Der Politik- und Gesellschafts-Thread (Teil 3)

Nö weiß ich nicht. Und du wirst es mir Nachsehen: Ich werde auch nicht jede Wortherkunft meines Sprachgebrauchs bis ins kleinste Detail analysieren.

Jetzt sehe ich ein bissl klarer.
Einigen wir uns, dass wir uns uneinig sind und hier wohl nie komplett auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden :wink:

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Das ist auch nicht unbedingt Ziel eines inhaltlichen Diskurses. Schön ist‘s, wenn beide etwas voneinander und übereinander lernen. Das ist uns zumindest gelungen, finde ich.

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Diesen Eindruck habe ich bei vielen hier.
Echt interessant mitzulesen. Bzw nicht, denn mit der Zeit weiß man ja genau was bei wem als nächstes kommt :smiley:

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Hüben wie drüben!!! :face_with_hand_over_mouth:

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Das ist für mich anders. Ich bin schon immer gespannt, wie sich der Diskurs entwickelt. Es gibt immer ne Menge Details und Aspekte in der Argumentation der anderen, die meine Sichtweise erweitern können.
Wenn wir auf diese Neugier verzichten, brauchen wir keinen Austausch mehr…

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PS:
Mein Lieblingszitat zu dem Thema „verschiedener Meinung sein“ ist nach wie vor:
Jedes Ding hat drei Seiten.
Eine Seite, die ich nicht sehe.
Eine Seite, die Du nicht siehst.
Und eine Seite, die wir beide nicht sehen.

Erst wenn wir aufhören, miteinander zu debattieren, diskutieren und inhaltlich zu streiten, setzen wir die Demokratie aufs Spiel und hören auf, zu lernen und uns zu entwickeln.

Mein Onkel (der schon lange tot ist) ermahnte uns Kinder regelmäßig, unsere Demokratie nicht für selbstverständlich nehmen. „Viele Menschen haben (vor inzwischen 80 Jahren) ihr Leben für diese Demokratie gelassen. Sorgt dafür, dass dieses Opfer nicht vergebens war.“

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Entwickelt sich der nicht immer zum selben Ende? Ich lass mich mal überraschen.

Das erwarte ich auch nicht. Das Wissen um diesen Kontext würde ich persönlich auch nicht voraussetzen. Und ich gebe zu, dass auch ich früher gewohnheitsmäßig Ausdrücke übernommen habe, die bei näherem Hinsehen entweder kontaminiert (wie der aktuell diskutierte) oder einfach unschön waren. In solchen Fällen war ich froh, wenn mir ein Licht aufging oder auch mal aufgesetzt wurde, und habe meine Ausdrucksweise entsprechend verfeinert. Natürlich fürchtet derjenige, der solch einen Hinweis gibt, den Vorwurf, sich als Sprachpolizei zu betätigen. Obwohl es - das kann ich jedenfalls für mich reklamieren (wahrscheinlich geht es anderen ahnlich) - darum gar nicht geht. Es gibt aber eben leider Ausdrücke, die über Gruselpotential verfügen. Im Beruf habe ich einen solchen Ausdruck nie moniert, obwohl es mich jedesmal schüttelte, wenn er wieder mal Verwendung fand. Bei der „Selektion“ (beruflich ging es um die Auswahl von Kundengruppen, die man nach bestimmten Kriterien auf spezifische Themen ansprechen wollte; also um einen vollkommen harmlosen Vorgang) stellte sich bei mir quasi automatisch die Assoziation zum bekannten System an der Rampe in Auschwitz ein, wonach die einen Neuankömmlinge als noch arbeitsfähig zur einen Seite abzutreten hatten, während die anderen sofort ins Gas geschickt wurden. Trotz meines Ekels vor diesem Ausdruck habe ich ihn nie moniert, weil ich - vielleicht zu Unrecht - mit Verständnislosigkeit, womöglich auch Aversion rechnete. Das mag man feige nennen oder klug. Im Gesamtergebnis meiner Überlegungen deklarierte ich es für mich als Nebenschauplatz (und nicht, wie man früher gerne sagte, als Nebenkriegsschauplatz).

Der große Vorteil hier ist ja, dass man sich über solche Dinge frei austauschen kann, ohne dass daraus z.B. Nachteile im Berufsleben oder ähnliche unangenehme Konsequenzen erwüchsen.

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Solange man noch Argumente austauscht, ist eine Diskussion (auch wenn man in der Sache anderer Meinung ist) immer sehr sinnvoll, denke ich. Dass man sich schwer damit tut, eigene politische Überzeugungen „mal eben so“ über Bord zu werfen, halte ich für menschlich nachvollziehbar, das gilt für jegliche Position, daher vertritt man dann „seine/ihre“ Position. Wichtig ist für mich, dass man offen und ehrlich rationale Argumente austauschen kann, ohne persönlich zu werden. Zustimmen muss man auch dann natürlich nicht, auch das ist Teil der Demokratie.

Wo es bei mir persönlich ganz klar endet, sind verfasssungsfeindliche Bestrebungen: dazu gehört die AfD aus meiner Sicht unbedingt. Konservative Positionen, die sich im Rahmen unseres Grundgesetzes bewegen, sind nicht mein persönliches Ding - aber ich akzeptiere sie absolut als Meinung. Eine lebendige Demokratie ist der Wettstreit der Meinungen.

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Das war nicht meine Intention! Ich hoffe auch das kam nicht so rüber.
Obwohl ich sehr skeptisch diesem „das ist aus der NS-Zeit“ gegenüberstehe.

Der von mir im Kontext mit Böhmermann genutzte Ausdruck ist jetzt nichts alltägliches und wenn er wirklich so einen schlechten Ursprung hat kann man durchaus auf ihn verzichten!
/EDIT Also danke für den Hinweis!!!

Bei Dingen die die Nazionalsozialisten „lediglich“ missbraucht haben fehlt mir das Verständnis diese nicht mehr zu verwenden.

„Jedem das seine“ ist so ein Beispiel was seinen Ursprung schon in der Antike hatte und auch von Cicero rege verwendet wurde. Nur weil so ein paar A-Löcher meinten Eingangstore damit zu verzieren finde ich es „unfair“ das man bei Nutzung des Ausspruches direkt „die Nazis haben das verwendet. Was bist du nur für ein Mensch?“ um die Ohren geklatscht bekommt.

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Deiner Unterscheidung stimme ich zu.

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Und bei mir stellen sich halt sofort die Nackenhaare auf. Ich würd unterscheiden zwischen „von den Nazis (gelegentlich) benutzt“ und „von den Nazis missbraucht“.
Aber ich verstehe deinen Ansatz, der durchaus verbreitet ist. Platt gesprochen steht dahinter vielleicht ein „Irgendwann musset doch mal jut sein - ist fast ein Jahrhundert her“ oder so ähnlich.

Das Buchenwald-Beispiel illustriert hervorragend meinen Ansatz.
Suum cuique gabs vor den Konzentrationslagern schon als geflügeltes Wort. Dieses exponiert zum Motto des KZ zu machen, war ein absichtlicher Mißbrauch des bis dahin unverdächtigen Sprichwortes mit dem Ziel der Verhöhnung der Gefangenen. Ich empfinde das als Vergiftung der Sprache.
Und wünsche mir halt, dass wir wissen und weiterhin behalten, welche Bedeutung das Zitat in Buchenwald hatte.

Falls es Dich interessiert: Der Wikipedia-Artikel zu dem Thema leistet beides: er weist auf die vielfältige Verwendung des Zitates vor und nach dem 1000jährigen Reich hin. Und bringt Beispiele für vorsätzlichen Missbrauch in der heutigen Zeit. Wie auch für seine unproblematische Weiterverwendung nach Buchenwald.

Das wesentlich berüchtigtere Motto vieler Konzentrationslager „Arbeit macht frei“ geht wahrscheinlich auf Theologen und Philosophen des 19. Jahrhunderts zurück - unter anderem Sören Kierkegaard. Völlig aus dem theologischen Kontext gerissen, benutzen es die Nazis, um ihre Gefangenen zu verspotten und zu erniedrigen: Kein Gefangener konnte sich je durch Arbeit aus einem KZ befreien. Auch dies empfinde ich als eine bleibende Vergewaltigung meiner Muttersprache - mit nachhaltigem Schaden.

Jau. Verstehe ich voll und ganz.
Ich glaube, der Ton macht die Musik.
Beim „Schmierlappen“ hab ich dich sachlich auf die Herkunft hinweisen wollen. Ich hätte es noch höflicher machen können und sollen.
Aber - Du hast den Hinweis angenommen.

Wie klingt in deinem Beispiel „Die Nazi-A…löcher haben mit diesem Sprichwort in Buchwald ihre Gefangenen verhöhnt. Wir sollten es heute nicht völlig unbedacht verwenden.“
Das wäre in meinen Ohren kein Um-die-Ohren-klatschen. Aber wenn ich im Bundestag eine Rede halten und „Jedem das Seine“ zitieren würde, dann würde ich es durch Kontext und inhaltliche Klarstellung unmissverständlich vom Nazi-Missbrauch abgrenzen.

Darf man nach Hitler-Deutschland Wagner hören? Ja. Natürlich. Aber man sollte sich dafür interessieren, wie und wieso Wagner sich besonders für den ideologischen Missbrauch durch die Nazi-Propaganda eignete.

Der Frankfurter Philosoph T.W.Adorno schrieb in den 1949 in seinem Aufsatz „Kulturkritik und Gesellschaft“:
„Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“
Dieser Satz löste Jahrzehnte lang eine vehemente Debatte über den Umgang mit unserem Erbe als Deutsche aus.
Vor allem aber wurde er nur 4 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und Buchenwald geschrieben. Der Satz ist Ausdruck der allerersten Verarbeitung des Schreckens in der Barbarei. Adorno hat 20 Jahre später eine differenzierte Sichtweise mit dem Abstand von 25 Jahren geschrieben und die vermeintliche Totalität des Zitates relativiert. (Als Philosoph der Dialektik fiel ihm das rhetorisch nicht so schwer…)
Verarbeitung und Trauer sind Prozesse - gesellschaftlich wie individuell.
Aber ein Vergessen oder Verdrängen ist in keinem Fall heilsam.

Das gilt für individuelle wie gesellschaftliche Traumata. Dein gelegentlicher Überdruss (darf ich das so formulieren) bei zuviel Trauma-Erinnerung („es nervt, ständig und überall auf Nazi-Vergleiche zu stoßen“) ist allzu menschlich, verständlich und sogar gesund (das wird dir jeder Psychologe bestätigen). Kein Mensch kann mit der pausenlosen Vergegenwärtigung des Grauens leben.
Aber ebenso ungesund ist die komplette Verdrängung oder Leugnung des Geschehenen. Auch das wird dir jeder Psychologe bestätigen.

Die Lösung liegt in der letzten Stufe der Trauerbewältigung: Akzeptanz im Wissen um das Geschehene. Aber zu beidem gehört ein Lernprozess: Wissen erfordert fortdauerndes Dazulernen. Und Akzeptieren kann ich nur, wovon ich weiß.

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@Gratschifter:
In diesem tollen Film reist ein neuseeländisches musikalisches Multitalent durch die deutschen Lande und geht der Frage nach, was es mit dem teilweise sehr gestörten Verhältnis der Deutschen zur Volksmusik auf sich hat. Gegen Ende des Films tritt ein russischer Holocaust-Überlebender auf und erzählt, wie die Häftlinge frierend auf dem Appellplatz stehen mussten, wenn einer zu fliehen versucht hatte, und, sobald man ihn wieder gefangen hatte, „Alle Vögel sind schon da“ zu singen hatten. Ein extremer Missbrauch, der es aber aus meiner Sicht nicht verbietet, heute dieses schöne Lied zu singen. Wenn ich mit meinem Sohn Frühlingslieder singe, gehört es jedenfalls mit zum Repertoire.

Im Übrigen stimme ich Deinen differenzierten Überlegungen vollständig zu.

EDIT: Eines Tages sagte ein junger türkischer Student, der bei uns jobbte, beim gemeinsamen Betreten der Filialdirektion zu mir: „Eigentlich müsste über der Tür stehen: Arbeit macht frei.“ Ich erwiderte: „Dieser Satz ist kontaminiert, das dürfen Sie nicht sagen.“ Ich glaube, der fand das witzig und wollte ein bisschen sticheln. Aber auch das will gekonnt sein.

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Es braucht immer die Erklärung, warum das nicht witzig ist. Das sollten wir in der dritten Generation nach Auschwitz nicht mehr voraussetzen.

Ich danke dir für den Filmtip und bin gespannt. Hoffentlich finde ich ihn irgendwo im Netz.

Mein Verhältnis zu Deutschland, zu meiner Heimat, auch zu meines Vaters Land verändert sich auch im Laufe meines Lebens. Der 13jährige, der gerade den Vierteiler „Auschwitz“ gesehen hatte, stand anders dazu als der 18jährige, der Lanzmann‘s „Shoa“ sah. Dramatisch veränderte sich die Beziehung zu meinem Heimatland durch mein Jahr in der Sowjetunion 1990. Und wieder anders wurde es für den 24jährigen, der Rostock-Lichtenhagen und Solingen sowie die Abschaffung von §16 GG erlebte.
Erneut veränderte sich dieses Verhältnis mit der WM 2006 und dem „Sommermärchen“.
Und wieder verändert es sich gravierend seit Pegida und dem Auftauchen der AfD.

Das Verhältnis zur Volksmusik gehört zu dieser wandelbaren, ambivalenten und weiß Gott nicht eindeutigen Beziehung zu meinem Land. Gut kann ich das an der Feierstunde des Bundestages zum 80sten Jahrestag der Befreiung vom Faschismus beschreiben. Ich hab ja am Donnerstag schon beschrieben, wie unangenehm mir das „Ja, aber“ war zur Frage, ob die Rote Armee auch zu den Befreiern gehörte - da waren sich Frau Klöckner und Herrn Steinmeier zwischen den Zeilen einig. Ebenso unwohl fühle ich mich mit der Inanspruchnahme des 8. Mai als Legitimierung für die kommende Aufrüstung Deutschlands. Aber: Zum Ende wurde die 3. Strophe unserer Nationalhymne gesungen. Und zwei von mir geschätzte Politiker:innen haben bewusst geschwiegen. Ohne deren Begründung im einzelnen zu kennen (obwohl ich jede Menge Argumente für ein Schweigen kenne), ist es mir unangenehm, dass wir keine Hymne haben, die wir ohne Bauchschmerz oder zumindest leisen Zweifel gemeinsam singen. Im Sommermärchen ging das schon mal ganz gut. Aber ich schaue wehmütig und traurig anderen Ländern zu, wenn sie ihre Hand aufs Herz legen, wenn die Hymne gesungen wird.
Bert Brechts Kinderhymne in der Vertonung von Hanns Eisler hätte ein Ausweg in eine unbeschwerte Nationalhymne sein können:

Kinderhymne

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das liebste mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

Brechts Text funktioniert zur Musik des Haydn‘schen Streichquartettes ebenso wie zur Musik Eislers. Wir hatten zweimal die Wahl:
Bundesweite Initiativen zur Einsetzung des Brecht-Textes als nationale Hymne scheiterten in den 50ern an der CDU Adenauers und in den 90ern an der CDU Kohls.
So blieben wir bei Fallerslebens Text, dessen dritte Strophe ich wunderschön finde. Aber es gibt wenig Deutsche, die die erste Strophe nicht unterbewusst mit hören, wenn die Melodie sich im B-Teil zur Oktave aufschwingt. Wir haben uns für ein Leben mit dieser textlich belasteten Hymne entschieden. Sie spiegelt hervorragend das gebrochene Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land.

Bin wirklich neugierig durch deinen Filmtip @jep :pray:

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Da von Fallersleben in meiner Heimat tätig war und auch begraben liegt, habe ich da einen gewissen Bezug.
Für mich kann ich sagen, dass ich die erste Strophe nicht im Hinterkopf habe, wenn die Hymne gespielt wird. Wie Du finde ich den Text der dritten Strophe wunderbar.

Dass der Text der ersten Strophe im Kontext der damaligen Zeit eine andere Intention hatte - gegen die Kleinstaatlichkeit - erwähne ich hier nur am Rande. Heute ist diese zu Recht nicht Teil unserer Hymne.

Ganz allgemein würde ich mir etwas mehr von einem gesunden Patriotismus wünschen. Dass sich Abgeordnete unseres Parlaments dem Singen der Hymne verweigern, erscheint mir nicht richtig.

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Ist halt die Frage, ob von den jungen Leuten heute überhaupt noch jemand die erste Strophe kennen würde – wenn sie nicht immer wieder im Zuge der Aufarbeitung thematisiert werden würde. Ohne den historischen Kontext würde die wahrscheinlich längst keiner mehr auf dem Schirm haben.

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Ich hab ihn damals in einem Kieler Kino gesehen, mindestens einer der Filmemacher ist von hier. Auf jeden Fall kann man ihn (den Film) käuflich erwerben. Ganz großes Kino! :wink:

Der war gebildet und wusste Bescheid. Es war nett von mir, seine Provokation nicht mit einer Belehrung zu beantworten, deren es höchstwahrscheinlich nicht bedurfte.

Die von Dir geschilderten Ambivalenzen sind mir und vielen aus unserer Generation (bzw. unseren Generationen) nicht unbekannt. Ich fand das Sommermärchen ganz gut, ich hatte auch nichts gegen die schwarz-rot-goldenen Fähnchen; selber würde ich sie aber weder an meinem Wagen noch die Fahne am Haus präsentieren. Alles derartig Demonstrative empfinde ich für mich als unpassend. Das gilt aber auch für Vereinsinsignien und ähnliche visuelle Kenntlichmachung von faktischer oder ideeller Zugehörigkeit. Wer das mag: kein Problem. Für mich kommt das nicht in Frage.

Könntest du mir diesen Satz bitte erklären/übersetzen?
So peinlich mir das ist, ich verstehe nicht, was hier ausgesagt werden soll.:slightly_frowning_face:

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Das muss Dir nicht peinlich sein. Deine Frage ist ja vollkommen berechtigt.

Nach dem Abstieg in die Hölle der Inhumanität - für die Auschwitz ein Synonym ist - kann man nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen, und nette Gedichte o.ä. produzieren. Man muss in diesem Zusammenhang die enormen Verdrängungsleistungen berücksichtigen, mit denen große Teile der bundesdeutschen Gesellschaft sich in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten mit aller Kraft einem beachtlichen Wiederaufbau widmeten und eher ungern auf die Katastrophen zurückblickten, für die viele von ihnen mitverantwortlich gewesen waren. Dass jemand, der als Jude mit knapper Not dem Schicksal vieler ihm Nahestehender entgangen war, auf diese mentale Verfassung der Deutschen einen kritischen Blick hatte, lässt sich nachvollziehen. Gut möglich, dass Adornos Verdikt nicht nur die Deutschen betraf. An ihren Verbrechen hatten sich ja auch viele andere beteiligt. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Menschheit auf eine schiefe Bahn geraten war. Das kann zur Folge haben, dass man allergisch reagiert auf kulturelle Zerstreuungen aller Art.

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Bei Gedichten kommt als Besonderheit hinzu, dass man mit dieser Kunstform vielfach den Anspruch verbindet, einen anderen, diese nicht einfach reproduzierenden Blick auf die Wirklichkeit zu werfen. Was im Umkehrschluss aber auch bedeutet, dass man Gedichten nicht leicht den Vorwurf von Weltflucht oder Realitätsverleugnung machen kann. So könnte man den Schluss ziehen, sich Adornos Sichtweise zu eigen machend: „Da darf man ungestraft drauflos schwadronieren, das ist durch die Privilegien der Kunstform gedeckt.“ Ich wüsste nicht, dass er etwa der 1947 gegründeten Gruppe 47 solche Vorhaltungen gemacht hätte, in der auf Einladung von Hans Werner Richter 20 Jahre lang, in der Regel einmal pro Jahr, Schriftsteller aus ihren neuesten Werken, vorzugsweise Prosa, einander vorlasen und sie kritisierten.

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