Allerdings gibt es auch Studien, die den Mehrwert des Genderns hinsichtlich größerer Inklusion belegen. Das Problem mit dem generischen Maskulinum besteht doch hauptsächlich in der faktischen männerorientierten Vagheit der entsprechenden Formen. Also einfach zu behaupten, dass diese Formen beide Geschlechter (und von den non-binären Personen haben wir dabei noch gar nicht gesprochen) referieren, vermeidet im Grunde das Problem durch Ignorieren der Inklusionseffekte - denn das „Mitmeinen“ ist ja gerade der wunde Punkt…
Du sprichst hier einen interessanten Punkt an, und da die Hintergründe hier außerhalb der Sprachwissenschaft nur wenigen bekannt sind, möchte ich (als sonst stiller Mitleser) hier kurz einhaken. Dem ersten Augenschein nach sieht es tatsächlich so aus, als gäbe es Studien, die für die feministische Position sprechen, und andere, die dagegen sprechen, also als sei aus den Studien nicht zu entnehmen, welche Position plausibler sei. Dem ist allerdings nicht so, sondern wenn man die Methodik der verschiedenen Publikationen kritisch betrachtet, kann man sehen, dass man die Inklusionseffekte, die Du meinst, mit den von der feministischen Linguistik benutzten Methoden nicht nachweisen kann. In der Regel sehen diese Studien so aus, dass sich die Forscherinnen (es sind meist tatsächlich Frauen) ein paar Beispielsätze ausdenken, diese ihren Probanden vorlegen, die dann die Aufgabe haben, einen Anschluss zu finden (also etwa ein Pronomen oder einen Personennamen in ein Feld einzutragen). Wenn dann bei Verwendung der maskulinen Form die Probanden mehrheitlich mit maskulinem Pronomen oder männlichen Namen fortfahren, wird daraus geschlossen, dass hier die sexistische Wirkung der Grammatik zum Vorschein komme und man also den gewünschten Beweis geführt habe.
Ich möchte jetzt gar nicht darauf eingehen, dass man im Rahmen dieses Studienaufbaus viel manipulieren kann (und auch gelegentlich erwiesenermaßen (!) manipuliert wurde). Das entscheidende Experiment, an dem man erkennen kann, dass Inklusions- bzw. Exklusionseffekte mit dieser Art von Studie nicht nachgewiesen werden können, ist das folgende: Ein Linguist hat die Beispielsätze aus einer feministisch orientierten Arbeit genommen und dort alle Funktionsbezeichnungen ersetzt durch Wörter, die von der feministischen Linguistik als neutral betrachtet werden, nämlich durch „Mensch“ oder „Person“. Als er diese Sätze anschließend Probanden vorlegte, haben diese Sätze mit „Mensch“ überwiegend mit Männernamen, solche mit „Person“ überwiegend mit Frauennamen fortgesetzt. Sprich: Wenn die Annahmen der feministischen Linguistik zuträfen, kann es keine neutralen (nichtsexistischen) Substantive geben, die keine Neutra sind. Das behauptet aber noch nicht einmal die feministische Linguistik selbst, denn es gibt sie massenhaft (etwa: der Beistand, der Bösewicht, der Frechdachs, der Lehrling, die Koryphäe, der Profi, der Spaßvogel, …). Das heißt, diese Assoziationsexperimente messen nicht das, was öffentlich über sie behauptet wird.
In meinen Augen sind die sinnvolleren Experimente ohnehin die, die nicht aufzudecken versuchen, welch seltsame Gedanken die Probanden wohl beim Lesen konstruierter Sätze haben, sondern solche, mit denen untersucht wird, wie sie Sätze im Zusammenhang, das heißt nicht isoliert, sondern in einem längeren Text verstehen. Diese Experimente machen aber keine Schlagzeilen, weil das Ergebnis nicht sonderlich spektakulär und unerwartet ist: Kompetente Sprecher (und Leser) des Deutschen haben keine Probleme, das generische Maskulinum zu erkennen und zu interpretieren. Der einzige Fall, in dem es nicht funktioniert, ist der Singular mit spezifischer Referenz auf eine Person. Dort widerspricht es dem Sprachgebrauch, wird aber dementsprechend auch von den Sprechern nicht verwendet. Deshalb ist dieser Fall nicht problematisch.
Übrigens ist erst in diesem Sommer ein Buch erschienen, das die sprachwissenschaftliche Diskussion seit den 80ern und auch die Studienlage (in dem Sinne, den ich gerade ausgeführt habe) sehr gut zusammenfasst: „Studien zum genderneutralen Maskulinum“ von Eckhard Meineke, einer echten Koryphäe der Sprachwissenschaft.
Er selbst macht sich allerdings keine Illusionen darüber, was sprachwissenschaftliche Argumente in der öffentlichen Debatte noch bewirken können. Denn:
In der Praxis bemühe ich mich, zunächst zu vermitteln, dass ich für die Thematik sensibilisiert bin, verwende oft Doppelformen, auch Partizipien (weil z.B. von meiner Uni - nicht Hamburg (s.o.) - so empfohlen - und das sind auch nicht alle Doofköpfe)
Das sind natürlich nicht alles Dummköpfe, aber hast Du sie einmal nach ihrer Kompetenz gefragt? Es gab vor einigen Jahren einmal einen Aufsatz im Merkur, in dem ein Wissenschaftler davon berichtete, dass er alle Gleichstellungsbeauftragten an deutschen Universitäten, die einen Leitfaden zum nichtdiskriminierenden Sprachgebrauch erstellt hatten, angefragt hatte, ob sie selbst über sprachwissenschaftliche Expertise verfügten oder Sprachwissenschaftler bei der Erstellung der Leitfäden herangezogen haben. Diejenigen, die überhaupt geantwortet haben, mussten die Frage alle verneinen.
Wir haben also den seltsamen Fall, dass sowohl die Mehrheit der Sprecher sich allen Umfragen zufolge gegen das Gendern von Texten aussprechen und die sprachwissenschaftlichen Argumente ihre Haltung stützen, dass aber öffentlich trotzdem überwiegend Argumente kursieren, die längst widerlegt sind. Diese sind nicht totzukriegen, weil sie der aktuellen politischen Tendenz entsprechen, und möglicherweise wird das am Ende entscheidend sein.
Im übrigen möchte ich auch niemandem etwas vorschreiben, und Justin (und alle anderen) sollen gerne so schreiben, wie sie möchten. Ich habe das alles jetzt vor allem deshalb länger ausgeführt, weil man heute den Eindruck gewinnen könnte, die Fachleute wären alle für das Gendern und man selbst wäre ein Fossil, wenn man darauf verzichtet. Dem ist nicht so.