Ein Dämon namens Transfermarkt

Oh, glaub mir, ich bin mit den Regeln einigermaßen vertraut. :wink:

Was du sagst, ist alles richtig. Ich glaube, wir reden einfach aneinander vorbei. Du argumentierst mit der technischen Qualität der Regeln und den theoretischen Voraussetzungen für ihre Umsetzung (die ohne Zweifel erstklassig sind), ich hingegen hinterfrage einfach, ob es bei der UEFA den nötigen Elan und Spirit gibt, die (technisch hervorragenden) Regeln auch mit ihrer ganzen theoretischen Kraft umzusetzen. Ich sehe da einfach große Anreizkonflikte. Warum sollte die UEFA den Zugpferden ihrer Einnahmen, den großen, publikumsträchtigen Clubs, mehr Steine als unbedingt nötig in den Weg legen? Damit würde sie sich wirtschaftlich ins eigene Bein schießen, weil sie die Attraktivität ihres wichtigsten Vereinswettbewerbs, der Champions League, die von spektakulären Vereinen mit vielen Stars lebt, künstlich schwächen würde.

Dass die Top-Clubs bei der Super League zu strengen Regeln und großen Eingeständnissen bereit waren, wundert mich allerdings gar nicht. Das ist ja als geschlossenes System auch ein ganz anderer Ansatz als die gegenwärtige offene, europäische Wettbewerbspyramide, wo alle Vereine immer miteinander im Wettbewerb stehen. Die Anreize für die einzelnen Clubs in der Super League zu kooperieren sind aber vollkommen anders gelagert. Was einem nützt, nützt allen, was einem schadet, schadet allen. Die Clubs vermarkten den Wettbewerb gemeinsam und teilen die Erträge gemeinsam unter sich auf. Dabei steigt die Vermarktbarkeit des Wettbewerbs, wenn möglichst viele der Teilnehmer interessante und schlagkräftige Mannschaften am Start haben, die spektakulären Fußball spielen und für tolle Begegnungen sorgen. Daher finde ich die Bereitschaft der Clubs, individuelle Einschränkungen hinzunehmen, wenn ihnen das global wieder nützt, vollkommen einleuchtend. Hat dich das so sehr gewundert?

Dann haben wir hier aber schon eine abweichende Annahme, denn ich sehe nichtmal, dass es aktuell 15-20 „große“ Vereine gibt. Für mich sind die großen Vereine nur die erweiterten Titelanwärter mit starken Finanzen, die eben auch die Zuschauer anziehen. Real, Barcelona, Juventus, PSG, Bayern, Liverpool, City, …

Der Marktwert ist mir da zu wirtschaftlich orientiert. Der ist sehr stark verschoben in Richtung junger Spieler, da diese mehr Wiederverkaufswert haben und eher das Potential bewertet wird als die aktuelle Stärke. Müller kommt da erst um Platz 250 herum, auch Ronaldo zum Beispiel nicht in den Top 100… Die ziehen aber garantiert mehr Zuschauer an und erhöhen die Titelchancen für ihren Verein stärker, als ein 18-jähriger Camavinga.

Ich hab mal die Top 100 der FIFA21-Wertungen durchgesehen. Ich kann damit zwar sonst aus sportlicher Sicht nicht viel anfangen, aber da wir ja auch über Einschaltquoten und Beliebtheit sprechen, passt dieser „popularity bias“ dann doch wieder.

Stand ca. September 2020, seitdem haben also Spieler gewechselt und die Platzierungen wären inzwischen ebenfalls wieder deutlich anders (Haaland hier erst auf Platz 100 :eyes:)

Das trifft es eigentlich ganz gut. Die Top 8 hier sind doch die Vereine, die man sich auch als Fan anderer Teams zusätzlich ansieht, und diese Teams untereinander sind die absoluten Top-Partien. Alles dahinter waren dann schon eher die Underdogs oder sogar nur in der EL zu finden.

Und, oh Wunder, diese Teams waren in der letzten CL-Saison auch die Gruppensieger - außer Barcelona, die in Gruppe G nur Zweiter hinter Juve wurden. 6/8 waren unter den letzten Acht.

Bei Atlético und Manchester United sehe ich noch die größten Chancen sich (wieder) bei den Großen festzusetzen. Dafür könnten aber z. B. Juve, Chelsea, Bayern auch wieder den Anschluss verlieren (Chelsea eher sportlich, falls sie z. B. Tuchel rausschmeißen, Bayern eher finanziell).

Ohne Juve und Bayern hätten wir schon nur noch eine Top 6, dann ist der Weg zur Top 4 auch nicht mehr weit. Zumindest näher als zur Top 15-20.

# Verein (Anzahl Top 100 Spieler) Platzierungen
1 Liverpool (11) 7, 9, 10, 12, 37, 41, 43, 44, 55, 66, 76
2 FC Barcelona (9) 1, 11, 38, 46, 53, 61, 81, 89, 91
3 Manchester City (9) 4, 15, 23, 25, 39, 42, 69, 92, 97
4 Real Madrid (9) 13, 16, 17, 18, 20, 22, 29, 56, 60
5 Juventus (7) 2, 24, 40, 47, 77, 90, 98
6 PSG (7) 5, 8, 33, 45, 52, 64, 96
7 FC Bayern (6) 3, 14, 19, 49, 63, 83
8 Chelsea (5) 26, 67, 72, 74, 78
9 Inter (5) 27, 65, 85, 95, 99
10 Tottenham (4) 21, 35, 48, 94
11 Manchester United (4) 32, 51, 59, 82
12 Borussia Dortmund (4) 34, 57, 73, 100
13 Atlético (3) 6, 36, 86
14 Napoli (3) 28, 80, 87
15 Lazio (3) 30, 68, 75
16 Arsenal (2) 31, 88
17 Leicester (2) 50, 79
18 Atalanta (1) 54
19 Real Sociedad (1) 58
20 BMG (1) 62
21 Lyon (1) 70
22 AC Milan (1) 71
23 Villarreal (1) 84
24 RB Leipzig (1) 93
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FIFA21! :grinning_face_with_smiling_eyes: Sehr originell, gefällt mir.

Na dann sind wir doch mit der tatsächlichen Aufteilung der Stars auf die Top-Clubs im Prinzip ziemlich nah an meiner für die UEFA als ideal diagnostizierten Verteilung, vielleicht sogar noch krasser, als ich sie heute morgen geschildert habe.

Von deinem Ideal von 5 pro Mannschat wie in deiner Variante 2 sind wir jedenfalls sehr weit entfernt, und du würdest mir doch zustimmen, dass der UEFA diese gegenwärtige Situation deutlich gelegener kommt als deine Variante 2, oder nicht?

Nein, mein Standpunkt war, dass Variante 2 für die UEFA besser wäre. Denn 20 Teams auf einem ähnlichen Level bedeutet mehr Top-Spiele, bessere Einschaltquoten auch in der Gruppenphase etc.
Bei nur 8 Top-Clubs (oder eben noch weniger) wird es erst ab Viertel- oder Halbfinale interessant, wenn diese Mannschaften aufeinander treffen. Meistens schaut man doch sein eigenes Team, und dann noch ein paar der interessanteren Partien. Barcelona gegen Ferencváros hab ich mir zumindest in der Gruppenphase nicht angeschaut :woman_shrugging: Die Gruppen mit Real, BMG, Inter bzw. PSG, ManUnited, RBL waren dagegen doch richtig spannend, weil ausgeglichener.
Ich glaube halt nicht, dass es Leute gibt, die sagen „CL schau ich momentan nicht weil mir das Niveau zu niedrig ist, aber wenn Man City und PSG jeder noch 5 Top-Transfers holen, dann schau ich mir das an, wenn die gegeneinander spielen“. Eher schenkt man sich doch die Spiele, die man vorher als sehr einseitig einschätzt.

Ich habe deinen Standpunkt schon verstanden. :wink: Ich kann deine Argumentation auch nachvollziehen, aber wir haben uns jetzt beide sehr auf die Qualität der Spieler als wesentliches bzw. gar alleiniges Kriterium zur Beurteilung der „Größe“ eines Vereins kapriziert.

Das ist näherungsweise auch durchaus zweckmäßig um die Komplexität der Argumentation zu reduzieren, aber in der Realität gibt es immer noch einige Clubs, die wir als „groß“ bezeichnen würden (und für die wir in der Gruppenphase wahrscheinlich eher geneigt wären einzuschalten als für Ferencváros), obwohl sie weder aktuell nennenswert viele Stars unter Vertrag haben noch in der näheren Vergangenheit sportlich übermäßig erfolgreich waren, z. B. Milan, Napoli, Roma, Lazio, Arsenal, Marseille, Rangers, Celtic oder Valencia.

Zudem gibt es immer auch einige Clubs, die wir nicht als „groß“ bezeichnen würden (und die vielleicht auch nicht viele Stars in ihren Reihen haben), die aber aktuell aufgrund ihres aufregenden Spielstils und ihrer bemerkenswerten Erfolge in nächster Vergangenheit eine gewisse Zugwirkung beim Publikums erreicht haben, etwa Atalanta oder Leipzig, vielleicht auch Lyon.

Alles zusammengenommen dürfte man zu jedem beliebigen Zeitpunkt ungefähr auf die 15 bis 20 Clubs kommen, die aus Sicht der UEFA zur Maximierung der Aufmerksamkeit für die Champions League und damit ihrer Ertragschancen optimal sind.

Man wird ja jetzt sehen ob LaLiga das Club salary cap konsequent gegen Real Barca und Atletico durchsetzt oder ob wieder Ausnahmen gefunden werden.
Wenn LaLiga die drei großen Clubs in dem Griff bekommt sollte Uefa die 20-30 europäischen Top Clubs die an den internationalen Wettbewerben teilnehmen auch in den Griff bekommen können.

Nur um noch ein KPI reinzuwerfen, was einen Klub als Zuschauermagneten qualifizieren könnte: Anzahl der Mitglieder

Ein Manchester United hat, obwohl aktuell nicht vom Erfolg verwöhnt, mehr Mitglieder die sich deren Spiele anschauen als es ein RB Leipzig auf längere Zeit haben wird.