Antisemitismus hat sich ja in Europa im Mittelalter schon stark ausgeprägt. Die Angst vor dem Fremden (Juden essen kein Schweinefleisch, beten auf andere Weise, haben andere Feiertage) reichte da schon aus, um sie kritisch zu beäugen. Der Vorwurf, dass die Juden Jesus Christus ermordeten, war auch stets präsent. Das führte dazu, dass die ersten „Amtshandlungen“ der Kreuzritter Ende des 11. Jahrhunderts waren, die jüdischen Gemeinden in den Städten entlang des Rheins zu überfallen und Juden zu töten, ehe man sich auf den Weg ins Heilige Land machte.
Später kam noch dazu, dass es oft praktisch war, Sündenböcke für Ereignisse zu haben, die man sich nicht erklären konnte. In einer Zeit, in der beispielsweise die Pest sogar von Universitätsgelehrten der renommierten Sorbonne in Paris mit einer ungünstigen Konstellation der Planeten und Sterne erklärt wurde, konnte man natürlich auch genügend Anhänger für Theorien, die den Juden die Schuld zuwiesen finden.
Auch eine Rolle spielten finanzielle Aspekte. Juden durften kein Land besitzen und waren im Mittelalter auch aus den Zünften ausgeschlossen, weshalb sie keine Handwerksberufe ausüben konnten. Es blieb ihnen also nur der Handel und das Geschäft des Geldverleihens inklusive Zinsen, das den Christen aus religiösen Gründen verboten war. So wurden einige Juden reich und das schürte Neid und Missgunst. Mit jedem Pogrom und jeder Vertreibung von Juden aus mittelalterlichen Städten verschwanden auch die Schuldscheine und man war wieder schuldenfrei.
All diese Vorurteile hielten sich jahrhundertelang in den Köpfen der Menschen.
Im 19. und 20. Jahrhundert waren die Juden dann plötzlich verantwortlich für die Weltwirtschaftskrise und den Kommunismus und das reichte wiederum aus, um zu mittelalterlichen Methoden zu greifen in Kombination mit der chirurgischen Präzision des Industriezeitalters.
Das war jetzt eine kurze Erklärung, wie ich sie meinen Schülern auch gebe.
Auch in Bezug auf die Wirtschaftspolitik der Nazis kann ich dir gerne ein paar Infos geben, damit du evtl. besser verstehst, warum ein paar User auf dein Argument mit den Autobahnen empfindlich reagiert haben.
Die Wirtschaft der Nazis war seit ihrer Machtübernahme darauf ausgelegt, dass man ein riesiges Staatsdefizit in Kauf nahm, weil man vorhatte, spätestens ab den 1940er Jahren einen Krieg zu führen. Die Kalkulation war für Hitler einfach: gewinnt Nazi-Deutschland diesen Krieg, dann zahlen die neu eroberten Gebiete dafür. Verliert Nazi-Deutschland den Krieg, dann ist das das Ende für Hitler und die Nazis und alles was dann mit Deutschland passiert kann ihnen egal sein.
Unter dieser Vorgabe konnte man riesige Konjunkturprogramme auflegen, u.a. für Autobahnen, Flugplätze und andere Einrichtungen, die auch dem Militär nutzen würden. Das meiste Geld wurde natürlich in die Rüstungsindustire gesteckt, weshalb auch dort zahlreiche Arbeitsplätze entstanden. Zudem wurde durch die Wiedereinführung der Wehrpflicht eine Menge potentiell Arbeitssuchender zumindest für die Dauer des Wehrdienstes aus dem Pool der Arbeitnehmer entfernt. Außerdem sank die Erwerbsquote unter den Frauen erheblich, weil diese eigentlich nur noch Gebärmaschinen für den Führer sein sollten, die nicht arbeiten, sondern die künftige Generation großziehen. All das sorgte dafür, dass viel mehr Menschen wieder Arbeit hatten, ohne das irgend etwas Nachhaltiges dabei gewesen wäre.
Ich möchte meinen obigen Post, in dem ich bemängelte, dass die SPD und die Grünen Antisemiten in ihren Reihen haben, noch einmal um ein aktuelles Beispiel erweitern.
Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (SPD) hat erst kürzlich (nicht zum ersten Mal) einen antisemitischen Post geteilt und sich nachher mal wieder (glaubhaft?) dafür entschuldigt.
Ich persönlich schäme mich dafür, dass solche Personen unser Land vertreten, noch dazu als Bundestagsvizepräsidentin. Rücktritt? Fehlanzeige.
Das kann man sogar noch weiter aufmachen, wie du sicher weißt. Ich arbeite gerade an der Aufarbeitung der Geschichte eines Berufsverbandes und bin da mal wieder auf etwas gestoßen, das oft nicht mehr so präsent ist: Es gab viele Klagen über die Überfüllung von Hochschulen Anfang der 30er Jahre. Dem konnte „bequem“ Abhilfe geschaffen werden, indem man direkt nach der Machtübergabe/-übernahme daran ging, Juden Stück für Stück aus den Hochschulen zu entfernen, Studierende wie Lehrende. So wie auch überall sonst in der Gesellschaft.
Danke, einiges war mir tatsächlich neu. Bist du dir aber mit den Zinsen sicher? Ich war immer der Meinung die Juden durften keine Zinsen verlangen. So steht es auch bei Wikipedia (ich weiß, das muss nicht immer stimmen)
Das stimmt durchaus, galt so streng aber offenbar nur gegenüber anderen Juden:
So erklärt es einem die KI:
https://www.perplexity.ai/search/how-did-jews-circumvent-ursury-ZhSedOLeTLWlVKTq_zULEQ
https://www.perplexity.ai/search/wie-umgingen-juden-das-zinsver-THGuPhVITgmFlylVHw79BA
Danke Euch allen für die gehaltvolle Diskussion nach einem holprigen Start.
@mags: Wenn Du Dich für das Thema Judenhass und Antisemitismus interessierst, möchte ich Dir diese vierteilige Arte-Dokumentation sehr ans Herz legen. Es ist die beste chronologische filmische Darstellung des Judenhasses von der Antike bis in die Gegenwart, die ich kenne.
Die extreme Kurzfassung der Entwicklung dieses Phänomens: Anfangs war der Judenhass vor allem religiös begründet, die Christen – und mit dem Ende der Antike wurde praktisch ganz Europa sehr schnell christlich – sahen in den Juden den Mörder Jesus’, hielten sie für heuchlerische Pharisäer und dergleichen mehr. Zudem war das Judentum eine Konkurrenzreligion zum Christentum; beide berufen sich auf eine in weiten Teilen gleiche Ursprungsgeschichte (Altes Testament/Tanach), aber in den Augen der Christen irrten die Juden mit ihrer Interpretation dieser Geschichte. Auf dem Boden dieser religiös begründeten Abneigung entstanden dann im Laufe der Jahrhunderte antijüdische Mythen wie die, dass die Juden rituell christliche Kinder schlachten und deren Blut für ihre Pessachfeier verwenden würden oder dass die großen Pestausbrüche des Mittelalters auf kontaminiertes Wasser aus von Juden vergifteten Brunnen zurückzuführen sei und viele andere mehr.
Erst im 19. Jahrhundert wandelte sich mit der „Entdeckung“ der Menschenrassen, die die Aufklärung hervorgebracht hatte, der religiös begründete Antijudaismus zu einem rassisch begründeten Antisemitismus. Auch der Begriff des Antisemitismus stammt aus dieser Zeit. Juden wurden nun zunehmend als Rasse abgelehnt und verfolgt, nicht mehr auf Basis von Religion oder religiös motivierter Gründe.
Wie das genau ablief und welche Konsequenzen dieser seit der Antike vorhandene, mal mehr oder weniger stark ausgeprägte Hass, dem sich die überall in der Diaspora (= in kleinen, versprengten Einheiten außerhalb der Heimat) lebenden Juden ausgesetzt sahen, für diese hatte, zeigt Dir die eingangs genannte Dokumentation, die ich Dir (und allen hier) nochmal sehr empfehlen möchte.
P.S. Alle vier Teile der Doku gibt es auch bei YouTube.
Teil 1: https://youtu.be/aNUrEyiLNM8
Teil 2: https://youtu.be/iGLvQeZ4Yfs
Teil 3: https://youtu.be/G8tOR3c2_Qc
Teil 4: https://youtu.be/4H1HxxqQY2w
Danke, das werde ich mir an einem regnerischen Novemberwochenende reinziehen.
VORSICHT TRIGGERWARNUNG
wer sich die Gräueltaten der Nazis als geschichtlich/historisches Lehrbeispiel zutraut, dem sei die Dokumentation von Alfred Hitchcock empfohlen!
ich warne ausdrücklich:
meine Nächte danach waren keine guten - doch ich lege JEDEM MENSCHEN diesen Film sehr ans Herz!
Night will fall!
@mags : von meiner Seite aus auch Entschuldigung für meine recht drastische Reaktion in einem Beitrag - vielleicht haben wir uns tatsächlich nur missverstanden. Das Thema ist sehr ernst, und ich danke u. a. auch @willythegreat und @Alex für ihre deeskalierenden und sachlichen Beiträge.
Alles gut. 2 Fragen brennen mir aber noch unter den Nägeln. Schreib mir bitte deine Meinung dazu (natürlich sind auch alle anderen eingeladen).
- Wenn man davon ausgeht, dass der Judenhass im arabisch/islamischen Raum weit verbreitet ist, ist es dann nicht logisch, dass der Antisemitismus in Deutschland zunimmt, wenn immer mehr Flüchtlinge aus diesen Regionen nach Deutschland kommen?
- Fühlst du dich voll verantwortlich für die Taten deines Großvaters?
Ich denke, wenn mein Kind mutwillig etwas kaputt macht, dann kann ich es bestrafen und werde ihm erklären wieso es bestraft wurde, aber dann muss auch mal wieder gut sein. Sonst kann ich doch keine normale Beziehung mehr führen. Das heißt nicht, dass ich alles vergesse, aber man muss auch verzeihen können.
@mags :
- zu 1.) : ich verweise mal auf den folgenden (wie ich finde) durchaus interessanten Link: Antisemitismus | Desintegration | Zahlen und Fakten | MEDIENDIENST INTEGRATION. (dies ist ein Projekt des „Rats für Migration“, ein unabhängiger Zusammenschluss von Migrationsforscher:innen. Deine Frage finde ich deshalb nicht in einem Satz beantwortbar, weil es auch um die Definition von „Antisemitismus“ geht.
- zu 2.) Verantwortung kann ich nur für meine eigenen Taten übernehmen, niemals für die Taten meines Großvaters (meiner wurde übrigens im 2. Weltkrieg in Russland als Soldat eingesetzt und geriet kurz in Gefangenschaft gen Kriegsende, kam aber wieder frei und körperlich zumindest unversehrt nach Hause. Er hat mit uns Enkeln niemals über diese Zeit gesprochen: ich war 19 Jahre als er starb und politisch durchaus interessiert, aber er hat zumindest mir gegenüber niemals diese Zeit erwähnt). Natürlich hege ich auch heute keinen Groll gegen ihn, ich weiß selbst wirklich auch nicht, was ich damals gemacht hätte, als ich so alt war wie er.
Die Verantwortung, die mir heute obliegt, ist es - so denke ich zumindest - aus der Geschichte zu lernen. Die Aussage/Forderung "Nie wieder! ", die u. a. in Buchenwald in Stein gemeißelt ist, empfinde ich auch als persönliche Verpflichtung. Die Generationen nach der unserer Großeltern tragen keine Schuld an dem, was damals passierte (wie auch, sie waren nicht beteiligt), aber sie haben aus meiner Sicht die Pflicht, aus diesem Horrorkapitel der deutschen Geschichte zu lernen und Faschismus und Extremismus jeglicher Form entgegenzutreten und für unsere Werte von Menschlichkeit und die Menschenrechte einzutreten.
Warum solltest du auch?
Er war Soldat und kein Nazi, oder?
Zu Punkt 1 habe ich eine klare Meinung:
Wer in Deutschland antisemitische Äußerungen tätigt bzw. sogar Gewalttaten verübt, sollte vom deutschen Staat kein Geld bekommen. Das ist jetzt nicht pauschal gegen Migranten gerichtet, sondern betrifft auch deutsche Staatsbürger. Ein vom Staat finanziertes politisches Amt wäre mMn für einen Antisemiten damit unmöglich, was im Übrigen aktuell auch für mehr Platz im Bundestag sorgen würde (und zwar bei mehreren Parteien von ganz rechts bis ganz links im Spektrum).
Wenn jemand in seinem privaten Umfeld meint, er muss seine antisemitischen Tendenzen behalten, dann von mir aus („Die Gedanken sind frei“). Sobald es den Bereich des Privaten verlässt und in der Öffentlichkeit ankommt, wünsche ich mir ein knallhartes Vorgehen.
Zu Punkt 2:
Ich fühle mich nicht verantwortlich dafür, was irgendjemand zwischen 1933 und 1945 gemacht hat. Und ich bin auch nicht dafür, Israel aufgrund dieser Vergangenheit einen „Blankoscheck“ auszustellen (wie das Kaiser Wilhelm II. gegenüber dem österreichischen Kaiser 1914 getan hat). Ich würde einfach sagen, dass man Israel wie einen demokratischen Verbündeten behandelt, den man auch mal kritisieren darf, aber an den man keine Maßstäbe anlegt, die man nicht auch an andere Verbündete anlegen würde. Und ich sehe aktuell keinen großen Unterschied darin, wie Israel gegen Terroristen vorgeht im Vergleich dazu, wie Amerika das im Anschluss an 9/11 gemacht hat (Afghanistan, Irak).
Es zählt also das Recht des Stärkeren? Wer atomwaffen besitzt und eine Armee, der darf sich holen, was er will? Wie im Mittelalter?
Ich finde diese Einstellung erbärmlich feige.
Ich hoffe, ich kann mich soweit zurückhalten und keine weiteren Posts mehr senden. Einige Einlassungen treiben mein Puls wirklich hoch.
Die Ärzte haben das in „Deine Schuld“ sehr gut auf den Punkt gebracht:
Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist, es wär nur deine Schuld wenn sie so bleibt.
Keiner von uns steht in Verantwortung für die Gräueltaten von 1933-1945.
Jeder von uns steht in Verantwortung, dass so etwas nie wieder passiert.
Das ist für mich die zentrale Bedeutung von NIE WIEDER!
Willst du Israels Kampf gegen Hisbollah und Hamas mit Putins Invasion in der Ukraine vergleichen?
Ich beziehe mich auf deine beiden letzten Absätze, in denen Du Angst vor Putin schürst und Scholz verteidigst.
OK, verstanden. Das kann man natürlich so sehen, dass es feige ist, Putin nicht mit der vollen Härte der zur Verfügung stehenden Waffen zu bekämpfen.
Ich gehe davon aus, dass du dann auch die Argumentation von @Alex nicht für sinnvoll hältst, was natürlich auch dein gutes Recht ist.
Sollte man deiner Meinung nach nicht dann am besten auch noch mit mindestens 100.000 NATO-Soldaten in den Krieg eingreifen?
Nochmals: darf sich der Stärkste einfach nehmen, was er will?
Also, ich hätte gerne Österreich und Südtirol. Los geht’s!