Theodor Adorno wird es mir hoffentlich verzeihen, wenn ich seinen bekanntesten Ausspruch entlehne und paraphrasiere.
Ich habe überlegt, in welchem Thread ich diesen Text unterbringen könnte, aber mir schien es nirgends richtig passend. Und da ich zumindest nicht ausschließen kann, dass diese Thematik, um die es mir gehen wird, von dauerhaftem Interesse bleibt, habe ich einfach einen neuen erstellt.
Also, worum geht’s?
Die Saison ist 8 Spieltage jung. Einiges roch nach Neustart, verkörpert natürlich hauptsächlich durch Vincent Kompany.
Der Start bei unseren Jungs ist geglückt in der Bundesliga, missglückt in der CL. Lob hier, Kritik dort.
Worauf sich alle mehr oder weniger einigen können:
VK lässt einen Stil spielen, der sich eklatant von dem seines Vorgängers unterscheidet. So wie sich auch Tuchels Stil von dem seiner Vorgänger unterschied.
So einig man sich bis hier sein kann, so unterschiedlich scheint die MSR-Kurve die Art und Weise zu beurteilen, was sich in den jeweiligen Spielen durch VK’s Ansatz zu zeigen begann. Am deutlichsten wird dieses Wirrwarr vielleicht durch die schlichte Frage, dass wir uns alle nicht mal darauf einigen können, ob der Kompany-Ball nun besonders riskant ist oder gerade nicht.
Mich selbst hat, ich erwähnte es am Rande schon öfters, weniger der Stil überrascht, mit dem die Mannschaft auftritt, sondern vielmehr die Geschwindigkeit, mit der man ihn identifizieren konnte. Ich hätte vermutet, dass die Umstellung von Tuchel zu Kompany länger dauert, eine Halbserie vielleicht, bis man den arg pragmatischen Fußball aus den Gliedern schüttelt - und selbst dann, dachte ich, wird es noch haken und rütteln und allenfalls Spurenelemente erkennbar sein von dem, wo VK hinwill.
Nun, das ist nicht passiert.
Egal, was man davon hält, die Umstellung schien sofort zu greifen: mit all den daraus folgenden Implikationen.
Mich hat das begeistert, das gestehe ich sofort ein. Extreme Dominanz und Intensität, großes Entertainment. Und die Ergebnisse stimmten auch - bis vor kurzem.
Dann passierte das, womit man rechnen musste: Ein unglückliches Remis, eine dämliche Niederlage, eine Abreibung.
Und die Stimmung kippte.
Ich will in diesem Thread nicht auf eine Analyse hinaus, ob VK’s Fußball auf Sicht funktioniert, Ergebnisse bringt, scheitern muss, whatever.
Nein, was mich interessiert, sind eure Ansichten zum, nennen wir es:
ideologischen Ansatz des Fußballs. (Daher auch meine Adorno-Verballhornung (sic!) im Titel.)
Cesar Luis Menotti sprach einst sogar vom linken Fußball, der im Gegensatz zum rechten nicht allein am Sieg orientiert sei, sondern mindestens ebenso an der Ästhetik, an einem Miteinander, an einem Wachsen als Gruppe und als Mensch, daran, Freude zu bereiten.
Nun, soweit will ich ausdrücklich nicht gehen (zumal ich keineswegs all die aus gutem Grunde in den Politik-Thread ausgelagerten Debatten wieder hier in den Fußball-Bereich reinpfriemeln will…) .
Allerdings war ich äußerst erstaunt, wie schnell sich an den Gegentoren und fehlenden Ergebnissen, die wir vor kurzem hatten, sehr kritische Stimmen abarbeiteten - wie mir schien, mit wesentlich mehr Enthusiasmus als an der von allen sicher wahrgenommenen Veränderung der Spielweise. Teilweise hatte ich den Eindruck, es mit lauter Huub-Stevens-Verehrern zu tun zu haben: Die Null muss stehen!
Nur angenommen, der Stil, den VK vorgibt, sei tatsächlich überaus riskant - what’s the problem about? Haben wir wirklich so viele (Fußball-)konservative Geister hier auf MSR, die nach wie vor glauben, Titel erränge man zuallererst auf defensiver Basis?
Und wenn dem so wäre:
Wer wäre bereit, zugunsten des schönen (also attraktiven, unterhaltsamen, offensiven) Spiels im Menotti’schen Sinne auf eine höhere Wahrscheinlichkeit von Titel zu verzichten?
Ganz ernstgemeinte Frage!
Meine eigene Positionierung über den (nochmal Adorno) richtigen Fußball im falschen Leben könnt ihr euch sicher denken.
Ich habe ein halbes Jahrhundert als Bayern-Fan hinter mir, und ich betrachte es als Privileg, so viele Siege und Erfolge miterlebt zu haben. Spätestens nach dem Triple-Jupp und der ästhetisch hinreißenden Ära Pep sind alle meine Wünsche diesbezüglich übererfüllt. Für mich zählt seit den epischen Ballstaffetten, mit denen die Pep-Bayern Europa (und die BuLi sowieso) herspielten, nichts mehr als das schöne Spiel. Wenn wir dann noch Titel holen, find ich’s super - Priorität ist es für mich nicht mehr.
(Wobei ich noch hinzufügen würde:
Gelänge es uns wirklich dauerhaft, schön zu spielen nach meiner Definition, steigert das im Nebeneffekt durchaus die Wahrscheinlichkeit von Erfolgen… )
So blicke ich jedenfalls auf den Fußball. Deswegen kann ich nicht arg böse sein, wenn wir Dritter werden hinter Bayer und Stuttgart wie letztes Jahr: ich schaue etwa dem VFB einfach zu gerne beim Kicken zu.
Wie seht ihr alle das? Und sind wir uns überhaupt einig, wie schöner Fußball aussieht?