Jetzt fällt auch noch Upamecano für längere Zeit aus. Mist.
Ich finde Martin Rafelt bringt beim Rasenfunk ein sehr gutes Beispiel um zu erklären, warum viele Leute das Risiko des FC Bayern-Spiels überproportional wahrnehmen/erkennen. Es gibt nämlich das klare offensichtliche Risiko und das diffuse, nicht sofort greifbare Risiko. Bayerns Risiko ist klar und offensichtlich und es ist sofort klar, welche Schwachstellen es gibt, nämlich die geringe Absicherung wenn der Gegner kontern kann. Das diffuse Risiko konnte man teilweiße unter Tuchel beobachten. Man zieht sich zurück, der Gegner kann im Ballbesitz aufrücken und über verschiedene Varianten die Offensivspieler freispielen und somit gefährlich vor das Tor gelangen. Aber das passiert eben kontrolliert und langsam und der Mensch/Zuschauer reagiert auf ein langsam wachsendes Risiko weniger drastisch als auf eines was plötzlich auftaucht. Ein gutes Beispiel dafür ist übrigens auch der Klimawandel. Das Risiko des Klimawandels ist für uns Menschen nicht so greifbar, weil das Risiko langsam steigt und die Welt nicht auf einmal plötzlich in Flammen steht. Aber wenn es dann soweit ist, kann man nicht mehr gegensteuern und die Welt geht wirklich in Flammen auf. Genauso ist es beim Fußball auch. Wenn der Gegner die eigene Mannschaft durch spiel Kombinationsspiel und häufige Positionsrochaden auseinandergezogen hat, kannst du das Gegentor praktisch nicht mehr verhindern.
Da halte ich mal gerne dagegen:
gibt es viele Mannschaften in der Bundesliga und auch in der CL, die es schaffen, wenn man sie 10-20 Meter hinter der Mittellinie konsequent presst und ihnen im Strafraum und in Strafraumnähe kaum freien Raum lässt, die einen dann durch Kombinationsspiel und Positionsrochaden so ausspielen, dass man das Gegentor kaum mehr verhindern kann?
Falls ja, sollten wir deren Sturmreihen verpflichten, denn die könnten dann etwas, mit dem sich sogar unsere Spitzenoffensivkräfte immer wieder schwer tun, nämlich eine massierte Abwehr nach allen Regeln der Kunst zerlegen.
Natürlich steigen bei einer defensiven Spielweise gewisse Risiken an, z.B. das Risiko einen abgefälschten Ball zu kassieren, oder Szenen hervorzurufen, die den VAR zum Eingreifen bewegen. Allerdings verlangt wohl niemand, dass Bayern von Minute 1 an sein Heil in der Defensive suchen sollte. Es geht nur darum, dass es eine Überlegung wert wäre, wenn man bei einem Ergebnis, das einem einigermaßen sympathisch erscheint (z.B. bei einem 0:0 bei Aston Villa oder einem 3:2 in Frankfurt) mMn in der Schlussphase durchaus das Risiko eingehen könnte, dass der Gegner nicht plötzlich zu einer Peak-Barca-Kombinationsmaschine mutiert, sondern wahrscheinlich eher die Taktik hoch und weit nach vorne und vorne hilft der liebe Gott, anwenden dürfte, also etwas, was gute Verteidiger im Normalfall wegverteidigen können.
Nur die Zukunft wird zeigen können, ob das, was die Bayern momentan anbieten, dauerhaft Erfolg haben kann oder nicht. Bisher gefällt es mir spielerisch sehr gut. Sollte allerdings der zählbare Erfolg ausbleiben, dann wird Kompany nicht lange überstehen - das ist sicher, denke ich. Auch wenn ich es mir anders wünschen würde.
Martin Rafelt ging es darum, dass Menschen glauben, dass wenn man etwas weiter hinten steht und ein weiterer Spieler absichert sicherer stehen sollte als wenn quasi alle vorne draufgehen ( bis auf die Innenverteidiger). Die Frage ist nun ob das überhaupt stimmt. Rafelt folgert dann, dass der Gegner sich öfter aus dem Pressing befreien wird und vielleicht nicht 5x 2 gegen 2 auf das Tor zulaufen kann, aber dafür 20x 2 gegen 3. Ihm zufolge verringert man also die unmittelbare Gefahr in der Situation da drei Spieler absichern, aber das Risiko, dass die Gefahr eintritt, erhöht sich drastisch da vorne ein Pressingspieler fehlt. Bei Kompany sehen wir aktuell die erste Variante und bei Tuchel konnten wir letzte Saison die zweite Variante sehen. Jonas Friedrich bringt übrigens noch einen weitern Punkt an. Beide Systeme können zum Erfolg führen, aber aktuell sind wir noch so früh in der Saison, sodass man ausprobieren kann wie viel Risiko man gehen muss/kann/sollte. Optimalerweise hat man das bis März-April nächsten Jahres herausgefunden und kann dann in der Champions League entsprechend gegen die Gegner agieren.
Ich Versuche es so gut wie möglich rüberzubringen, aber ich kann eigentlich jedem Fan das Gespräch zwischen Max, Jonas und Martin nur wärmstens empfehlen.
Wir haben ein generelles Problem Tore zu verhindern. Egal ob vorne draufgehend oder tief verteidigend. Das zeigt sich ja unter verschiedenen Trainern. Letztendlich liegts wohl an der Mannschaft selbst.
Die aktuelle Diskussion geht ja eigentlich schon in die Metaebene. Es geht quasi um die grundsätzliche Risikotheorie. Möchte man lieber ein hohes Risiko, aber dafür relativ gesehen kleine Auswirkungen oder möchte man ein geringes Risiko, aber dafür starke, heftige Auswirkungen.
Das ist keine Metaebene, sondern aus meiner Sicht genau die Diskussionsebene. Die Bayern pressen hoch, finden oft auch spielerische, gute Lösungen - kassieren allerdings gegen Frankfurt zum Beispiel drei Tore oder gegen Villa den entscheidenden Treffer zum 0:1. Das ist das, was im Artikel „zwischen Dominanz und Fragilität“ betitelt wird, zurecht - denke ich.
Und jetzt kann man zahllose Argumente anführen, warum die Bayern nach dem 3:2 gegen Frankfurt vielleicht eher defensiver spielen sollten oder auch nicht (für beide Seiten gibt es durchaus gute Argumente, denke ich). Am Ende bleibt das Ergebnis hängen, und darum geht es im Leistungssport.
Ich selbst mag den Bayern unter Kompany mehr als gerne eine Chance geben, sich weiterzuentwickeln. Am Ende zählt (leider) oft nur das Resultat (vor allem bei Bayern). Wir werden sehen.
Ist ja mir jetzt auch alles drei Nummern zu theoretisch und grundsätzlich. Jetzt ging mal ein Spiel 3-3 aus, da braucht man vielleicht noch nicht die ganz-ganz grosse Spielphilsophie-Debatte daraus zu machen.
Mit Metaebene meine ich, dass es nicht mehr konkret um Spieler geht, sondern an die grundsätzliche Herangehensweise an das Fußballspiel. Will ich das Spiel gewinnen oder nur nicht verlieren?
Als FCB gehst du doch in jedes Spiel um zu gewinnen. Das ist der Anspruch des Vereins, und auch aufgrund seiner Historie und oft individuellen Überlegenheit im Kader das, was man als „normal“ empfindet.
Letzte Saison war es ja schon etwas anders. Da ging es am Ende hauptsächlich darum nicht zu verlieren.
Momentan würde es aber reichen, wenn man zumindest bei Führung in den letzten Minuten etwas vorsichtiger agiert und lieber Mal den Ball weghaut!
Für mich sind momentan eigentlich die Probleme, die wir vorne gegen Gegner haben, die gut verteidigen wichtiger!
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Tuchel den Jungs vor dem CL-Rückspiel gegen Real (und auch gegen die Bundesligagegner) gesagt hat: „Hauptsache nicht verlieren!“. Das wäre doch komplett absurd.
Gefühlt finde ich unsere Standardsituationen unter VK gefährlicher als in der Vergangenheit. Ich habe aber keine Statistik angeschaut, vielleicht liege ich auch komplett falsch. Schade auch, dass die Freistoßvariante von Kimmich aufs kurze Eck nicht geklappt hat. Vor zwei Jahren hat eine ähnliche Variante vor anderen Seite zum Tor geführt und das genau im gleichen Stadion, nur etwas mehr Nebel.
Er hat sicher nicht gesagt, dass man nicht verlieren sollte, aber ich glaube schon, dass er ihnen gesagt hat, dass man auf keinen Fall ein Gegentor kassieren sollte. Kompany ist es eher wichtig, dass man Tore schießt, ein Gegentor ist erstmal nicht so schlimm.
Einerseits bin ich über das unvermindert hohe Pressing in den letzten Minuten des Spiels auch verwundert, und hätte mir da einen etwas defensiveren Ansatz gewünscht, andererseits, wenn man tiefer steht und trotzdem den Ausgleich kassiert, heißt es: Warum hat man Frankfurt kommen lassen, und sie nicht weiter eingeschnürt?!
Bin sehr gespannt auf die nächsten Spiele und, angesichts des frühen Zeitpunkts in dieser Saison, noch halbwegs ruhig.
danke für diese Einlassung - hat mir eine neue Sichtweise und Bewertung ermöglicht mit der ich total mitgehen kann!
Toller Kommentar, spannender Blickwinkel! Ohne dass es zu 100% meine Meinung wiederspiegelt, dennoch sehr valide Punkte und schön beschrieben.
Die aktuelle Diskussion um den Kompany-Fußball beim FCB finde ich höchst spannend, weil sie unsere bisherigen „konservativen“ Vorstellungen darüber, wie denn ein „richtiger FCB-Fußball“ aussehen sollte, in Frage stellt bzw. relativiert.
Die einen sagen, Kompanys Spielsystem ist doch schon fast perfekt, und wenn ein paar kleine Korrekturen vorgenommen würden (bessere Chancenverwertung vorne und etwas bessere defensive Absicherung hinten), dann werden wir die Gegner etwa so stark beherrschen, wie es unter Guardiola der Fall war.
Die anderen wenden ein, dass Kompanys Hurra-Stil nur gegen schwächere Gegner funktioniere, aber gegen stärkere Clubs mit einer besseren Abwehr und pfeilschnellen Konterstürmern an seine Grenzen stoße - weswegen unser Team insgesamt deutlich weiter hinten stehen müsse als bisher.
Ich glaube aber, ehrlich gesagt, NICHT, dass sich Kompany auf dieses „deutlich weiter hinten Stehen“ einlassen wird, denn es würde seine Forderung, vorne immer hochaggressiv auf die gegnerischen Abwehrspieler draufzugehen, aushebeln.
Ja, er wird vielleicht kleine Korrekturen vornehmen (wie z.B., dass die Außenverteidiger einen Tacken weiter hinten stehen und sich bei gegnerischen Steilpässen bereit halten, um sofort nach hinten zu sprinten und unsere beiden Innenverteidiger zu entlasten), aber ich glaube nicht, dass er groß davon abrücken wird, dass unser Team insgesamt ziemlich hoch steht.
Was daran so irritierend (aber vielleicht gerade deswegen besonders innovativ) ist, ist, dass Kompanys Ansatz jahrzehntelang liebgewonnene heilige „Fußball-Grundsätze“ in Frage stellt.
Wie z.B. das „hinten muss die Null stehen“ oder der Satz „die Offensive gewinnt Spiele, aber Turniere werden nur über eine gute Abwehr entschieden“.
Ich habe die Vermutung, dass Kompany genau diese „heiligen Kühle“ schlachten und ein „neues Denken“ propagieren will.
Natürlich werden wir wegen der Qualität unseres Kaders gegen schwächere Teams auch immer mal wieder „zu Null“ spielen. Aber schon gegen etwas stärkere Gegner ist Kompany m.E. bereit, die beiden o.g. Lehrsätze über Bord zu werfen.
Natürlich wird er sich WÜNSCHEN, dass wir auch gegen stärkere Gegner kein Gegentor kassieren; aber er wird sein System nicht in Richtung defensive „safety first“ verändern wollen. Ich glaube, sein Ansatz läuft darauf hinaus, dass Kompany gegen stärkere Gegner durchaus bereit ist, das eine oder andere Konter-Gegentor „billigend in Kauf zu nehmen“, wenn sein hochstehender Offensivspiel nur dafür sorgt, dass wir vorne mindestens ein Tor mehr schießen als wir hinten einfangen.
Wenn meine Hypothese stimmt, werden gerade wir älteren FCB-Fans vermutlich bald Abstand nehmen müssen von der liebgewonnenen „konservativen“ Sichtweise „die Null muss stehen“ (die bei defensiven Trainer-Spezialisten wie z.B. Mourinho, Simeone bzw. Rangnick dazu führt, dass sie zwar hinten fast keine Tore fangen, dafür aber auch vorne kaum welche schießen).
Während die drei letztgenannten Trainer gegen stärkere Gegner ein Traumresultat von 1:0 oder 2:1 anstreben, wird Kompanys Ziel tendenziell eher im Bereich „4:2“ oder „5:3“ liegen.
Wenn dies stimmt, werden wir in dieser Saison ungewöhnlich viele Gegentore „billigend in Kauf nehmen“ - besonders Manuel Neuer wird „not amused“ sein darüber -, gleichzeitig aber vorne (sofern unsere Chancenverwertung sich noch etwas bessert) vielleicht mehr Tore schießen als jemals zuvor.
Das wäre ein echter und ausgesprochen innovativer „Paradigmenwechsel“, und noch dazu für die Zuschauer wesentlich unterhaltsamer als „ein knappes Ergebnis über die Zeit zu bringen“.
Trotzdem werden „alte“ Fans, die jahrzehntelang an ein „die Null muss stehen“ gewöhnt waren, gewisse „psychologische“ Umstellungsschwierigkeiten haben, sich an das neue Paradigma zu gewöhnen - auch mir selbst geht es so.
Meine Vermutung lautet also: Kompany wird seinen hochstehenden Stil nicht groß ändern, und schwächere Gegner werden wir damit auch weiterhin „aus dem Stadion schießen“.
Gegen stärkere Gegner hingegen - so meine Hypothese - wird Kompanys Ziel- bzw. Wunschergebnis nicht wie bei Mourinho/Simeone/Rangnick ein 1:0 oder 2:1 sein, sondern eher ein 3:2 oder 4:3: wir nehmen ruhig das eine oder andere Kontertor in Kauf, solange wir nur vorne Torchance um Torchance herausspielen.
Könnte da was dran sein?
Oder bin ich mit meiner Vermutung völlig auf dem Holzweg?