Seit Thiagos Abgang*
Diese Probleme beim Umgang mit dem gegnerischen Pressing sind nicht nur dem Trainer anzulasten. Das kann man nur bedingt trainieren. Natürlich braucht es dafür ein schnelles Passspiel und eingeübte Positionierungen. Doch eben auch: handlungsschnelle Spieler, die technisch versiert genug sind. Und diese Qualitäten haben wir nicht in ausreichendem Maß im Kader.
Justin hat je gerade Thiago genannt. So einer fehlt schon enorm. Gerade im zentralen MF. Vielleicht kommt Pavlo mit mehr Erfahrung noch dahin, dass er diese Pressingresistenz erlernt. Aber ich denke, dass wir uns auch noch nach einem solchen Spieler umsehen sollten.
Bayerns Problem ist nicht die „Pressingresistenz“ im Mittelfeld. Wie viele Gegentore und Chancen kommen zu Stande, weil Pavlovic und/oder Kimmich Bälle verlieren unter Druck. Kommt fast gar nicht vor. Eines der Hauptprobleme ist, dass man mit Thiago einen Spieler verloren hat, der schlicht genial war. Eine Ausnahme. Ich sehe im gesamten Fußball derzeit keinen wie ihn, der mit einem kleinen Kontakt, einer kleinen Bewegung ein komplettes Pressing derart hops nehmen kann.
Bayerns Problem findet auch auf einem sehr hohen Niveau statt. 99 Prozent aller Fußballclubs hätten diese Probleme sehr gerne, die die Bayern dort aktuell haben. Ich weiß, das geht mit deiner aus meiner Sicht viel zu überhatten Kritik an Kimmich nicht konform, aber es gibt nur wenige Spieler, die den Ball unter Druck so gut behaupten und weiterverteilen können.
Mit einem Zentrum aus ihm, Pavlovic und Musiala darf man auch gegen ein sehr starkes Leverkusen deutlich mehr erwarten. Neben den Spielern auch vom Trainerteam. Aber wenn dieses Mittelfeld nicht genug sein soll, frage ich mich manchmal schon, ob du auch mal andere Topteams schaust und wie die so aufbauen oder welche Probleme die so haben. Den Maßstab Thiago bei Kimmich anzulegen wäre ja schon mal grundsätzlich unsinnig. Dafür sind beide zu verschieden. Die Frage ist eher, wie man das im Ballvortrag gemeinsam kompensieren möchte, dass es diese einzigartige Qualität so nicht mehr gibt. Nagelsmann hatte gute Ideen, aber die Kaderplanung fürs Zentrum war ziemlich wirr. Tuchel hat andere Schwerpunkte gesetzt und Kompany arbeitet jetzt daran und der Bischof-Transfer ist ein gutes Zeichen, dass man verstanden hat, welche Spielertypen es braucht.
Wenn ich mir bei Kimmich eine Sache wünschen würde, dann die Akzeptanz, dass er nicht 100 Prozent aller Minuten machen muss. Das würde ihn in manchen Momenten vielleicht nochmal schärfen. Ansonsten könnte ich aber kaum weiter von deiner Antihaltung ihm gegenüber entfernt sein.
Kimmich ist in Sachen Ballsicherheit definitiv weit vorne dabei und in der Hinsicht auch einer der Spieler, die bei Gegnerdruck am wenigsten Fehlpässe spielen. Wenn dann würde ich bei ihm - immer im Vergleich zu den wenigen noch stärkeren Spielern im Mittelfeldzentrum weltweit - höchstens kritisch anmerken, dass er manchmal gefühlt etwas lange braucht, bis er den Ball weiterleitet. Und das sind dann genau die Momente, die seinen Mitspielern wieder fehlen. Bei Mitspielern mit so überragenden technischen Fähigkeiten wie sie z.B. Thiago, Alaba, Boateng, Hummels, Alonso, Ribery oder Robben hatten, war das weniger schlimm als wie wenn die Mitspieler z.B. Kim, Davies, Goretzka oder Laimer heißen. Nichts gegen diese Spieler, aber in Sachen Ruhe am Ball können sie den o.g. nicht annähernd das Wasser reichen und deswegen ist es bei ihnen umso schlimmer, wenn der Gegner durch zu spät erfolgte Anspiele die Bruchteile mehr Zeit bekommt, um sie zu pressen, denn dann erhöht sich die Gefahr eines Fehlpasses oder eines unkontrollierten Befreiungsschlages. Somit ist Kimmich mMn sehr zuverlässig beim Verhindern, dass seine eigenen Pässe beim Gegner landen aber auch mitverantwortlich, wenn es darum geht, dass die Leute, die nach ihm an den Ball kommen, weniger Zeit haben, den Ball sicher weiterzuleiten.
Das ist natürlich Jammern auf sehr hohem Niveau und es ist auch nicht Kimmich anzulasten, dass ihm die Vereinsführung auf die Jahre gesehen immer weniger Leute zur Seite gestellt hat, die mit ihm zusammen den Ball halten können.
Der perfekte zentrale Mittelfeldspieler schafft es eben auch, seinen Mitspieler durch seine Übersicht genug Zeit zu verschaffen, dass sie den Ball auch wieder kontrolliert weiterleiten können. Und das finde ich geht Kimmich ein kleines bisschen ab, z.B. auch im Vergleich zu Toni Kroos oder Xabi Alonso. Ihn mit Thiago zu vergleichen wäre unfair, weil der eben im Gegensatz zu Kimmich, Kroos oder Alonso auch noch ein begnadeter Dribbler war und Körpertäuschungen beherrschte wie wohl kaum ein anderer Mittelfeldspieler.
Den Punkt drehe ich um. Wenn ich beobachte, wie sich mancher Spieler des FC Bayern bewegt (und mancher nicht), dann sehe ich oft Situationen, in denen Kimmich zu Unrecht unterstellt wird, er mache das Spiel langsam.
Ich halte Spiele auch gerne mal an und schaue dann, welche Optionen es konkret gibt (inklusive Anschlussoptionen) und stelle immer wieder fest, dass Bayern im letzten Drittel (ebenfalls auf hohem Niveau) ein Problem der Optionen und Anschlussoptionen hat. Wenn man Kimmich die Fragezeichen über dem Kopf ansieht, dann hat das oft nicht nur mit ihm zu tun.
Ich würde nicht soweit gehen und ihn als komplettesten Sechser der Welt bezeichnen. Es gibt Spieler, die sind noch handlungsschneller. Die haben ihre Schwächen dann woanders. Aber ich verstehe eben nicht, wie man die Spiele des FCB schauen kann und dann bei Kimmich ansetzen möchte. Da habe ich schlicht eine ganz andere Wahrnehmung.
Bin da voll bei @willythegreat: Kimmich ist mir oft zu langsam. Und dann kommen die Mitspieler unter Druck. Und diese Langsamkeit hat m.E. auch mit der zu geringen Spielübersicht zu tun. Wenn er Zeit hat, dann kann er ja perfekte Chipbälle spielen und dann sind seine Flanken auch oft stark. Nur in dem Moment, wo man ihn unter (Zeit)Druck setzt, ist das alles weg. Wie oft denke ich bei Spielen: So, und jetzt sofort weiterleiten/passen auf XYZ. Dieser Ball kommt dann nicht selten auch, aber eben die halbe Sekunde zu spät, um daraus mehr zu machen. Und das ist ein wesentlicher Kritikpunkt aus meiner Sicht. Der zweite ist dann die fehlende Führungsqualität in den wichtigen Spielen. Aber das Fass müssen wir jetzt nicht aufmachen, denn es geht ja um die taktischen Fragen.
Wo ich bei mitgehe: Natürlich ist Thiago absolut genial gewesen. Aber es braucht auch keinen genialen Spieler wie ihn aus meiner Sicht. Es würde schon reichen, wenn jemand im MF mal unter Druck mit dem ersten Kontakt und auch unter Ballbehauptung aufdrehen kann. Damit eröffnen sich ganz andere Möglichkeiten. Kimmich spielt halt den Quer- oder Rückpass. Und das auch oft einen Ticken zu langsam. Vielleicht hat ihn seine schwache Phase da etwas vorsichtiger werden lassen (wer erinnert sich nicht an seine rote Karte nach rund 5 Minuten gegen Darmstadt?).
Ich habe das Gefühl, dass bezüglich Thiago die Retrospektive auch ein etwas zu positives Bild liefert. Ja, er hatte geniale Spiele, vielleicht auch Phasen, aber auch Verletzungsprobleme und danach Phasen der Rekonvaleszenz, in denen er erst langsam wieder zur alten Stärke fand.
Und so irre und meist erfolgreich sein typischer Move war, auch er hat Fehlpässe gespielt und Bälle leichtfertig vertändelt.
Da würde mich mal eine Statistik interessieren, wie bei ihm die Anzahl der Pässe pro Spiel und die Erfolgsquote war. Auch und gerade im Vergleich zu Kimmich!?
Au contraire! Thiago kann überhaupt nicht zu positiv gesehen werden.
Ich würde.
Er ist nicht der beste Sechser der Welt, aber vielleicht der kompletteste.
Thiagos geile Sextupel Saison in der BL und die aktuelle von Kimmich im Vergleich:
Kimmich also sogar noch mehr Pässe, aber wohl auch dem noch mehr auf Ballkontrolle ausgelegten Spielstil zu verdanken, Completion und Progressive Passes ähnlich und beide excellent.
Kimmich noch große Stärken beim Thema Assists und Shot creation während Thiago klar defensiv noch bessere Werte…
Successful take-ons bei Thiago…
Man muss manchmal auch ein Bonbon für Kompromisse hinwerfen Georg. Anders funktioniert unsere Missionierung nicht.
Statistiken habe ich keine, aber auch ich kann mich an einige Szenen erinnern, an denen ich mich wahnsinnig über Ballverluste von ihm in der gefährlichen Zone aufgeregt habe. Seine fehlende Verfügbarkeit ist mir auch noch schmerzhaft in Erinnerung.
Kann nur empfehlen, das Gefühl nochmal zu überprüfen. Thiago hatte zu Beginn die eine oder andere Verletzung. Dass er danach übermäßig oft gefehlt habe, ist Klischee.
19/20 | 59 Tage | 3 | 10 |
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18/19 | 37 Tage | 3 | 9 |
17/18 | 135 Tage | 8 | 20 |
16/17 | 39 Tage | 4 | 5 |
15/16 | 33 Tage | 2 | 6 |
14/15 | 156 Tage | 2 | 37 |
13/14 | 272 Tage | 5 | 75 |
Habs überprüft, finde nicht, dass das ein „Klischee“ ist. ca 25 Verletzungen (und Krankheiten), ca. 160 Spiele verpasst. Da ist das Gefühl schon nicht so verkehrt gewesen.
19/20: 43 40 3 2.976’ (Kader, Einsätze, Tore, Minuten)
18/19: 42 42 3 3.427’
17/18: 33 32 7 2.101’
16/17: 44 41 9 3.527’
Das sind im Schnitt 40,5 Spiele pro Saison, in denen er im Kader stand und 38,75 Spiele, in denen er eingesetzt wurde.
Das ist eine sehr hohe Verfügbarkeit für einen Spieler, dem Verletzungsanfälligkeit unterstellt wird. Das ist eine sehr hohe Verfügbarkeit für einen Spieler, der vielen Legenden nach viel zu oft verletzt war.
Zumal er in all diesen genannten Spielzeiten in der entscheidenden Saisonphase immer fit war. Selbst 17/18, wo er tatsächlich mal länger fehlte, war er in den entscheidenden Saisonspielen wieder fit. Der Eindruck, seine Verfügbarkeiten wären schlecht gewesen, resultiert ausschließlich daraus, dass er in den ersten Jahren sehr lange Ausfallzeiten hatte.
Würde mich jemand zurück ins Jahr 2016 schicken und mir sagen: Thiago war jetzt so oft verletzt, entweder du verkaufst ihn oder behältst ihn, das hier werden seine Verfügbarkeiten sein, würde ich ihn natürlich behalten. Selbst im Vergleich mit anderen Spielern hatte Thiago in diesen vier Spielzeiten gute Gesamtwerte. Die eine Saison, in der er etwas länger ausfiel, fällt ab, in den anderen immer nah dran an den Top-5 des Kaders oder sogar innerhalb der Top-5.
Naja, nimm die ersten beiden Jahren raus, dann ist das ein ziemlich normaler Schnitt.
und dann nehmen wir noch 17/18 raus (damit in Summe die Hälfte der Jahre), dann siehts sogar richtig gut aus!
Gegenvorschlag, wir nehmen die anderen 3 Jahre stattdessen raus, dann ist das ein ziemlich katastrophaler Schnitt.
Nein. Weil mmer gesagt wurde: Thiago war immer verletzt. Oder zu oft. Und das stimmt halt nicht. Die ersten beiden Jahre waren Mist. Der Rest absolut ok. Und das finde ich bei 8 Jahren bei uns absolut akzeptabel.
Auch wenn es hier eigentlich nicht in diesen Thread gehört und mal losgelöst von der Diskussion um die vermeintliche oder tatsächliche Verletzungsanfälligkeit von Thiago: das war aus meiner sehr persönlichen Sicht der feinste Fußballer, den der FCB seit sehr langer Zeit in seinen Reihen hatte. Technisch überragend (nahm eine Bogenlampe aus 30 m Höhe mal eben so mit dem Fuß runter und leitete umgehend weiter in einen konstruktiven Pass nach vorne), defensiv überragend (obwohl er technisch so beschlagen war, war mit einer seiner Hauptbeiträge das hervorragende Stellungsspiel und perfekt getimete Grätschen), und unter Druck mit einer der besten Mittelfeldspieler, den ich überhaupt jemals gesehen habe, der sich nahezu mühelos vom gegnerischen Druck lösen konnte. „Thiago oder nix“ war Gold wert.
Ich würde als FCB eine Menge Geld dafür ausgeben, solch einen Spieler gerade heute im Mittelfeld des FCB aufstellen zu können (das darf jeder gerne anders sehen, und ja: heute ist nicht früher, schon klar - und seine Zeit bei Liverpool war auch nicht unbedingt gesegnet). Aber man darf doch hoffentlich noch Fan sein…