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Krawietz: Thiago? „Wer nicht sieht, dass das ein unglaublicher Fußballer ist, dem ist nicht zu helfen“
Kurz nach der Corona-Pause wechselte Thiago vom FC Bayern nach Liverpool. Er hatte keinen leichten Start und wurde anfangs mehrfach kritisiert. Mittlerweile ist er nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?
Krawietz: Thiago ist der fleischgewordene Ballbesitz - als habe er sechs Brüder, mit denen er die ersten zehn Jahre seines Lebens ausschließlich Fünf gegen Zwei gespielt hat. (lacht) Wer nicht sieht, dass das ein unglaublicher Fußballspieler ist, dem ist nicht zu helfen. Er hat sich bewusst dafür entschieden, genau in Liverpool eine neue fußballerische Herausforderung anzugehen. Jeder, der nach England und auch nach Liverpool kommt, stellt dann aber fest, dass es hier ein bisschen anders zur Sache geht: andere Spielweise, stärkere Liga, höhere Intensität in allen Spielsituationen.
Lagen seine anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten vor allem daran, dass er in den Jahren zuvor in Barcelona und München eine andere Art von Fußball gewohnt war?
Krawietz: Da möchte ich widersprechen. Das ist keine andere Art von Fußball, sondern es sind genau dieselben Ideen. Auch in Barcelona und München beschäftigt man sich damit, wie man den Ball möglichst schnell zurückholt, um ihn möglichst lange in den eigenen Reihen zu haben. Die Mentalität des englischen Fußballs zusammen mit der großen Qualität der in jedem Team vertretenen Weltklassespieler ergibt einfach nochmal einen Extra-Schub an Intensität. Dass wir dann in Liverpool die eine oder andere Besonderheit haben, wie wir im Detail verteidigen wollen, daran hat er sich anpassen müssen. Das geht über Kommunikation, Videostudium, Training. Das war jedoch ein ganz normaler Prozess, an dem er sich sehr aktiv beteiligt hat.
Sie sprechen von einem normalen Prozess, für viele englische Medien war der bereits frühzeitig vollzogen und das Urteil gesprochen: Thiago passe nicht zu Klopps Fußball.
Krawietz: Dass es aber um eben diese Details geht, ist völlig normal und genau das, was die Aufgabe ausmacht. Jeder, der in eine neue Mannschaft mit einer wie bei uns gewachsenen Struktur kommt, in der das Team seit Jahren mit demselben Trainer an diesen Details arbeitet, sieht sich damit konfrontiert. Dieser Prozess dauert mal länger und mal kürzer. Länger besonders dann, wenn für solche Anpassungen aufgrund der vielen Spiele so gut wie keine Trainingszeit zur Verfügung steht. Zusammen mit dem medialen Hype und dem Druck, unter dem alle stehen, erlaubt man solche Prozesse nicht mehr und fällt stattdessen sehr frühzeitig ein Urteil. Das ist für uns, die an der Materie arbeiten, natürlich totaler Humbug.