Ein Kommentar zum Rechtsruck des ÖRR:
Wie immer Danke für das Teilhaben-Lassen an deinem ZEIT-Abo @jep .
Ja - wichtiger Artikel mit wichtigen Aspekten der neoimperialen Bruderschaft zwischen White House und Кремль.
Mich beschleicht beim Lesen ein wenig der Eindruck, dass ich jedes Zitat, jeden thematischen Aspekt hier im Thread schon gelesen, z.T. selbst geschrieben habe.
Unter dem mächtigen ZEIT-Mantel klingts gleich viel legitimer - ist halt doch so, dass das Renommé einer Quelle nicht ganz unwichtig ist.
Was ich meine ist: Der ZEIT-Autor zählt zahlreiche Beispiele für gezielte Kampagnen zur Unterwanderung und Beeinflussung europäischer Demokratien auf - amerikanische wie russische.
Wenn wir diese Politstrategie hier in der Kurve als bewusst geplante, imperialistische Aggression unseres früheren Befreiers und Verbündeten Amerika an der Seite des Kriegstreibers Putin bezeichnen, dann kommt schnell der Vorwurf der Verschwörungstheorie, des Antiamerikanismus - das ist dann halt links-populistische Propaganda.Am ehesten wird Trump noch Wahnsinn unterstellt, den wir halt aussitzen müssen (auf die MidTerms warten, auf 2029 warten, dann wird alles wieder gut) - is klar: wenn der Orangene irre ist, dann ist er nicht wirklich eine Gefahr für die demokratische Welt oder gar für den Frieden…
Die Trump-Putin-Allianz ist nicht der Steigbügel-Halter des europäischen Rechtsaußen-Ruckes - sie ist deren Drahtzieher.
Da bin ich doch froh, wenn diese Analyse endlich mal aus dem berufenen Mund des gestanden-anerkannten Hochadels im deutschen Journalismus -der ZEIT- kommt. Das erspart uns eine Menge Diskussionen über linken Populismus. (Wenn doch bloß in dem ZEIT-Artikel noch ein paar Zeilen zum Thema Cui Bono gestanden wären. Dann würden wir uns die ewige Neiddebatte auch endlich ersparen können.)
PS: Es ist immer einfacher, die mit den Diagnosen Narzissmus, Größen- und Cäsarenwahn in die Ecke krankhafter Psychopatholgie abschieben zu wollen. Schmeichelt auch der intellektuellen Überlegenheit des eigenen Lagers.
Was wäre, wenn diese Kabinette des Grauens in Moskau und Washington nicht psychisch gestört wären (obwohl sie sich alle Mühe geben, uns das glauben zu machen, das muss ich gestehen…)? Was, wenn die treibende Kraft hinter Putin und Trump ein einzigartiges Gespür für die Vergrößerung der eigenen Machtbereiche ist, gepaart mit einer völligen Gleichgültigkeit ggü. Humanismus, Frieden und Freiheit?
Was, wenn sie wissen, was sie tun?
Das Belächeln von Diktatoren und Faschisten aus dem Elfenbeinturm des Intellektualismus (in dem leider auch meine Schreibmaschine steht) ebnet seit Jahrhunderten den Kriegstreibern den Weg. Wurden sie nicht alle anfangs belächelt, als kranke Besessene lächerlich gemacht, als vorübergehende Erscheinung banalisiert?
Hitler. Goebbels. Mussolini. Göring. Stalin. Jiang Qing. Andreas Baader. Idi Amin. Bokassa. Pol Pot. Kim Jong-un. Charles Taylor. Saddam Hussein. Osama bin Laden uswusf.
(Die USA liebte Hussein, solange er in den Iran einmarschierte und Kurden vergaste. Die CIA erschuf und liebte Bin Laden, bis er in die Luftfahrt einstieg. Trump liebt Kim und fordert „Free Le Pen“, als ob die französische Faschistin der moderne Nelson Mandela sei. Musk stört an Hitler -una voce mit Alice Weidel- lediglich, dass er Kommunist war. Und „nur die AfD kann Deutschland noch retten“.)
Jeder dieser Gröfazze fand -neben viel Spott vom politischen Establishment- auch seine Verteidiger, seine Anhängerschaft, seine Jünger - wie Napoleon, wie Alexander, wie Cäsar. Was sie alle eint, war der ewig gleiche Wahn: An meinem Wesen soll die Welt genesen. Auch wenn ich sie dafür in Schutt und Asche legen muss.
Es gab ja reichlich Kritik an Hallervordens Auftritt, so auch von ZEITonline. Interessant: in den Kommentaren - üblicherweise kein bevorzugtes Refugium der Rechtsgewirkten - bekam der Artikel kaum Zuspruch. Viele nannten ihn kleinkariert, humorlos, etc. Hallervorden spreche nur aus, was viele dächten. Dafür gab es wiederum viel Zuspruch. So viel zur allgemeinen Stimmungslage; nur ein momentaner Eindruck, sicher. Doch immerhin bemerkenswert.
Bei aller Zustimmung zu Deinem Kommentar: dieser Rundumschlag zu guter Letzt scheint mir doch reichlich pauschal ausgefallen zu sein. Aber: das ist ja alles schon ewig lange her, da kommt es vielleicht auf die Einzelheiten nicht mehr so sehr an.
Da gebe ich dir recht - die letzten drei Sätze genügen keineswegs dem Anspruch historischer Differenziertheit. Sollen sie auch nicht.
Napoleon versuchte, ganz Europa militärisch zu erobern, brandschatzte und plünderte Moskau und konnte erst durch die Alliierten des 19. Jahrhunderts gestoppt werden.
Cäsars Pax Romana hat alles nördlich der Alpen unterjocht und ist die philosophische Blaupause für die neuzeitliche Pax Americana.
Und Alexander radierte Theben aus, versklavte Zehntausende, zwangsverheiratete Tausende Frauen in seinem Kolonialreich und verbrachte ein Drittel seines kurzen Lebens auf Eroberungsfeldzügen auf mehreren Kontinenten in dem Versuch, die ganze damals bekannte Welt zu beherrschen.
Die historischen Leistungen dieser drei Eroberer (Literatur, politische Errungenschaften, ideologische Nachwirkung über Jahrhunderte) beschäftigen Historiker-Kongresse bis heute.
Aber das ändert nichts an meiner Einschätzung des gemeinsamen Nenners:
(Kleine) weiße Männer, die der Welt mit Waffengewalt ihren Stempel aufdrücken wollten - denen es völlig egal war, was die Welt davon hält. Und wieviele barbarische Untermenschen dabei draufgehen.
Warum sollen wir bei Napoleon an den Code Civil denken, wenn er sich am Ende zum Kaiser krönte - etwas kein Größenwahn? Warum an den Einigungsgedanken Europas, wenn seine jahrelangen Feldzüge Millionen das Leben kosteten - etwa kein GröFaZ?
„Von 1792 bis 1815 war Europa fast ununterbrochen Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen Frankreich und Bündnissen (= Koalitionen) anderer Mächte. Diesen sechs Koalitionskriegen fielen schätzungsweise 1,5 - 2 Millionen Menschen zum Opfer. Die Kriege von 1798 bis 1815 werden auch als Napoleonische Kriege bezeichnet, da hier Napoleon Bonaparte (1769-1815) das Kriegsgeschehen diktierte.“
Das römisch-lateinische pacare bedeutet sowohl „besiegen“ als auch „den Frieden bringen“ - etwa kein „am römischen Wesen soll die Welt genesen“?
Und Alexanders Feldzug mit dem größten Heer, das die Geschichte bis dato je gesehen hatte, wird bis heute in den Geschichtsbüchern verklärt als Grundlage der Ausbreitung des Hellenismus in die Welt.
Aber wenn Hitler sich Polen, Stalin sich das Baltikum und später ganz Osteuropa, Hussein sich Kuwait oder Putin sich die Ukraine unter den Nagel reißt, dann ist das völkerrechtswidriger, mörderischer Imperialismus?
Wirklich zu pauschal, mein Rundumschlag…?
Ich fürchte, dass meine Bereitschaft zu historisch differenzierter Betrachtung halt immer unter meiner rigiden Feindschaft ggü. jeglicher Form militärischer Aggression und Invasion leidet. Und das waren Alexander, Cäsar und Napoleon - agressive, gewalttätige Invasoren, denen Hunderttausende und Millionen ihren Tod verdanken.
Im Zweifelsfall bin ich auf Seiten der Opfer von Militarismus und Krieg, egal, ob den Kriegsführenden später von den Historikern Denkmäler gesetzt werden.
Auf wessen Seite soll man sich da stellen?
„Der Erste Koalitionskrieg war die erste Auseinandersetzung eines großen Militärbündnisses, das zunächst aus Preußen, der Habsburgermonarchie und kleineren deutschen Staaten bestand, welche zwischen 1792 und 1797 zur Verteidigung der Monarchie gegen das revolutionäre Frankreich geführt wurde. Der Krieg begann mit Erfolgen der Alliierten, bis die Kanonade von Valmy ihren Vormarsch auf Paris beendete. Die Revolutionsarmee ging zur Gegenoffensive über und besetzte verschiedene Gebiete, darunter die Österreichischen Niederlande und Teile des Rheinlandes.“ (Wikipedia)
Die späteren Befreiungskriege lassen dies leicht in Vergessenheit geraten.
Der Wiener Kongress schuf dann eine Neuordnung der politischen Kräfteverhältnisse in Europa. Zu seiner Eröffnung komponierte Beethoven, einstmals Bewunderer Napoleons, sein Kantatenwerk „Der glorreiche Augenblick“, aus dem ich diesen Ausschnitt mit dem aktuellen Post im Musikthread verknüpfe („Vienna, Vienna, Vienna!“; ab 02:43). Ich habe dies mit meinem Chor im Februar 2020 anlässlich Beethovens 250. Geburtstag gesungen, kurz bevor die Covid-Aerosole jegliche Chorarbeit unmöglich machten.
Ähnliches lässt sich tatsächlich auch bzgl. Alexander und Caesar sagen. Es gab auch hier „Vorgeschichten“:
Persische Angriffe auf Griechenland inklusive einer geplanten Unterjochung Griechenlands, Zerstörung griechischer Städte etc.
Wiederholte Angriffe von Volksstämmen aus dem Norden auf römische Gebiete (im Kernland Italien), z.B. der Kimbern und Teutonen mehr als 100 Jahre vor Caesar.
Und bzgl. Napoleon hast du ja auch aufgezeigt, dass die ersten Kriege geführt wurden, weil eine gemeinsame Koalition mit Gewalt die Monarchie in Frankreich wiederherstellen wollte.
Nur durch diese Bedrohung gelang es, dass das zu der Zeit tief gespaltene Frankreich zusammenstand. Nur aufgrund der Bedrohungen aus dem Norden gab der Senat Caesar das Mandat für Feldzüge in Gallien und seinen Nachfolgern für Germanien. Und nur die Erinnerung an persische Grausamkeiten einte die ansonsten heillos zerstrittenen Griechen.
Und alle diese Herrscher agierten dann nach dem Prinzip: Angriff ist die beste Verteidigung.
Auf deinen Hinweis @Cosray8d habe ich mir den selbsternannten Hassisten Serdar Somuncu mal mit seiner Startsendung auf RBB angetan - volle 50 Minuten (Schulterklopfen bitte). Erträglich nur, weil sein erster Gesprächspartner Wolfgang Thierse ein so beeindruckend feinsinniger, gebildeter, wacher und interessanter Mensch ist.
Parallel habe ich mich noch mal kurz mit dem Vorzeige-Sexisten (unter dem Feigenblatt der Satire) und Vorturner gegen CancelCulture (zumindest hält er sich dafür) Somuncu beschäftigt. Hatte früher schon mal das Missvergnügen… hab’s dann länger gelassen.
Ein Leben im Dienste des intellektuellen Massakers und der verbalen Geschmacklosigkeit - mit einem untrüglichen Näschen für Trash und Whatever sells!
Mich hat damals schon beschäftigt (und es tut immer noch weh):
Wie um Jottes Willen konnte sich Carolin Kebekus (die bei mir weit oben im Olymp thront) mit diesem Kotzbrocken einlassen - beruflich und privat? Werd ich nie begreifen…
Da lob ich mir doch dieses Forum:
wir können hier Rassisten, Trash-Trolle, Sexisten und verbale A…löcher einfach rausschmeißen, ohne uns anschließend auch noch wegen vermeintlicher Unterdrückung der Freiheit von Satire und Kunst erpressen lassen zu müssen. Tucholsky hätte sich im Grabe herumgedreht, wenn er wüsste, was im Namen seines „Satire darf alles“ heute alles vor die Kameras drängt.
Auch den Herrn Thierse wollte Somuncu (der sich offenbar für ein Opfer von woke und CancelCulture hält) vor seinen Karren spannen - vergeblich: der feine alte Kulturwissenschaftler entgegnet auf die Frage, wo die Freiheit der Meinungsäußerung (Schrägstrich Satire - Schrägstrich Kunst) endet, ganz klar und deutlich: „wo sie die Freiheit und Persönlichkeit eines anderen Menschen verletzt“.
Während Somuncu immer wieder -implizit- versuchte, sich künstlerisch mit der „Widerstandskunst“ in der DDR auf eine Stufe zu stellen, gelingt es Thierse (wie ich finde: beeindruckend), demgegenüber 50 Minuten lang sachlich und ruhig, dabei klar zu bleiben.
Toller Kerl!
Bei der Recherche der sexistischen Auswürfe Somuncus fand ich diesen herrlichen Artikel in der ZEIT von vor drei Jahren - mit der noch viel herrlicheren Wort(neu?)schöpfung und Kategorie für das, was Somuncu mit seinem Genossen Schröder 14tägig absondert:
Der Laber-Podcast.
Und vernichtender als im Fazit der ZEIT kann man einen MöchteGerneGroßKünstler/Comedian nicht in den Boden stampfen:
„Für die Labernden aber gilt: Sich dort, wo das Spiel mit den Ebenen misslingt, hinter einem Kunstvorbehalt zu verschanzen, lässt genau jene stille Tiefe vermissen, die Podcaster idealerweise auszeichnet, in der Werkstatt ihres Denkens und Handelns. Und es führt im konkreten Fall kabarettistische Kritik an den Verhältnissen in eine Bedeutungslosigkeit, die vernichtender sein kann als jedes Canceln.“
Ja, ich habe auch vor Kurzem mal ein Video vom Podcast mit ihm und Florian Schroeder geteilt.
Das werde ich in Zukunft definitiv nicht mehr tun.
Mir waren damals seine Kontroversen und Ergüsse nicht bekannt und er war mir nur aus seiner Heute-Show Zeit geläufig.
Viele Satiriker sind scheinbar in der Corona-Zeit in die Schwurbelecke abgedriftet und sehen sich als Opfer der Cancel Culture - obwohl sie immernoch Sendungen bekommen und tw sogar mehr Zuschauer (aus der rechten Ecke) gewonnen haben.
Bestes Beispiel Dieter Nuhr (bei dem ich schon vor Corona Bauchschmerzen bekommen hatte).
Er hat nach wie vor seine Sendung und inszeniert sich als Kämpfer gegen das Woke Terrorregime ohne jemals wirklich gecancelt zu werden.
Hier für unsere Englisch-Versteher mal eine Abo-Empfehlung.
Leeja Miller fasst die juristische Lage der USA kompakt immer wieder sehr gut zusammen.
Gerade bei dem Video sollte einigen von uns ein Schauer über den Rücken laufen, da Trump, wie die CDU, ihm unliebsame NGOs angreift.
Natürlich leider nur eine kleine Nachricht angesichts der Lawine an Hiobsbotschaften
Is‘ zwar selten, aber hier stößt mein eigentlich recht flüssiges und gutes Englisch an seine Grenzen - schade, schade.
Mrs. Miller spricht einfach zu schnell, und ihr Vokabular ist zu komplex für meine Fähigkeiten.
Da bin ich halt weiter auf Menschen wie Dich angewiesen, die mir das bisweilen übersetzen…
Ich bedaure so sehr, dass ich in meinen Film- und Serienexzessen aus Bequemlichkeit nie den Absprung von den Deutsch-Synchron-Fassungen hin zum british- or american O-tone geschafft habe.
Ich wäre längst selbst Synchronsprecher… aber der Zuch is‘ leider abgefahren.
Naja, manche Synchronstimme ist auch einfach ebenso kultig wie das Original - Christian Brückner zB. Oder Manfred Lehmann: „prozent auf alles - außer Tiernahrung“…
Dieter Nuhr hält allen den Spiegel vors Gesicht. Wie viele sich dann angewidert abwenden, zeigt ja nu(h)r wie recht er hat.
Ich mag ihn.
Mal abgesehen von seinem unverhältnismäßigen Hass auf FFF und Greta Thunberg (auch zu einer Zeit wo sie noch minderjährig war), hat er in einer seiner Sendungen zur Todesstrafe für Messer-Tatverdächtige mit Migrationshintergrund aufgerufen.
„Was sind das für Menschen, die mit einem Messer aus dem Haus gehen? Sollte man solche Leute nicht besser einschläfern lassen?“
Dieter Nuhr in der ARD-Sendung „Nuhr im Ersten“
Er sucht meiner Meinung nach gezielt nach dem medialen Aufschrei und liebt sich in seiner Opferrolle ohne jeh in seinem Leben ein Opfer gewesen zu sein.
Er bekommt seine regelmäßige Sendung zur besten Sendezeit und kann seine Meinung frei in allen möglichen Medien äußern, zuletzt auch bei Maischberger.
Und auch hier packt er das Hufeisen aus und hetzt mit einer Anekdote gegen Migranten.
Ich sehe und höre bei Dieter Nuhr weder Hass noch Hetze, mit diesen Wörtern wird mir ein wenig zu inflationär rumgeworfen.
So niedrig wie die Schwelle bei diesen Ausdrücken mittlerweile liegt, müsste ich dir auch Hass und Hetze gegen Dieter Nuhr vorwerfen.
Die liebe Greta hat ganz schön ausgeteilt (auch zu einer Zeit als sie noch minderjährig war), da muss sie auch was wegstecken können. Ich fand Nuhrs Antwort auf ihr „How dare you“ sehr ausgewogen und empathisch. Und sehr treffend.
Aber bei einem muss ich dir selbstverständlich zustimmen. Wenn ein X-User die Geschichte von Nuhr anzweifelt, dann kann diese auf keinen Fall stimmen
Ein guter Kabarettist sollte aus meiner Sicht zwei Dinge tun:
- Nach oben treten - also gegen die Regierenden
- Witzig sein.
Beides sehe ich bei Nuhr nicht oder zu wenig.
Jau, so is‘ datt halt mit der Meinungsvielfalt.
Um nachvollziehen zu können, worum‘s bei Nuhr vs. Thunberg vor sechs Jahren ging, hab ich mir die vier Minuten Nuhr O-Ton noch einmal angetan.
Was Du „ausgewogen und emphatisch“ fandest, fand ich lahm, langweilig und weitgehend spaßfrei. Ich hab einmal geschmunzelt in vier Minuten - is‘ mir zuwenig für den Helden des ÖRR-Kabaretts.
Mit deinem „empathisch“ happich so meine Probleme: „Wer entscheidet, welche 4 Mrd. in einer Öko-Diktatur durch Nicht-Ernährung ableben sollen? Macht Greta das? Zutrauen würde ich ihr das. Den Blick dafür hat sie ja.“ Greta Thunberg war zu dem Zeitpunkt 16 Jahre alt und leidet am Asperger Syndrom. Die Krankheitssymptome („ihr Blick“) von einer Minderjährigen zum Aufhänger für einen Mengele-Vergleich zu benutzen - das ist vieles. Ausgewogen und empathisch (=einfühlsam) ist das definitiv nicht.
Aber wenn es linkes Kabarett geben darf, muss es auch rechtes geben dürfen.
Es muss Menschen geben dürfen, die ein Kabarett machen, in dem gelacht wird, wenn’s heißt:
„Ich freu mich schon drauf, wenn ich im Winter den Ofen nicht mehr anmachen muss, weil s wärmer wird.“
„Wieviele Menschen kann man mit regionaler Biowirtschaft ernähren? Eine Milliarde? Zwei? Drei? Die Frage ist: wie finden wir dann die vier oder fünf Milliarden zum Ableben?“
Dann kommt der „Greta hat den Blick dafür“-Move (wer so kuckt, selektiert auch in Auschwitz an der Rampe) - und das Publikum hohoht, applaudiert und Schenkelklopft. Es gibt ein Publikum für Nuhr-Humor. Und das wählt auch.
Der Rest über Greta ist herablassende Selbstgefälligkeit „Sie ist halt ein pubertierender Teenager, da darf man auch mal radikal sein.“ sagt der Papa mit beifälligem Grinsen.
„Sehr treffend“ sei seine Auseinandersetzung mit Gretas „how dare you“, sagst du @Manowar.
Leicht zusammengefasst hier Nuhrs anschließende Geschichts-Nachhilfe für sein imaginäres Töchterchen:
Vor 250 Jahren haben wir die Industriegesellschaft gegründet. Und als wir damals die Dampfmaschine erfanden, konnte ja keiner wissen, wohin das führt. Wenn man das heute einfach abschaltet, dann kommen Hunger, Vertreibung, Tote, Kriege - das werden Millionen Tote, Milliarden. Viel mehr als durch den Klimawandel!
Ja die Denkweise ist in sich schlüssig:
Wenn man den Stecker zöge, gäbs Ärger.
Aber mehr als jetzt? Hunger, Vertreibung, Tote, Kriege - das kommt nicht erst, wenn Greta den Stecker zieht. Das ist unsere Gegenwart. Das ist bereits da. Greta dafür verantwortlich machen zu wollen, wird echt schwierig - das alles entstand vor ihrer Geburt.
Aber Nuhr beschreibt Greta ja als „sakrosankt“ und warnt uns davor, sie „mit Jesus zu verwechseln“ - hat offenbar ganz schön Schiss vor diesem pubertierenden Teenager, der Nuhr. Wahrscheinlich fürchtet er, sie ginge demnächst übers Wasser… das ihm auf Sylt dann (nicht nur) bis zum Halse steht, wenn der Meeresspiegel weiter steigt.
Der Rest ist stock-rechtskonservative Polemik gegen den Klimawandel.
„Thats why we dare, Greta!! Weil wir nicht zurückkönnen!“
Und dann zählt der eigentliche Klimaexperte Nuhr (wird gelegentlich mit einem Kabarettisten verwechselt) sein Programm zur Rettung der Welt auf:
- co2 speichern.
- Bäume pflanzen.
- Algen.
- Fürs Klima könn‘ mer eh nix tun: Deutschland is nur für 2% der Emissionen verantwortlich.
- Selbst wenn wir Deutschland in einen Regenwald umbauen, ist das fürs Klima völlig unerheblich.
Dann kommen Nuhrs konkrete Vorschläge, wie wir das Ruder rumreißen werden: - Ein Bericht über einen „Algenbottich, der 360 Bäume ersetzt“ - Nuhr fragt entsetzt „warum stehen die noch nicht überall“.
- „Oder hier! Ein Blauwal ersetzt 1000 Bäume. Vielleicht sollten wir den Japanern sagen, dass die Viecher scheiße schmecken!“ Jetzt hatter das Publikum: Gelächter und Applaus.
Das empfindest Du @Manowar als „sehr treffend“?
Und das war’s mit Nuhrs Klimagipfel:
„Ich freu mich auf die Zukunft. Hab allerdings das Gefühl, ich bin der einzige, und der Rest ruft: Greta, rette uns! Und fährt als Fahrradfahrer immer bei rot über die Ampel, weil man als Fahrradfahrer immer im Auftrag der Welt-Rettung unterwegs ist. Die meisten Radfahrer sind ja unterwegs nach Brasilien, um den Regenwald zu löschen.“
(Hier endet der 4-Minuten-Klima-Greta-Nuhr)
In meinen Augen unterscheidet sich das Argumentationsniveau nicht wesentlich von dem eines Donald Trump oder JD Vance. Aber verbieten lässt sich Dummheit nicht, egal wie dreist sie daherkommt.
(Jetzt versteh ich endlich, woher das Wort „dummdreist“ eigentlich kommt…)
Datt is halt rechts-populistisches Kabarett.
Und das hat auch sein Publikum.
Verbieten kann man s nicht. Will auch keiner.
Über Humor lässt sich bekanntlich streiten.
Ham wer jetzt gemacht.
PS: Datt einzige, watt mich an Nuhr ärgert, ist, dass ich sein Honorar mit meiner GEZ bezahle. Aber ich zahle auch dem Merz sein Gehalt mit meinen Steuern.
Gehört halt zur pluralistischen Demokratie dazu.
Passt scho.
Auffällig und erstaunlich ist ja wirklich, dass so einige Kabarettisten (nennen wir sie mal so) den rechtspopulistischen Drift bekommen haben. Teils erkläre ich mir das etwas hilflos mit der Pandemie - die leben ja von der öffentlichen Rede, und die war halt längere zeit nicht möglich. Da scheint’s dann einigen irgendwie die Gehirnwindungen verwurschtelt zu haben.
Aber wie @Gratschifter schreibt: gibt halt Kabarett von rechts wie von links heutzutage. (Wobei ich immer noch nicht kapiere, was am Thema Klimawandel „links“ sein soll. Da ist die Realitätsverweigerung historisch mal definitiv auf der konservativen Seite. Aber anderes Thema.)
Ich seh es wie @Faenger (wenig überraschend):
Humor ist natürlich immer subjektiv, und jeder hält den jeweils eigenen für den geschmacklich besten. Also ich ganz bestimmt.
Trotzdem würde ich auch sagen:
Oberste Pflicht eines guten Kabarettisten ist der Tritt nach oben, nicht nach unten. Und zwar relativ egal, wer an der Regierung sitzt. Wenn man sich an einer 16-jährigen mit Asperger abarbeitet, weil sie sich Sorgen um die Welt macht, lässt das menschlich schon tief blicken.
Aber gut, es soll ja auch Menschen geben, die Mario Barth lustig finden.
Mag sein. Reicht mir nicht als Ausrede.
Den Nuhr habe ich noch nie als Sternstunde der Comedy empfunden. Aber er erfüllt seinen systemtragenden Zweck.
Das Label Kabarett is‘ mir einfach zu edel für Dieter. Nur weil im Publikum gelacht, gejohlt und schenkelgeklopft wird, ist’s noch lange kein Kabarett. (In Köln und Düsseldorf nennt man das Stammtisch-Humor)
Oder Serdar Somuncu. Der uns ja gestern hierher gebracht hat…
Dass ich ein Volker Pispers Verehrer bin, ist wahrscheinlich schon aufgefallen (hoffentlich nicht zu unangenehm…)
Da wir der rechts-comedy mit Nuhr heute ausreichend Raum gegeben haben, schließe ich für heute mit Links-Kabarett:
Wenig Gejohle und Schenkelgeklopfe - bei Pispers blieb einem das Lachen gerne im Halse stecken. Weil der Blick in den Spiegel selten witzig ist…