten „Aktivismus“ gegen das Gendern validieren würde, noch zu mangeln. Irre ich mich?

Zunächst: Mein „Aktivismus“ hier fußt vor allem darauf, dass mir über die Feiertage langweilig war (da meine Familie nicht gerne diskutiert) und ich beim sporadischen Mitlesen schon öfter festgestellt habe, dass hier viele kluge Köpfe unterwegs sind. Zusätzlich gab es einen Kommentar, über den ich mich geärgert habe, der aber dann vom Autor editiert wurde, bevor ich antworten konnte. Dieser war der eigentliche Auslöser meiner Wortmeldungen. Der Zeitüberfluss neigt sich allerdings bereits dem Ende zu, so dass ich bald wieder weniger häufig hier anzutreffen sein werde. Es ist jedenfalls nicht so, dass ich die ganze Zeit im Internet in Foren gegen das Gendern wettern würde. Maximal schreibe ich gelegentlich einen Leserbrief an Zeitungen.

Deine gesamte Argumentation gegen das Gendern fußt für mich logisch auf der Prämisse, dass es allgemein verpflichtend sei oder zu einer allgemeinen Pflicht gemacht werden soll, denn ansonsten wäre ja die ganze Aufregung über schlecht gemachte Studien etc. der Mühe Deiner umfangreichen Einlassungen dazu nicht wert. Wenn eine esoterische Gruppe esoterische Evidenz für ein esoterisches Projekt heranzieht - so what?

Auf die Frage der Verbindlichkeit komme ich gleich zurück. Aber es handelt sich leider nicht nur um esoterische Gruppen, sondern um solche, die relevante Machtpositionen einnehmen und glauben, sich nicht argumentativ rechtfertigen zu müssen. Historisch betrachtet ist das Etablieren einer sogenannten geschlechtergerechten Sprache ein Elitenprojekt gewesen, das in den 80ern und 90ern von einer kleinen Gruppe feministischer Linguisten sowie einer nicht ganz so kleinen Gruppe von Politkern betrieben wurde. Dieser war durchaus bewusst, dass ihre Position damals nicht mehrheitsfähig war, trotzdem wurden in offiziellen und halboffiziellen Dokumenten damals erste Varianten einer geschlechtergerechten Sprache eingeführt. Diese wurden über die bereits erwähnten Gleichstellungsbeauftragten dann durch das Instrument der Leitfäden in den Verwaltungen verbindlich gemacht. Da es diese auch an den Universitäten gab, ist eine Pseudo-Verbindlichkeit auch dort an etlichen Stellen zu beobachten (auch wenn severalseasons recht hat damit, dass diese Vorgaben rechtlich letztlich nicht haltbar sind; aber wer legt sich als Student schon mit seinem Institut an?).

Natürlich wird niemand gezwungen zu gendern. Man kann dann natürlich nicht mehr in Fachzeitschriften publizieren, die in ihren Leitlinien für Autoren das Gendern einfordern, und man kann dann keine Forschungsanträge mehr bei Institutionen einreichen, die das ebenfalls tun. Aber formal betrachtet herrscht natürlich nirgendwo Zwang.

Jedenfalls liegt der Schwerpunkt der Befürworter des Genderns empirisch betrachtet darauf, die Beweislast umzudrehen, nämlich dass nicht die Sprachreform begründet werden muss, sondern das Festhalten am herrschenden Sprachgebrauch. Diese Beweislastumkehr wird über die nicht stichhaltigen Argumente erreicht. Diese werden als unanfechtbar betrachtet, so dass auf Einwände nicht reagiert werden muss. So haben vor einiger Zeit namhafte Sprachwissenschaftler sich mit einem Aufruf an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewandt, das gendern dort zu unterlassen (https://www.linguistik-vs-gendern.de/). Unterzeichnet haben inzwischen über 1000 Philologen (darunter natürlich auch weniger namhafte, ich etwa). Die Rundfunkanstalten haben auf die Übersendung des Aufrufs nur mit einem Standardschreiben reagiert und fühlten sich nicht gehalten, ihre Position inhaltlich zu begründen.

An einer Stelle setzt Du das Gendern mehr oder weniger unmittelbar mit der Rechtschreibreform von 1996 gleich; kurz darauf spricht Du vom Gendern als „Sprachreform“. Findest Du das Niveau der Verbindlichkeit der Aufforderung/Verpflichtung zum Gendern vergleichbar mit dem der Rechtschreibreform von 1996 und, wenn ja, verordnet von welchem Gremium?

So, und nun kommen wir zum spannenden Punkt. Tatsächlich wurde in den letzten Jahren aus der Politik erheblicher Druck auf den Rechtschreibrat ausgeübt, den Genderstern in die Rechtschreibregeln aufzunehmen. Dabei handelt es sich dabei nicht um eine Frage der Rechtschreibung, sondern der Grammatik, also um einen Bereich, für den der Rat keine Regelungskompetenz besitzt. Dass dieser Druck existiert, ist dokumentiert, wurde etwa von Eisenberg in der FAZ berichtet und lässt sich auch daraus ersehen, dass der Rat binnen weniger Jahre mehrere Beschlüsse zu dem Thema gefasst hat, obwohl er nur ein- bis zweimal pro Jahr zusammentritt. Sprich: Die Parallele zur Rechtschreibreform ist unübersehbar: Es wird angestrebt, eine Reform durchzusetzen, indem sie für Schüler verbindlich gemacht wird. Dass der Rat das bislang abelehnt hat, ist möglicherweise nur eine Momentaufnahme, denn die Sprachwissenschaftler sind darin ja in der Minderzahl.

Übrigens: Ich kann mir einige Angriffsvektoren gegen das Gendern vorstellen, der via psychologisch-sprachwissenschaftliche Studien zu kommen wäre nicht meine erste Wahl.

Vermutlich wählt jeder für seine Argumente das Feld, auf dem er sich am besten auskennt. Mich würden Deine Ansätze aber interessieren. Möchtest Du sie teilen?

Zweite Frage: Würdest Du Dich mit dem Gendern wohler fühlen, wenn es nicht sprachwissenschaftlich, sondern politisch begründet würde, wenn also seine Vertreter sich gar nicht erst auf (wackelige) wissenschaftliche Erkenntnisse in dieser oder jener Disziplin, sondern ganz offen auf das aus ihrer Sicht durch das Gendern gestärkte Gemeinwohl berufen würden?

Das wäre die ehrlichere Argumentation, und insofern mir intellektuelle Redlichkeit hier sehr wichtig ist, hätte ich damit weit weniger Probleme. Die Nachteile der aktuell auf dem Tisch liegenden Vorschläge für das Sprachsystem blieben freilich erhalten (und damit ein Einwand, dass eine Reform tatsächlich das Gemeinwohl mehrte), und auch meine Skepsis dahingehend, ob Sprachreformen mit einer Mehrheitsentscheidung eingeführt werden dürfen. Aber ich könnte mir Varianten vorstellen, die ich zwar nach wie vor ablehnen würde, die auch weiterhin auf Prämissen beruhen würden, die ich nicht teile, bei denen ich nach wie vor das Erzwingen einer Durchsetzung ablehnen würde, die aber die schädlichen Auswirkungen auf das Sprachsystem minimieren würden. Man könnte etwa anfangen, in diese Richtung zu denken: https://www.youtube.com/watch?v=xVmGb7qACfA Ich wäre damit nach wie vor nicht glücklich, aber meine Einwände wären nicht gar so fundamental.

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Welche Institutionen und Fachzeitschriften wären das denn beispielsweise? Kannst du da einige Beispiele nennen?

Da ich meine Aufzeichnungen gerade nicht zur Hand habe, habe ich mich auf die Suche begeben nach der einen linguistischen Fachzeitschrift, von der ich weiß, den Nachweis dafür zwar nicht gefunden, dafür aber massenhaft Zeitschriften aus anderen Fachbereichen, die das Gendern mal in Form einer freundlichen Bitte, mal als Muss-Kriterium fordern. Hier sind einige Links:

[Gekürzt, da ich als neuer Benutzer nur zwei Links einfügen darf. Ich poste gleich noch mehr.]

Irgendwann habe ich dann aufgehört zu recherchieren. Von der linguistischen Zeitschrift spricht ohne Namensnennung auch Meineke im genannten Buch auf S. 275 (diese Aufzeichnungen habe ich mit dabei), ich habe mir das also nicht ausgedacht.

Man sieht jedenfalls, dass darunter Zeitschriften namhafter Verlage sind.

Förderinstitutionen suche ich heraus, wenn ich etwas mehr Zeit habe. Dort sind entsprechende Formulierungen immer tief in den (umfangreichen) Richtlinien versteckt, und die Recherche macht, wenn ich so sagen darf, nicht viel Freude. Aber man nimmt Drittmittel selbstverständlich auch gerne von kleineren Institutionen, wenn sie erreichbar sind.

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Mehr Links:

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Noch mehr Links:

EDIT: Mehr Antworten darf ich leider nicht schreiben. Ich hätte noch einige weitere Links gehabt, aber so müssen Dir diese erst einmal genügen.

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Lieber @pqr, vielen Dank für Deine zum wiederholten Male sehr lesenswerten Ausführungen zum Thema Gendern.

Ich gestehe, dass mich dieses Thema nicht so stark emotional affiziert, wie es bei Dir auf Basis Deiner bisherigen Beiträge zu urteilen der Fall zu sein scheint und dass ich mich daher bislang intellektuell viel weniger intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe als Du. Die Bedürfnisschwelle, darüber einen Leserbrief an eine Zeitung zu schreiben oder gar öffentliche Aufrufe zu unterzeichnen, hat es bei mir jedenfalls nie überschritten. :wink:

Viel mehr als naive Fragen zu stellen, kann ich Dir daher leider nicht anbieten. Ich habe mich bisher einfach insgesamt zu wenig mit dem Thema beschäftigt, um beispielsweise über konkrete sprachwissenschaftliche Sachfragen qualifiziert urteilen zu können, und es ist mir auch nicht wichtig genug, um im ‚Genderstreit‘ mit Verve und Leidenschaft für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen.

Verzeih mir daher bitte, wenn ich auf die wesentlichen Aussagen Deines letztens Post wiederum vor allem im Modus des interessierten Fragens und Kommentierens eingehe.

1. Der Prozess:

Du berichtest von einer politischen Reform der Sprache von oben, die, ausgehend und getrieben von einigen maßgeblichen Politikern und Feministen, in den frühen 80ern begonnen habe und im Zuge derer geschlechtergerechte Sprache in Form von (inoffiziellen) Leitlinien und Handreichungen nach und nach in die öffentliche Verwaltung eingesickert sei.

Was ist grundsätzlich verkehrt daran, wenn sich Interessensgruppen aus der Bevölkerung, in diesem Fall Feministen, für eine Sache ihrer Wahl, in diesem Fall die Durchsetzung geschlechtergerechter Sprache in der öffentlichen Verwaltung, politisch einsetzen? Sollte das in einer demokratischen Gesellschaft, in der ja nicht nur in einem pathetischen Sinne die Macht vom Volke ausgehen sollte, möglich, nein sogar wünschenswert sein? Eine starke, ausgeformte Zivilgesellschaft lebt doch gerade davon, dass sich Menschen mit gemeinsamen politischen Interessen organisieren und dann mit der Macht des Kollektivs für deren politische Umsetzung eintreten können, sei es als Partei, Verband, Lobbygruppe usw.

Du erwähnst die konkreten Beispiele der Universität und der Fachzeitschrift. Wenn sich Universitäten mittels einer Abstimmung im Senat (und selbstverständlich nicht durch eine eigenmächtigen Entscheidung eines Rektors oder Dekans) dazu entscheiden, gewisse sprachliche Ausdrucksformen in der Anrede von Personen für die eigene Institution verbindlich einzuführen, kann ich daran zumindest prozessual als Ausdruck einer vitalen zivilgesellschaftlichen Autonomie nichts Verwerfliches erkennen. Auch wenn man in gewissen Fachzeitschriften nicht mehr publizieren oder bei gewissen Forschungsförderungsinstitutionen keine grants mehr einwerben kann, wenn man in seinen Anträgen nicht zur Verwendung gegenderter Sprache bereit ist, mag das individuell verständlicherweise ärgerlich sein, aber für das eine wie das andere Beispiel gilt doch, dass dies Entscheidungen unabhängiger gesellschaftlicher Akteure im Zuge einer autonomen Gesetzgebung sind, so wie es in einer freien, pluralistischen Gesellschaft idealiter doch eigentlich der Fall sein sollte.

Freiheit vor einer Pflicht zum Gendern in gewissen beruflichen Kontexten konstituiert nach meinem letzten Kenntnisstand noch keine Grundrechtsverletzung. Vielleicht wäre ja Freiheit vor der Pflicht zum Gendern zumindest in behördlichen Kontexten einmal den Klageweg durch die gerichtlichen Instanzen vom Verwaltungsgericht bis hinauf zum BVerfG wert? Oder hat es solche Versuche möglicherweise sogar schon gegeben? Und wenn ja, wie sind sie ausgegangen?

2. Das Rechtsverständnis:

Auch stoße ich mich an dem von Dir verwendeten Begriff der „Beweislastumkehr“ im Kontext des Wandlungsprozesses von Sprache. Ich würde den gesteuerten Sprachgebungsprozess abstrakt eher als Gesetzgebungsprozess denn als Gesetzauslegungsprozess verstehen.

Mir ist der leicht paradoxe Charakter der Sprache hinsichtlich des Prozesses ihres Wandels bewusst, dass es einerseits für effiziente und effektive (schriftliche) Kommunikation einer fixierten und allgemein verbindlichen Grammatik und Rechtschreibung bedarf, Sprache aber andererseits, wie @anon47051198 bereits mehrfach hervorgehoben hat, sich kontinuierlich im Wandel befindet und damit jede strukturelle Fixierung bereits im Moment des Geschehens notwendigerweise überholt ist und immer nur vorläufig sein kann.

Vor diesem Hintergrund finde ich das Gedankengebäude, das sich hinter dem Begriff „Beweislastumkehr“ verbirgt, für den Prozess des Sprachwandels kategorial nicht anwendbar. Eine neue, diskrete und zur vorherigen unterschiedliche „Sprachversion“ steht nicht vor Gericht, wo sie ihren Wert und ihre Berechtigung „beweisen“ müsste, sondern Sprache verändert sich ständig marginal und ungerichtet und wir als Gesellschaft in unserer Verwendung von Sprache arbeiten (unbewusst) daran mit. Diejenigen, die bezüglich der Richtung dieses Wandels ein spezifisches Interesse haben (z. B. ein allgemein verpflichtendes Gendern ganz toll finden), können versuchen, für ihre Ideen politische Mehrheiten zu gewinnen, die den Sprachwandel dann in Form von Gesetzen und Verordnungen in ihrem Sinne formen. Für mich ist das im Ganzen ein konstruktiver, stetiger Vorgang, der sich mit einem Verständnis von diskreten Sprachversionen, die sich nacheinander ablösen, wenn sie sich „bewiesen“ haben, nicht wirklich vereinbaren lässt.

Ich würde den gesteuerten Teil des Sprachwandels daher auch vor allem als politischen Konstruktionsprozess begreifen, in dem politische Akteure ihre je eigenen Präferenzen abzubilden versuchen, und wenn ich mir in der Wikipedia die beeindruckenden Diskussionen um die Rechtschreibreform von 1996 noch einmal vor Augen führe, die sich bis zu ihrer endgültigen Befriedung mehr als zehn Jahre (!) hingezogen hat, glaube ich eingedenk des gewaltigen öffentlichen und politischen S***storms, der dann über Jahre hinweg in wiederkehrenden Wellen über dieser Republik niederregnen würde und eingedenk der Gefahr eines noch weiteren Verlustes an politischem goodwill bei einer von einer gefühlten Dauerkrise der letzten Jahre, von Corona über Inflation und Migration bis hin zur Heizung, ohnehin schon sehr strapazierten Bevölkerung, im Leben nicht daran, dass ein verpflichtendes Gendern in absehbarer Zeit auch nur in die Nähe dessen kommen wird, im Bildungswesen in einzelnen Bundesländern, geschweige denn bundesweit, verpflichtend eingeführt zu werden. Jeder Kultusminister, der das machte, spielte mit dem Leben seiner eigenen Regierung. Die Frage einer möglichen baldigen allgemeinen Pflicht zum Gendern schätze ich also komplett anders ein als Du.

3. Sonstiges

Ist im Übrigen das Gendern gesellschaftlich nicht schon wieder auf dem Rückzug? Vor einigen Wochen erst hat sich doch der Tagesspiegel unter großem öffentlichen Hallo von der geschlechtergerechten Anrede wieder verabschiedet und als regelmäßiger Deutschlandfunk-Hörer meine ich zu beobachten, dass in diesem sehr progressiven Medium, bei dem das phonetische Gendern bei einem relativ großen Anteil des On-air-Personals bereits relativ früh Einzug gehalten hatte und auch in diversen nachrichtlichen und Diskussionsformaten regelmäßig verarbeitet wurde, sowohl das phonetische Gendern als auch das Gendern als Thema inzwischen wieder abflaut. Täuscht mich meine Wahrnehmung oder teilt Ihr meinen Eindruck?

Weil Du mich danach gefragt hast, wenn ich Argumente gegen das Gendern vorbringen sollte, würde ich wohl zum Beispiel auf meine Skepsis verweisen, ob intuitive Assoziationstests, in denen Probanden innerhalb von Sekundenbruchteilen gewissen Xen Ys zuweisen müssen, verlässliche Rückschlüsse über bias auf der makroskopischen Ebene komplexer sozialer Interaktionsprozesse erlauben, vor allem in vorhersagender Richtung. Ich habe da Zweifel.

Auch würde ich wohl erwähnen, dass ich ganz starke Zweifel daran hätte, dass sich die gesellschaftlichen Hoffnungen, die sich hinter der Verwendung geschlechtergerechter oder „inklusiver“ Sprache verbergen, auch nur annähernd einlösen lassen werden, wenn das Gendern Teil einer allgemeinen Gesetzgebung würde. Ich glaube, dass wenn ab morgen am Tag jedermann in Deutschland in seiner gesamten mündlichen und schriftlichen Kommunikation zum Gendern verpflichtet würde, sich in Bezug auf das, was damit ja eigentlich erreicht werden soll, nämlich eine Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau und bestimmter Minderheiten, kaum etwas ändern würde (wenn überhaupt etwas). Ich halte das für eine vergebliche Hoffnung, deren unweigerliche Enttäuschung zu großen Frust unter den Betroffenen führen würde. Hier wird der Bevölkerung etwas versprochen, was das Instrument, mit dem erreicht werden soll, nicht annähernd einlösen kann.

Drittens würde ich vielleicht darauf verweisen, dass ich den Eindruck habe, dass der Einsatz für ein allgemeines Gendern politischerseits manchmal als Ersatzhandlung für wirklich wirksame Maßnahmen zur Erreichung von Geschlechtergerechtigkeit oder als Entlastungshandlung zur Beruhigung der eigenen Psyche der betreffenden Politiker genutzt wird, was in Verbindung mit einem wachsenden Frust in der interessierten Bevölkerung, wenn sie merkt, dass es mit der Geschlechtergerechtigkeit und der Gleichberechtigung der Frau zwar auf der sprachlichen Ebene, aber auf der substantiellen nicht wirklich vorangeht, dem eigentlichen, dahinterliegenden Anliegen schlussendlich sogar mehr schaden als nützen könnte. Es gibt viel Rauch, aber nur wenig Feuer, und alle sind enttäuscht.

Viertens und letztens würde ich vielleicht darauf verweisen, dass ich es aus Gründen der Schonung der für demokratische Gesellschaften essentiellen Ressource der Akzeptanz von Politik im Volk, die in diesen Zeiten ohnehin schon arg strapaziert erscheint (siehe oben), für politisch unklug hielte, diese Ressource für das Durchsetzen einer in ihrer gesellschaftlichen Auswirkung relativen Marginalie wie dem verbindlichen Gendern zu verbrauchen.

Sorry für die Bleiwüste. Aber wenn schon, dann schon. :slightly_smiling_face:

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Woooow, hab’s noch nicht gelesen, aber im Verfassen von Endlos Kommentaren in der Kurve geht der MSR Titel definitiv an Dich :wink:

Ich persönlich habe damit in keinster Weise ein Problem, bei mir wird’s auch gerne mal (vorallem im 4/5. Edit :joy:) Mal länger und jo, wenn schon dann richtig.

Finde aber, dass wie du schon so schön auch im Regelthread unter anderem angesprochen hast - auch der Schreibestil und damit auch der in Zukunft von ihm zu erwartende „Moderationsstil“ von @Jep ist da erfrischend „konträr“ zu Deinem: Im Gegensatz zu Dir sieht man bei ihm wenn durch die Beitragsliste im Profil scrollt nur kleinen Teil, der im Preview von paar Zeilen dann gekürzt werden muss, bei Dir phasenweise fast nur gekürzte :wink:

Quasi der @Jo_1 Moderator vs. der @cheffe Typ - um mal ne Analogie der erfolgreichsten (der eine von der Gesamtzahl der Likes, der andere bei Likes/Post) MSR User zu ziehen…

Und damit wohl die perfekte Lösung für den 2. Hauptmoderator, denn ja, dass man jemand mit deutlich anderem Moderationsstil (der häufiger mit kurzen aber regelmäßigigeren „Einwürfen“ noch „interveniert“ bzw. Moderationsentscheidungen kommentiert) noch hat ist völlig ohne Frage ein enormer Mehrwert fürs Forum…

:+1:

PS: Hier auch noch eine Gratulation und Gutes Gelingen (auch wenn ich da keinerlei Bedenken habe, dass klappen wird, die perfekte Wahl, @Alex & @justin !) an @jep zum neuen „Moderator Job“ und vielen Dank, dass Du dir das „anzutun“ (ein „Honigschlecken“ ist das ja wie auch die jetzt fast 24h - Politikthread, wow, aber meiner Meinung nach perfekt „gemanagt“, man muss konträre Meinungen sehr wohl auch „aushalten“, im Sinne der Diskussion sind sie sogar besonders wertvoll meistens - seit der Verkündigung wieder gezeigt haben, sicherlich nicht :wink: ) bereit!

PPS: der Titel der „meisten Klammer und - Einwürfe“ bei MSR geht neben „meiste Edits/Post“ hiermit wohl offiziell an mich - sicherlich nicht gerade lesefreundlich, aber so haben halt alle ihre Eigen/Unarten :wink:

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Danke für die Blumen, lieber @Ibiza! :pray: Ich muss allerdings anmerken: an manchem Detail sehe ich, dass ich noch ganz am Anfang meiner Tätigkeit als Moderator stehe. Wie könnte es auch anders sein. Da ist es eine große Hilfe, einen Profi wie @Alex zur Seite zu haben.

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Ja, @Alex kommt dem „perfekten“ Moderator zwar durchaus sehr nahe. Aber die Frage ob er es alleine „bewältigen“ kann, die ja öfter mal auch Thema hier war, geht für mich am Ziel vorbei:

Natürlich KANN er das, die Frage ist eher ob er das MÜSSEN sollte und was fürs Forum OPTIMAL ist.

Denn ja, es ist sicherlich eine ziemlich „aufreibende“ Angelegenheit und wie richtigerweise zuletzt angemerkt - ich lese auch sehr gerne auch von @Alex ausführliche (und nicht nur Moderationsthemen; von @Justin gar nicht zu reden - sehr gut, dass der nur in Extrem/Ausnahmefällen da noch tätig werden muss in Punkto Moderation denn der hat jetzt weiß Gott genug anderes zu tun MSR mäßig) Posts, für die er so eher Zeit haben wird als wenn Moderations mäßig alleine schon öfter eher „am rotieren“. Zumal es die Chancen steigert, dass er/ihr beide gemeinsam die Sache auch richtig langfristig machen könnt und nicht einer „über genervt“ irgendwann das Handtuch werfen muss auf absehbare Zeit…

Und ja, eben weil zwar viele Köche gerne den Brei verderben - aber ein Chefkoch hat immer auch paar wenige Topköche neben/unter sich: Weil zwei kompatible (das ist natürlich trotzdem total entscheidend, das wurde in der Auswahl von @jep
aber allemal berücksichtigt) „Topleute“ mit unterschiedlichem Stil/Stärken eine Gesamtaufgabe fast immer (würde das zB. langfristig auch bei Freund + Eberl beim FCB genauso erwarten) BESSER bewältigen können als einer alleine.

:wink:

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Eine Verpflichtung dazu vonseiten des Gesetzgebers etc sollte es natürlich nicht geben. Aber vielleicht würde es für die Betroffenen einen Unterschied machen, für junge Frauen bezüglich ihrer Selbstwahrnehmung, ihres Selbstbildes, wenn mehr Sprachteilnehmer diesbezüglich eine höhere Sensibilität ausbilden würden? Und auch darüberhinaus?! Halte ich nicht für ganz so unwahrscheinlich. Wir könnten ja mal das generische Femininum einführen und dann sehen, wie es uns Männern damit geht? :thinking:

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Wow, da würden hier einige komplett „durchdrehen“ fürchte ich, nochmal in ganz anderer Dimension als eh schon zuletzt wegen dem vergleichsweise „harmlosen“ Sternchen, :joy:

Aber ja, ich denke man darf vorallem nicht auf den kurzfristigen Effekt schauen, der ist sicherlich minimal.

Aber längerfristig denke ich hilft ein Genderstern zumindest insofern, dass er Gedanken in Richtung „Gleichbehandlung der Geschlechter“ sowohl bei Frauen als auch Männern anregt.

Davon dass er auch viele hitzige Diskussionen lostritt auch gar nicht zu reden. Aber die sehe ich keineswegs als kritisch, sondern klar eher notwendig/hilfreich langfristig gesehen auch wenn es kurzfristig viele vorallem mal nervt…

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Ich habe meine Bachelorthesis im generischen Femininum geschrieben. Mir hat’s gefallen, ist aber nur so mittelmäßig angekommen.

Ich sehe das Gendern aus folgender Perspektive: Gendern ist eine Art Höflichkeitsform gegenüber den Menschen, die sich durch das generische Maskulinum nicht angesprochen fühlen.
Beispiel: Mündliche Grußformeln wie „Guten Tag“, „Hallo“ oder „Servus“ usw. sind keine Pflicht, erleichtern aber das Zusammenleben. Höflichkeit und Respekt bedingen sich Gegenseitig.

Das Gendern ist kein „Muss“, ich würde aber trotzdem dazu raten. Es ist höflich und erleichtert den Umgang miteinander.

Vielleicht könnte diese Sichtweise die Schärfe des Diskurses reduzieren.

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Könnte man sicher versuchen, wäre zumindest sprachlich einfacher als alle aktuellen Gender-Varianten.
Allerdings würde man damit zwei Kernanliegen des Genderns trotzdem nicht lösen:

  1. Wenn man der Idee anhängt, dass das generische Maskulinum in den Köpfen der Menschen mehrheitlich den Bias „Mann“ bewirkt, dann würde ein generisches Femininum nur die Verhältnisse umkehren, also keine Gleichbehandlung herstellen (und, by the way, die höchst lesenswerten Beiträge von @pqr legen ja nahe, dass die Idee des Bias durchs generische Maskulinum real nicht existiert, sondern eher einem entsprechenden Bias vieler diesbzüglicher Studien geschuldet ist).
  2. Ein zentrales Anliegen der Gender-Sternchen, -Doppelpunkte o.ä. ist ja, dass nicht nur Frauen und Männer, sondern eben durch das Sonderzeichen explizit auch non-binäre Personen in der Sprech- und Schreibweise sichtbar werden. In der Hinsicht wäre ein generisches Femininum eine Verschlechterung, denn z.B. bei einer „Ärztin“ denkt jeder dank bisherigem Sprachgebrauch ausschließlich an eine Frau.

Insofern bin ich für ein „ganz oder gar nicht“. Soll heißen:

  • entweder wir entscheiden uns für das bereits existierende generische Maskulinum und ersetzen dafür die sprachliche Kosmetik durch real wirksame Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter
  • oder wir einigen uns darauf, dass es aktuell wichtig ist, ein sprachliches Zeichen zu setzen, das uns die Gleichstellungsdebatte konstant präsent hält und (hoffentlich) insbesondere auch den non-Binären zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz verhilft.

Irgendwelche Scheinlösungen wie die Verwendungen von Partizipien im Plural und nur mäßig passenden neutralen Begriffen im Singulär halte ich nicht für zielführend, die sind meines Erachtens dem generischen Maskulium gleichzusetzen, weil sie sich ja nur um die explizite Aussage herumdrücken (und sprachlich trotzdem oft schrecklich sind).

Der zweite Fall („wenn schon Gendern, dann richtig“) wirft dann für mich aber rein sprachlich noch ein ungelöstes Problem auf, nämlich: was mache ich im Singular mit dem Artikel?
Schreibt man da dann „der/die Student*in“, dann fehlt den Non-Binären ein eigener Artikel (den es ja grammatikalisch einfach nicht gibt) … das Problem lässt sich mit „der/die Studierende“ auch nicht lösen !?
Weiß jemand dafür eine Lösung (ich hatte das weiter oben schon mal gefragt, aber keine Antwort erhalten) ?

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Sternchen sind nicht mehr en Vogue, führende Typographen empfehlen Doppelplunkte: sie bieten ebenfalls „Raum“ und zerstören das Schriftbild nicht.
(Nur so als kleiner Klugscheißer-Kommentar).

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Es war nicht im Ernst gesprochen, sondern sollte anregen, sich in diese Situation von Männerseite her hineinzudenken. Im Übrigen: es gibt nicht nur die eine linguistisch fundierte Position, sondern eben auch hier ein Spektrum von Positionen, viele höchst lesenswert. Ich habe dazu schon weiter oben Verweise gepostet.

Da müsste man mal eine Umfrage unter den Non-Binären machen, was sie bevorzugen; würde es mich betreffen, würde ich ein Sternchen klar vorziehen, weil der sonst in der Sprache kein Funktion hat und damit herausgehoben ist, während der ordinäre Doppelpunkt einfach ein Satzeichen ist … :wink:

Ich möchte doch für die jungen Frauen Deutschlands hoffen, dass ihr Selbstbild nicht maßgeblich von der Form der pronominalen Anrede abhängt.

Das ist ein schiefer Vergleich, weil das generische Maskulinum den Sprachstandard im Gebrauch darstellt und der Wechsel auf das generische Femininum den Wandel.

Für soziale Systemen ist immer der Wandel die Irritation, nie das Festhalten am Bestehenden.

Anders gesagt: Zwischen dem generischen Maskulinum und dem generischen Femininum lässt nicht beliebig hin und her wechseln, wie zwischen dem An und Aus bei einem Lichtschalter, die je aktuelle Sprache ist Ergebnis eines historischen Prozesses und Sprachwandel, wie jeder soziale Wandel, erfolgt nie gedächtnislos, sondern für den Grad der Irritation durch das zukünftig Gewollte hat der gegenwärtige Normalzustand entscheidende Bedeutung.

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Ich denke, du unterschätzt da etwas, wie sehr ein Medium wie Sprache Vorstellungen prägt: herrlich, dämlich, getürkt usw…Nicht umsonst legen Ideologien so viel Wert auf rhetorische Mittel, Lexik usw.

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