Vielen Dank für Eure sehr interessanten Hinweise, @Zip und @Jo_1.
Das mit der „10.000-Stunden-Regel“ ist wirklich spannend.
Unsere Ausgangsfrage wird aber von dem Artikel auch nicht beantwortet: Ericsson sagt, mit 10.000 Stunden harter Arbeit kann man in jedem Bereich zum Ausnahmekönner werden. Aber am Ende des Beitrags heißt es, harte Arbeit mache nur 12% des Erfolgs aus. Ich halte beide Extrempositionen für falsch; die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischen liegen.
Was diese Diskussion immer schon äußerst erschwert hat, ist die politische Ausrichtung des jeweiligen Autors. In der „Anlage/Umwelt-Problematik“ haben Linke immer schon der Umwelt die größere Bedeutung zugesprochen, während Konservative auf das angeborene versus fehlende Talent gepocht haben.
Berühmt ist die „Tabula rasa“-Theorie der Marxisten, die da besagte: „Gebt mir 100 zufällig ausgesuchte Säuglinge, und ich garantiere Euch, dass ich mit intensiver und gezielter Förderung daraus wahlweise Physik-Professoren, Fußballstars oder große Pianisten machen kann“.
Nehmen wir nur mal die Beurteilung psychischer Krankheiten.
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gingen praktisch alle Autoren davon aus, dass es sich um „Erbkrankheiten“ handle, also um „schlechte Anlagen“ (die Gene waren damals noch gar nicht entdeckt worden), die sich weiter vererben.
Dann kamen Freud und die Psychoanalyse, die die Erbanlagen viel geringer veranschlagten, sondern erstmals der frühen Lebensgeschichte eines Individuums die Verursachung späterer psychischer Krankheiten anlasteten.
Wenn ich als Kind in einem Klima großer Verunsicherung heranwachse, begünstigt das die Entstehung z.B. von Angsterkrankungen.
Dann kamen die Nazis, die natürlich alles wieder auf schlechte Erbanlagen zurückführten und tragischerweise viele psychisch Kranke sterilisierten oder gar töteten, um die Weitervererbung psychischer Krankheiten zu verhindern.
In den Nachkriegsjahrzehnten kamen als Gegenbewegung dann die „68er“ mit APO, SDS usw. - und es entstand die DDR -, die wiederum die Erbanlagen gering veranschlagten und der Umwelt (also Sozialisation, Erziehung und „Klassen-Herkunft“) bzw. letztlich der „Entfremdung“ im Kapitalismus die weitaus größere Bedeutung zusprachen. Und es entstand die sogenannte „Sozialpsychiatrie“ mit Öffnung der großen psychiatrischen Landeskrankenhäuser usw.
Es wurden also GESELLSCHAFTLICHE Faktoren für viele psychische Erkrankungen verantwortlich gemacht.
Seit einigen Jahren jedoch - die Geschichte verläuft ja immer in Wellen - ist wieder eine Gegenbewegung zu beobachten. Man muss sich nur die Websites der heutigen psychiatrischen Universitätskliniken ansehen und wird schnell erkennen, dass die meisten Forschungsgelder in Molekularbiologie und Genetik fließen.
Gerade Angsterkrankungen sollen z.B. in erster Linie genetisch bedingt sein, und man versucht, mit Medikamenten und in Kürze auch gentechnischen Maßnahmen in diese angeborenen „Gendefekte“ korrigierend einzugreifen, damit die Angstsymptomatik verschwindet.
Auf den Fußball übertragen, ist also die Frage, zu wieviel Prozent die Spitzen-Performance der Stars auf „Genie“ (also angeborenem Talent) und zu wieviel Prozent auf jahrelange harte Arbeit zurückzuführen ist, m.W. immer noch nicht befriedigend beantwortet - ich habe konkrete Beispiele für beides genannt.
Und @Marcus hat sicherlich recht mit seiner Beobachtung, dass es viele „schlamperte Genies“ gab, die aus ihrem Talent mangels Fleiß und harter Arbeit (zu) wenig gemacht haben - und dass „mittelmäßig talentierte“ Spieler mit großem Fleiß oftmals mehr aus sich gemacht haben.
Das Nonplusultra bleiben aber sicher Spieler wie eben Musiala, die großes angeborenes Talent mit jahrelanger harter Arbeit an ihren Defiziten kombinieren. Ein aktuelles Beispiel ist, dass Musiala sich durch freiwillige Extraschichten im Training kürzlich erst beigebracht hat, wie er mehr Kopfballtore schießen kann. Solche Spieler wünscht man sich!
Und deswegen bin ich sehr froh, wenn er bei uns verlängert.