Um es gleich vorwegzunehmen: Für Florian Wirtz hätte ich die Bank gesprengt. Der FC Bayern blickt nicht ohne Grund mit Sorge auf die Entwicklung seiner Einnahmen und Ausgaben. Die Einnahmenrekorde der vergangenen Jahre waren im Wesentlichen durch Transfers bedingt, während die operativen Einnahmen – die eigentliche Stütze des Geschäfts – immer langsamer wachsen und stellenweise sogar rückläufig sind. Die Ausgaben hingegen zeigen eine kontinuierliche Wachstumsstendenz (Kane, teure Transferverlängerungen, der geplante Neubau des Leistungszentrums an der Säbener Straße, der ironischerweise wohl extra für Wirtz im Frühjahr sogar auf Eis gelegt wurde).
Aber Florian Wirtz ist der mit Abstand beste deutsche Fußballspieler, ein Ausnahmetalent, ein Generationentalent, ein magischer Spieler mit einer unwiderstehlichen Erhabenheit auf dem Platz. Dieser Spieler macht Mannschaften nicht nur besser, er macht ihren Fußball auch zu einem ästhetischen Ereignis. Für diesen Spieler hätte ich als FC Bayern noch ein letztes Mal alle Vernunft fahren lassen und die finanziell tatsächlich unverantwortlichen 150 Millionen Euro plus Gehalt und Nebenkosten auf den Tisch gelegt.
Als der Mann mit dem Taschenrechner und dem spitzen Bleistift sage ich jedoch auch: Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es für den FC Bayern ein Segen, dass dieser Deal nicht zustande gekommen ist. Rational wäre er nur schwer zu begründen gewesen. Er hätte die Bank wirklich gesprengt. Außerdem hätten die Bayern möglicherweise zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte einen Bankkredit für einen Spieler aufnehmen müssen* und eines oder mehrere der kommenden Geschäftsjahre mit einem Verlust abschließen müssen. Zwei absolute No-Gos für Uli Hoeneß und den FC Bayern (wofür ich sogar Verständnis habe).
Das wird nun voraussichtlich nicht passieren. Wenn es doch passiert, dann hätte es lieber für Florian Wirtz passieren sollen.
Ein weiterer Grund, der es mir leichter macht, die Absage zu verdauen, ist, dass Kompany nun nicht sein System umstellen muss, was er allen Experten wie @justin zufolge für Wirtz hätte tun müssen, um das Optimum aus dem Spieler herauszuholen. In den Medien heißt es jetzt, dass Wirtz das Gespräch mit Arne Slot mehr überzeugt haben soll als das Gespräch mit Vincent Kompany. Vielleicht hat Kompany Wirtz eine Vision vorgestellt, wie er Wirtz optimal in sein System einbauen will, während Slot ihm eine Vision vorgestellt hat, wie er sein System um Wirtz herum aufbauen will; Kompany stellt sein System zentral, Slot den Spieler. Das mag Wirtz überzeugt haben.
Aber die Effektivität von Kompanys Fußball – und damit auch dessen Erfolg – ist eng mit seinem System verbunden. Ich bin nicht Experte genug, um beurteilen zu können, wie stark Kompany von den Prinzipien und Ideen, die seinen Fußball heute so unwiderstehlich machen, hätte abweichen müssen, um Wirtz’ Fähigkeiten optimal zur Geltung zu bringen. Ich weiß auch nicht, ob das geänderte System mit Wirtz unter dem Strich stärker gewesen wäre als das heutige System ohne Wirtz. Schließlich weiß ich auch nicht, ob Kompany noch mit derselben Begeisterung und Effektivität Trainer des FC Bayern wäre, wenn er ein System spielen lassen müsste, das er nicht „fühlt“. Aber die Risiken, die hier gelauert haben, bleiben dem FC Bayern jetzt jedenfalls erspart.
Also:
- Silver lining 1: Die Bayern zünden nicht die nächste Stufe der allmählich der Schwerkraft entkommenden Ausgabenrakete.
- Silver lining 2: Kompany muss sein System nicht umstellen.
Von allen diskutierten Alternativen überzeugt mich Rodrygo am meisten. Er war mein Wunsch Nr. 1b hinter Wirtz, so sehr haben mir unsere MSR-Experten um Justin den Mund wässrig gemacht, und jetzt ist er mein Wunsch Nr. 1a. Die Bayern brauchen neue Akzente auf den Flügeln – und Rodrygo könnte ein solcher Akzent sein.
*Augenwischerei, denn Transferverbindlichkeiten sind auch Kredite, und davon haben die Bayern schon seit Jahren jede Menge. Aber es geht ums Symbol.