Hier mal ein Pamphlet, gegen den Strom:
Es ist mir zunehmend schleierhaft, wie man derart stolz darauf sein kann, eine Hetzkampagne wiederaufzunehmen, die sich gerade, nach mehreren Jahren, ein wenig beruhigt hatte.
Jaja, ich weiß, ihr seid der Meinung, das ganze große strukturelle Problem sei ja längst nicht beseitigt, und Jerome Boateng sei nun mal der Prototyp für ein gefährliches Mitglied der gar nicht genug zu ächtenden Frauenschläger-Szene. Ja geht’s noch? Habt ihr jeglichen Maßstab für einen halbwegs gerechten Umgang mit einem „Familienmitglied“(!) verloren? Sich wer weiß was einbilden auf den sogenannten menschlichen Umgang untereinander, im großen Unterschied zur Außenwelt (Miasanmir! Miasanrot!) - und dann jemanden von den eigenen Nächsten für alles verantwortlich machen, was jemals von Männern Frauen angetan wurde! Und alle, fast alle machen mit. Die Brüder und Schwestern, die Onkels und Tanten, die Cousins und Cousinen, die Schwager, einfach fast alle sind sich einig: Da haben wir endlich einen Schurken in unserer Hand, und diesen Sündenbock geben wir um keinen Preis wieder her. Weil, wo kämen wir denn da hin, da könnte ja jeder kommen, der ist doch selbst schuld, von wegen aufbrausendem Temperament, das haben wir schließlich alle, haha, wer hat das nicht, aber bringen wir deswegen Freundinnen um? Eben! Soweit kommt’s noch, daß wir uns mit so einem Outcast vergleichen und ihn womöglich wieder am Tisch Platz nehmen lassen…
Was glaubt ihr eigentlich, was Boateng der Öffentlichkeit schuldet? Einen Gang nach Canossa/vor die Fans und eine demütige Bitte um Vergebung? Hat man je einen Angeklagten, der vor Gericht nicht schuldig gesprochen wurde (nein, wurde er nicht!) dies tun sehen? Muß man nicht davon ausgehen, daß er sich vielleicht eben auch gar nicht schuldig im Sinne der Anklage fühlt und es deshalb nicht für nötig hält, sich öffentlich entschuldigen zu müssen? Ach ja, ich höre euch schon: Aber genau das isses ja, er müßte sich schuldig fühlen, und weil er es nicht tut, zeigt das einwandfrei, wie widerlich schuldig er in Wirklichkeit ist… Die Zeit der Gottesurteile läßt grüßen!
Im übrigen weiß so gut wie niemand, ihr jedenfalls sicher nicht, was er tatsächlich an Reue empfunden und Buße getan und bei wem er sich vielleicht nicht doch entschuldigt hat - ohne das an die große Medienglocke zu hängen. Und damit für mich um so glaubwürdiger.
Daß er das bewußte, hier öfter mal triumphierend zitierte Bild-Interview gegen Kasia Lenhardt längst als Fehler erkannt und benannt hat, ist offenbar den meisten entgangen, es ist für sie noch heute einer der nicht mehr zu den Akten zu legenden Haupt-Anklagepunkte.
Nein, Jerome Boateng ist vermutlich kein Heiliger gewesen; wer, der sich immer wieder in toxische Beziehungen verstrickt, könnte das denn auch sein? Und glaubt jemand wirklich, er macht das zu seinem Vergnügen? „Weil er’s kann!“, meinen einige, sind hochmoralisch empört und fühlen sich zu maximalen Widerständen berufen. Ich verkneife es mir, eine solche Haltung mit meinen Worten zu bewerten, es könnte Teile des Forums verunsichern. Boateng hat mit Sicherheit diese und jene Maßnahme ergriffen, um besser mit sich und bestimmten Situationen klarzukommen. Er hatte in den letzten Jahren eine Menge auszuhalten, ganz im Gegensatz zu der Meinung seiner Ankläger, die sich gegenseitig immer wieder überzeugen, er sei doch „weich gefallen“. Soviel Realitätsverdrehung muß man erstmal schaffen!
Mein Vorschlag: Laßt ihn in Ruhe und ohne dieses infantile Getöse beim FC Bayern hospitieren und neue, bessere Sozialisationserfahrungen machen. Er hat sich nicht um ein Direktorenamt beworben. Laßt bitte mal die Kirche im Dorf!