Danke, @willythegreat, für Deinen schönen Kommentar, den ich gerne als Rampe für einen eigenen Kommentar nutzen möchte.
Grundsätzlich kann ich Deinen Gedankengang nachvollziehen, aber Dein Gedanke suggeriert doch, dass…
a) …das Spiel der Bayern grundsätzlich riskant wäre, und das stelle ich ebenso grundsätzlich infrage. Ich halte das Gegenteil für richtig. Die Bayern lassen momentan durchschnittlich fünf Schüsse pro Spiel zu und im Gegensatz zu anscheinend fast allen von Euch verstehe ich Kompanys Spiel damit als risikoarm, ja sogar gezielt risikominimierend. Kompanys Spiel ist darauf angelegt, dem Gegner so wenige Chancen wie möglich einzuräumen, gemäß der simplen Logik: Wer keine Chance hat, der kann auch kein Tor erzielen. Ihr sagt: Kompanys Spiel ist (absichtlich) riskant oder nimmt große Risiken bewusst in Kauf. Ich sage: Kompanys Spiel minimiert das Risiko gezielt, indem er den Gegner weit vom eigenen Tor fernhält und 95 % der gegnerischen Aktionen, die, wenn sie zu Ende gespielt werden, am Ende in der Nähe des eigenen Tores potentiell gefährlich werden könnten, bereits hoch in der Hälfte des Gegners im Ansatz erstickt.
b) … mit einem stärker nach klassischer Lesart defensiven Spielstil (tiefere Positionierung der Spieler, abwartendere Grundhaltung etc.) auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von weniger Gegentoren pro Zeiteinheit einherginge. Bist Du Dir da so sicher? Ich nicht, siehe a).
Dann möchte ich noch ein zweites Missverständnis ansprechen, dass mindestens genauso groß ist wie das, dass Kompany mit seiner Spielweise ein hohes Risiko einginge (was ich für ein fundamentales Missverständnis halte, siehe oben). Ihr sagt überwiegend, dass die Bayern momentan zu viele Tore nach Kontern hinnehmen müssten, bei denen bereits ein einzelner Fehler eines Bayern-Spielers ausreicht, damit ein Gegentor fällt. Ich sage, dieses Kriterium ist irrelevant.
Warum? Ganz einfach: Die letzte Aktion vor einem Gegentor ist fast immer ein Fehler eines Spielers der eigenen Mannschaft, denn sonst würde das Tor nicht fallen. Dieser Umstand ist unabhängig vom Spielsystem. Also nicht nur in einem Kompany-System, in dem die Innenverteidiger an der Mittelfeldlinie campieren, sondern auch in einem System, in dem sich elf Spieler über 90 Minuten im eigenen Strafraum einmauern, ist die letzte Aktion vor einem Tor des Gegners fast immer ein Fehler eines Spielers der eigenen Mannschaft. Ein Fehler kurz vor einem Gegentor ist also keine Besonderheit von Kompanys Spielsystem, sondern eine allgemeine Begleiterscheinung von fast allen Toren in einem Spiel.
Aber damit fällt die Häufigkeit von Fehlern eines eigenen Spielers vor einem Gegentor als Kriterium für die Leichtsinnigkeit, Fehleranfälligkeit oder Risikoaffinität eines Spielsystems weg. Was immer der Fall ist, hat keine Unterscheidungskraft, um eine Gruppe von Fällen von einer anderen zu differenzieren.
Wenn also die Aussage, „unser Spielsystem ist zu riskant/fehleranfällig“ mangels Aussagekraft als Bewertungskriterium wegfällt, woran soll man die defensive Qualität eines Spielsystem dann messen?
Die Antwort ist einfach: An der Anzahl der erlaubten Chancen für den Gegner, und wer es noch etwas genauer mag, gewichtet diese noch nach Qualität.
Und Kompanys Spielsystem erlaubt dem Gegner extrem wenige Chancen. Wie ich in einem anderen Kommentar schon dargelegt habe, sind es gegenwärtig durchschnittlich ca. fünf pro Spiel, weniger als bei jedem anderen Trainer inklusive Guardiola seit Beginn der mir verfügbaren Datenaufzeichnung vor knapp zehn Jahren. Dass zudem in Kompanys Spielsystem überhaupt nur aus solchen Szenen Chancen für den Gegner entstehen, in denen aus Sicht des Gegners alles richtig und aus Bayern-Sicht sehr viel schiefläuft, und dass die dabei entstehenden Chancen tendentiell Großchancen sind, ist kein Ausweis des Risikos von Kompanys System, sondern seiner Sicherheit! All die vielen kleinen und Halbchancen, die in stärker klassisch defensiv orientierten Spielsystemen für den Gegner entstehen, entstehen in Kompanys System gar nicht erst, weil sie sein System fast immer bereits im Ansatz unterbindet. Da, wo ein anderes System Halbchancen zulässt, hat Kompanys System den Ball schon längst wieder erpresst.
Wäre das System der Bayern etwa besser, wenn die Eintracht neben den fünf Chancen, aus denen sie ihre drei Tore erzielt hat, noch zehn oder elf weitere Chancen gehabt hätte, wie das in „defensiveren“ Spielsystemen als Kompanys oft der Fall ist? Es ist doch viel besser, wenn ein Gegner aus fünf Chancen mit viel Glück und Geschick drei Tore erzielt, als wenn er aus 15 Chancen (und dann ohne besonders viel Glück und Geschick, sondern statistisch viel wahrscheinlicher) drei Tore erzielt, oder etwa nicht?
Ergänzend dazu noch ein anderer Gedanke: Die Gegentore in Kompanys System entstehen in der Regel unter der sehr gütigen Mithilfe eines großen individuellen Fehlers eines Bayernspielers, sodass gilt: Passiert dieser Fehler nicht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Tor fällt, gleich wahnsinnig viel geringer. Es ist doch sehr viel wahrscheinlicher, dass es einer Mannschaft, bei der jeder halbwegs fußballsachverständige Beobachter nach jedem Gegentor ganz klar benennen kann, wo auf dem Weg zum der eine große Fehler lag, der das Tor gleich so viel wahrscheinlicher gemacht hat, gelingt, diesen Fehler abzustellen, als dass dies einer Mannschaft gelingt, bei der man nach einem Gegentor eigentlich gar nicht genau sagen kann, wo in der Kette der Ereignisse, die zu dem Tor geführt haben, der eine große Fehler lag, der die Wahrscheinlichkeit des Tores enorm nach oben katapultiert hat, weil jeder einzelne Fehler auf dem Weg zum Tor immer nur ein kleines bisschen an Wahrscheinlichkeit hinzugefügt hat.
Ich fasse also noch mal zusammen:
- Kompanys Spielsystem ist nicht riskant oder risikofreundlich, sondern gezielt risikominimierend, indem es den Gegner und seine Aktionen in den frühesten Momenten der Entfaltung unterbindet.
- Dass die Chancen der Gegner in Kompanys System im Wesentlichen Großchancen, aber dafür wenige sind, ist eine Stärke des Systems und keine Schwäche.
EDIT: Signifikante inhaltliche und orthographische Überarbeitungen zur Erhöhung der Klarheit.