Bitte verzeiht, wenn ich in eure Bemühungen thematisch reingrätsche. Auch ich mache mir fast andauernd Gedanken, was man wie wo tun könnte, um diese unappetitlichen braunen Gestalten und Gedanken zu bekämpfen.
Bisweilen erlaube ich mir deswegen eskapistische Ablenkung. Und manchmal trifft es sich, dass dieselbige gleichzeitig eine mögliche Inspiration dazu liefert.
Am Samstag hab ich mir nämlich eine Form der (weitgehend) musikalischen Unterhaltung gegeben, die ich noch vor Jahren unbedingt gemieden hätte:
Ich meine natürlich den Eurovision Song Contest in Basel.
Warum früher gemieden? Nun, vorsichtig formuliert, mein eher elitärer Anspruch an Musik hat sich nicht ganz so gut vertragen mit dem Dargebotenen.
Was hat sich verändert?
Seite ungefähr drei, vier Jahren nehme ich diesen Contest vor allem als Gegenentwurf zur politischen Entwicklung in vielen Ländern wahr. Es ist der größte Event, den man sich denken kann, der ganz Europa (und Australien, und Israel) zusammenführt, es ist eine selten geschmackssichere Show der Superlative, es ist gleichzeitig purer Trash wie ausgefuchsteste Technik (die Bühnenbilder!), es ist eminent politisch, ohne das so auszugeben, vor allem aber ist es eine riesige Party voller Diversität. Sogar die Musik, die man aus 26 Ländern zu hören bekommt, ist im Vergleich zu, sagen wir, five, six years ago, wieder vielfältiger geworden. Man hört auch wieder mehr Landessprachen in den Liedern.
Auffällig ist aber unabhängig der Qualität der Performances:
Es ist ein Wettbewerb, aber eigentlich kaum kompetitiv. Unter dem Band der Musik wird vielmehr eine Feier des Zusammenhalts zelebriert, und wem das zu pathetisch klingt, möge sich die Szenen nach dem Sieg des austrianischen Counter-Tenors zu Gemüte führen. Da kamen sämtliche anderen Teilnehmer auf ihn zugestürmt, um sich mit ihm zu freuen. Auch der Umgang mit der israelischen Sängerin war, soweit ich das sehen/hören konnte, abseits der quasi außerhalb stattfindenden Proteste gegen die Teilnahme eines kriegführenden Staates (wofür Israel manchen gilt), absolut inklusiv. (Was das Publikum davon hielt, war über das Voting zu vermuten, als die weltweiten Anrufer den israelischen Beitrag fast auf Platz 1 gehievt hätten).
Also, worauf ich hinaus will:
Eine Super-Antwort auf all die braunen und radikalen Irren in der Politik und der Gesellschaft ist:
EUROPA.
Nein, eigentlich sogar: DIE Antwort.
Und dieses Europa ist queer. Nichts ist empfehlenswerter, als diese Show in der queeren Szene anzuschauen. Mehr Gaudi geht nicht. Dabei ist politische Korrektheit oder allzu ernste, zynische Sichtweise nicht mehr vorgesehen. Wo die einen nämlich die Geschlechtergrenzen verschwimmen lassen (offenbar singen alle Ösis nur mit Kopfstimme, ob Mann oder Frau oder Conchita), schicken die Armenier einen ölverschmierten Survivor-Muskelmann mit freiem Oberkörper (Kommentar Thomas Hermanns im Studio: Singen muss er nicht, aber er kann gern mal bei mir zum Ölwechseln kommen). Die Finnin reitet auf einem feuersprühenden Mikrofon-Ständer und singt dabei ICH KOMME im Befehlston (keine Übersetzung von mir, der Refrain war, don’t know why, auf Deutsch) und so weiter und so weiter…
Es ist ein Heidenspaß!!!
Und ist das nicht das, was uns alle, die wir die Radikalen zurückdrängen wollen, letztlich verbindet?
Habt ihr schon mal ehrliche, unverkünstelte Freude im Gesicht von, sagen wir, Alice Weidel gesehen? Sowas wie gute Laune?
Eine verbindende Kraft durch die Musik…? Überhaupt Musik? Die vor allem verbindet (längst sind die Zeiten vorbei, als man wusste, der türkische Beitrag klingt so, der bulgarische so, der deutsche so… heute klingt alles nach allem, die Welt wird klein und gleichzeitig riesengroß, und Grenzen sind dazu da, sie zu ignorieren oder niederzureißen) und nicht spaltet oder andere verachtet oder ausgrenzen will.
Und dann, ganz unverhofft, entdeckt sogar der Musik-Nerd und elitäre Hüter des Geschmacks @cheffe eine echte Perle inmitten des trashigen Wahnsinns, ein wunderbares Stück Musik - beim Grand Prix! Unfassbar!
… Aber dazu mehr im Musik-Thread, coming soon. 