Der Politik- und Gesellschafts-Thread (Teil 4)

@cheffe: Danke für die Erklärung. Ich sehe das anders.

Ich würde eine politische Strategie gegen die AfD rein unter Nützlichkeitsgesichtspunkten bewerten: Führt sie die AfD weiter von der Macht weg?

Ich fürchte, dass eine Strategie, die auf verstärkte und offensiv vorgetragene Kommunikation gesellschaftspolitischer Positionen setzt, gerade den gegenteiligen Effekt hätte, insbesondere, wenn wie eine offensive Positionierung der CDU beinhaltet.

Denn wenn die CDU sich gesellschaftspolitisch offensiv positioniert und diese Position ist in der Nähe der AfD, warum dann nicht gleich das Original wählen? Und wenn sie sich gesellschaftspolitisch offensiv positioniert und diese Position ist näher zur Mitte als zur AfD (etwa wie es bei einer aktiven Umarmung der Regenbogenflagge der Fall wäre, wie Du sie vorschlägst), dann droht sie noch mehr konservative Wähler zu vergraulen und an die AfD zu verlieren, als sie es in den letzten Jahren ohnehin schon getan hat, denn wo ist dann noch die Unterscheidbarkeit von den Grünen und ggf. der FDP?

Auch jenseits der CDU haben die etablierten Parteien beim Kampf gegen die AfD durch ein betontes, offensives Messaging auf der gesellschaftspolitischen Ebene von Politik nicht viel zu gewinnen. Denn die AfD hat dort in vielen Fragen ein Alleinstellungsmerkmal:

  • Gendern: dagegen
  • Gleichstellung von was auch immer: dagegen
  • Migration: dagegen
  • Integration, Inklusion: dagegen
  • Gesellschaftliche Liberalisierung in welcher Form auch immer: dagegen
  • Offenheit für Neues: dagegen

Dagegen, dagegen, dagegen. Die AfD hat den politstrategischen Vorteil, dass sie bei allen gesellschaftspolitischen Fragen fast immer als einzige Partei dagegen ist, oder zumindest substantiell anders als die anderen Parteien.

Wenn man daher als die etablierten Parteien in der politischen Kommunikation in Richtung der Bevölkerung eine Schwerpunkt auf gesellschaftspolitischer Aspekte legt und dabei insbesondere die eigene Progressivität immer wieder hervorhebt (wie Du Dir das wünschst) – sei es durch Regenbogenflaggen auf dem Reichstag, durch demonstratives Gendern, durch die Unterstützung von CSD-Paraden absichtlich in rechten Brennpunkten, durch Priorisierung von Transgender- und Cannabis-Politik und Ähnliches mehr –, treibt das nur noch mehr Wähler in die Arme der AfD, die bei so etwas wie Gendern, Geschlechterwechsel auf Antrag oder offenen Grenzen für alle einfach nicht mitmachen wollen und auch keinen Bock haben, durch progressive gesellschaftspolitische Kommunikation in their face sich ihre damit implizierte Rückständigkeit den ganzen Tag lang unter die Nase reiben zu lassen („dann eben AfD. Die einzige Möglichkeit, wie ich mich gegen den Wahnsinn noch verteidigen kann“).

Nein, die kommunikative Betonung der gesellschaftspolitischen Dimension im Kampf gegen die AfD ist eine Verliererstrategie, die die AfD stärken statt schwächen wird.

Ich bin nach wie vor im Team „gute Politik“: Mieten und Wohnen, Lohnnebenkosten, auskömmliche Löhne, effektive soziale und technische Infrastruktur, Bildung, vor allem in sozialen Brennpunkten, Wirtschaftswachstum, funktionierende Kommunen, …

Wenn die Menschen morgens aus dem Haus gehen können und sich keine Sorgen machen müssen,

  • ob das Kind in der Schule etwas lernen kann, weil alle Klassenkameraden Deutsch sprechen,
  • ob sie mit ihrem Einkommen die nächste Mieterhöhung überstehen,
  • ob die Bewilligung des Antrags auf Pflegegeld für die Mutter länger als drei Monate dauert,
  • ob der Termin beim Augenarzt fünf Monate Vorlaufzeit hat,
  • ob sie von Ihrer Rente einmal werden leben können,
  • ob das Dach ihrer Sporthalle, in der sie Dienstagsabends Fußball spielen, schnell repariert wird,
  • ob jetzt auch noch das Grillen im Park verboten wird,

…dann wird auch die AfD schon bald wieder deutlich schwächer werden.

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Ich habe mir inzwischen den Auftritt von Frau Brosius-Gersdorf bei Herrn Lanz gestern Abend in der Mediathek angeguckt.

Bis auf ihre ausweichende Antwort auf die Frage nach den zwei gleichlautenden Textstellen in ihrer Arbeit und der ihres Mannes, in der sie sich nicht erklären wollte, war das ein überaus überzeugender Auftritt einer ganz offenkundig hochintelligenten, sehr eloquenten, klugen, reflektiert abwägenden und fachlich versierten Frau (was selbst ich als völliger Laie an ihrer Art und Weise der Argumentation und Erklärung erkennen konnte).

Diese Frau ist verkörperte Kompetenz und Intelligenz. Jetzt bin ich fast schon aus Prinzip der Meinung, dass diese Frau auf jeden Fall an das Bundesverfassungsgericht gewählt werden sollte, einfach weil jemand mit solcher Intelligenz und Klugheit jeder Organisation nur guttun kann.

(Dass die Wahl außerdem eine megamäßige Schelle für die niederträchtigen und ehrabschneidenden rechtspopulistischen Internethetzer wäre, die sie bis hin zu Todesdrohungen angegriffen haben, wäre dabei ein netter Bonus.)

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Kein Wort hinzuzufügen! Ging mir vorhin genauso im ReLive von Lanz. Tolle und mutige Frau, die felsenfest bei ihrem Standpunkt bleibt, dass sie als Juristin und Wissenschaftlerin nicht zu politischem Taktieren bereit ist. Chapeau - können wir mehr von gebrauchen!

(Den Lanz meide ich sonst eher wie die Pest… aber ich muss endlich akzeptieren, dass sein Meinungsbildungspotential inzwischen dem der BLÖD ernsthafte Konkurrenz macht. Watt bei Lanz besprochen wird, beschäftigt die Republik. Dagegen is offenbar kein Kraut gewachsen…)

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Genau das denke ich nicht. Wie ich in meinem Post andeutete, ist so etwas wie eine Regenbogenflagge für eine breite Mehrheit völlig akzeptabel. Es gab doch vor etwa einem Jahr auch diesen Soziologen, der diesen Bestseller geschrieben hat, den Namen hab ich grad nicht parat, in dem er genau untersucht hat, inwieweit Deutschland wirklich als gespaltenes Land durchgeht. Und zu seiner Überraschung (und auch der seiner Leser) stellte er fest, dass es bezüglich vieler Themen eine sehr breite Mitte gibt, die sich grade in gesellschaftlichen Fragen sehr gut einigen kann. Denn wie gesagt, es hat ja Gründe, warum sich gesellschaftspolitisch die Union über Jahre zunehmend liberalisiert hat - sie folgten einfach dem Zeitgeist und einer natürlichen Entwicklung. Angela Merkel hat das erkannt.
Die Sorte konservativer Wähler, die gesellschaftspolitisch konservativer sind als es die Union unter Merkel war, sollte die Union nicht aufwendig adressieren, zumal jene, die wegen solcher Belange bereit sind, zur AfD zu wechseln. Diese Gruppe ist meines Erachtens nicht annähernd so groß wie diejenigen, die du mit einem gegenteiligen Kurs zurück in die Vergangenheit verprellst.
Und was die Unterscheidbarkeit zu Grünen oder FDP betrifft: da gibt es bei Gott genug Stoff. Aber nicht im Bereich des - wir erinnern uns an unsere Eingangsfrage - Kulturkampfes: welcher in weiten Teilen gesellschaftspolitische Facetten hat, und wo meiner Meinung nach die AfD am leichtesten konfrontiert werden kann.

Da gebe ich Dir Recht. Und das ist auch gut so, denn genau das ist mein Punkt:
Es ist für den Kampf gegen die AfD elementar, sie bloßzustellen und als alleinige Unvernunft und Rückständigkeit zu entlarven. Dies geht dann nicht, wenn eine konservative Partei wie die Union den Eindruck erweckt, sie stünde bei gesellschaftlichen Fragen näher bei der AfD als bei den demokratischen Parteien.

Weißt Du, @Alex, es ist schon seltsam:
Wir scheinen abwechselnd ein positives wie negatives Menschenbild zu haben, abwechselnd optimistisch oder pessimistisch auf die Bevölkerung zu schauen.
Du hast schon oft erwähnt, wenn man Dich des Verharmlosens der rechten Gefahr (oder jeglicher radikalen Bedrohung) bezichtigte, dass Du an die prinzipielle Vernunft der Menschen glaubst, auch an die Stabilität unserer liberalen Demokratie.
Ich bin da gerne skeptischer.
Andererseits vermutest Du offenbar, dass die Leute nicht in der Lage sind, die Borniertheit und kreuzdämliche Unattraktivität der AfD wahrzunehmen. Du glaubst nicht, dass die AfD der Demokratie gefährlich werden kann, hältst es aber andererseits für ausgemacht, dass sich die Union nicht leisten kann, auf die Erzkonservativen unter uns (wahlkampftechnisch) zu verzichten.
Ich bin mir nicht sicher, ob das so gut zusammenpasst - aber vermutlich denkst Du das Gleiche von mir.

Ach ja, die gute alte „gute Politik“.
Nun, da bin ich jetzt wieder der Pessimist.
Was lässt Dich vermuten, dass die Leute überhaupt noch in der Lage sind zu erkennen, wenn „gute Politik“ gemacht wird? Abgesehen davon, dass es sich heute und in Zukunft leichter gesagt als getan darstellen wird, eine solche hinzubekommen angesichts vieler Krisenherde, auf die man wenig Einfluss hat -:
Ich bin überzeugt (ob es mir gefällt oder nicht), heutzutage werden Wahlen gewonnen, indem man die bessere Erzählung hat, die man knackig vermitteln und bewerben kann.
Oder wie erklärst Du Dir, dass eine selten dämliche Politik, die der eigenen avisierten Klientel schadet, trotzdem keinerlei Vertrauensverlust für sämtliche Rechtspopulisten bewirkt? Weil es die Leute nicht mehr checken. Die Maßstäbe von „guter Politik“ sind aus dem letzten Jahrzehnt, wenn nicht aus dem letzten Jahrhundert. Die Welt ist zu komplex geworden. Und die Ängste und die Wut derer, die die Welt nicht mehr verstehen, wird auch nicht deswegen kleiner, weil es eine Regierung schafft, die Mieten im Zaum zu halten oder das Grillen zu erlauben.

Und auch Clintons It’s the economy, stupid ist längst nicht mehr der Weisheit letzter Schluss. Dafür sind die Trigger, die von den Radikalen ausgeworfen werden, schon viel zu mächtig. Oder findest Du nicht auch auffällig, dass in Umfragen stabil der Weltuntergang ausgerufen wird, gleichzeitig aber viele betonen, dass sie persönlich ganz optimistisch und zufrieden sind mit ihrem Leben?

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Clara Bünger fasst in einem detaillierten Video noch einmal den Hergang der Demontage von Brosius-Gersdorf zusammen und bestätigt die Analyse, dass die Kampagne nicht von der AfD initiiert wurde. Diese nutzte den Verlauf lediglich in der zweiten Woche geschickt für ihre Zwecke…

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Diese Herleitung verstehe ich nicht. Kannst du das nochmal erläutern?

Auch da bin ich nicht sicher, ob ich das richtig verstehe. Wieso sollten Frauen gehindert werden?

Um meine Beiträge nochmal zu präzisieren:
Mir geht es nicht darum, das ungeborene Leben für nicht schützenswert zu erklären. (Wobei dann ein weiterer Komplex zu klären wäre, nämlich wo und wann man der Meinung ist, „Leben“ als solches zu bezeichnen - eine schwierige, fast philosophische Frage, da es immer auch mit Bewusstsein zu tun hat.)

Nur ein Gedankenexperiment:
Angenommen, die rechtliche Lage wäre so, dass im Falle einer Abtreibung nicht die Frau (oder nicht nur die Frau) - abseits der weiter bestehenden behandelnden Struktur - unter den nämlichen juristischen Paragraphen fiele, sondern: der Erzeuger, der Mann.
Es wurde ja schon erwähnt, dass man die Interessen und die Teilhabe des Erzeugers nicht locker beiseite schieben dürfe oder solle. Nun, in diesem Gedankenexperiment wäre das hiermit erledigt: Im Falle einer Abtreibung ist also der Mann der potentielle nominelle Straftäter.
Wie würde sich das auf die Meinungen und Einschätzungen auswirken? Ich finde, das ist eine interessante Frage mit ebensolchen Antworten.
Eine mögliche Erkenntnis wäre diese:
Der §218 wäre längst in der jetzigen Form abgeschafft.

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In der Union ärgert man sich über ihren starken Auftritt bei Lanz: jetzt mache sie eine dem Amt nicht angemessene Kampagne für sich. Fazit des Kommentars: zur Verteidigung ihrer Reputation war das wichtig, aber dem Amt als Verfassungsrichterin ist sie damit ferner denn je.

Aus der Dlf App | Kommentare und Themen der Woche | Frauke Brosius-Gersdorf – Kommentar: Von den politischen Mühlen zerrieben Brosius-Gersdorf: Starker Auftritt bei Markus Lanz

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Hab ich vllt nicht gut genug formuliert. Also folgendes Szenario: Frau wird schwanger und ist erst mal unsicher oder will das Kind evtl. behalten. Vom Partner/Familie wird sie hingegen genötigt abzutreiben und ihr wird bspw. mit ausbleibender finanzieller Unterstützung, Rauswurf aus der Wohnung, etc. gedroht. Ist ja jetzt nicht das unrealistischste Szenario.

Ohne Beratungspflicht geht sie vllt. eingeschüchtert zum nächsten Arzt und lässt unter dem Druck schnell abtreiben, obwohl sie noch unsicher war oder eigtl gar nicht wollte.

Mit Beratungspflicht muss sie aber zu einer neutralen Beratung auf die der Partner keinen Einfluss hat. Dort wird ja nicht nur über die Abtreibung an sich, sondern auch über staatliche Unterstützungsleistungen, Rechte ggü. dem Vater etc. informiert und sie kann dann eher eine eigenständige Entscheidung treffen.

Eine Beratungspflicht kann in solchen Fällen zumindest mal der erste Anlaufpunkt sein um Frauen helfen zu können, den sie sonst nicht wahrnehmen würden.

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Ich verstehe deinen Gedanken und finde ihn auch grundsätzlich sympathisch. Aber dann denke ich mir, dass der Frau aus deinem Beispiel doch viel weitgehender geholfen werden müsste. Offensichtlich lebt sie in einer wortwörtlichen Leibeigenschaft. Was für ein gesellschaftliches Armutszeugnis wäre das, wenn diese Frau erst auf eine ungeplante Schwangerschaft warten müsste, bis sie ein (hoffentlich) neutrales Beratungsangebot wahrnehmen könnte! Als politische Kalkulation des Gesetzgebers wäre das schlimmer als zynisch.

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Das mag sein, aber mein Punkt war ein anderer: Unter Nützlichkeitsgesichtspunkten (was hält die AfD am besten von der Macht fern) halte ich eine politische Strategie, die gesellschaftspolitische Themen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellt, grundsätzlich für den falschen Ansatz, und zwar nicht nur die CDU, sondern für alle Parteien und unabhängig davon, ob die darin hervorgehobenen Inhalte liberaler oder weniger liberal sind.

Auf welchem Ticket sind die rechtspopulistischen Parteien überall in Europa groß geworden? Es ist nicht das Ticket „Wir bauen die besseren Brücken“ oder „Mit uns gibt’s mehr Wirtschaftswachstum“ (der einzige Populismus, der mit „harten“ Themen erfolgreich ist – halbwegs erfolgreich –, ist der linke Populismus, der „die Reichen enteignen“, „Unternehmen verstaatlichen“ und „Milliardäre verbieten“ will). Aber die Rechten setzen und gewinnen immer mit dem gesellschaftspolitischen Ticket, dem „Kulturkampf“-Ticket: Gendern, Werteverfall, kultureller Niedergang, Verweichlichung der Gemeinschaft, Überfremdung, Übervorteilung der „Urbevölkerung“ zugunsten volksfremder… ich hätte fast „Schädlinge“ geschrieben – ich habe es gestern bereits ausgeführt.

Mit sowas wie dem offensiven Einsatz von Regenbogenflaggen

  • begibst Du Dich auf deren Spielfeld
  • bestätigst Du all deren Vorurteile
  • stellst Du kostenlos politische Munition für den Kampf gegen Dich bereit.

Warum sollte es Menschen, die sich über die Regenbogenflagge aufregen, überzeugen, wenn man die Regenbogenflagge noch mehr zeigt? Wie soll man Menschen, die sich an dem Gendern stören, für sich gewinnen können, wenn man noch mehr gendert? Usw.

Ich verspreche Dir nackt in die Hand: Eine „Kulturkampf“-Strategie von links gegen die Rechten wird. nicht. funktionieren.

Es ist genau die Militarisierung solcher Themen, womit die Rechten groß geworden sind. Sie auf diesem Spielfeld zu stellen zu versuchen, wird sie stärken, nicht schwächen. Kontraproduktiv bis zum Dorthinaus.

Nein, nix „Vermutung“. Empirie. Ist die AfD in den letzten 10 Jahren gewachsen oder nicht? Ist Dir das entgangen?

Wo ich Dir recht gebe: Auf dem „Kulturkampf“-Ticket geht es nicht unbegrenzt nach oben. Irgendwann kommt man damit an harte Grenzen, weil für die verbliebenen, bis dahin noch nicht zur AfD gewechselten Leute dann eben doch die Qualität der programmatischen Inhalte oder die erwartete Regierungsfähigkeit einer Partei von Interesse ist. In beiden Kategorien hat die AfD nicht so wahnsinnig viel anzubieten.

In meinen Augen ist der einzige Weg, die AfD wieder kleiner zu machen, „gute Politik“. Gute Politik allein mag vielleicht nicht hinreichend sein, damit die AfD wieder schrumpft, aber sie ist jedenfalls notwendig. Ohne gute Politik wird es nicht gehen. Und gute Politik mit Kulturkampf ist schlechter als gute Politik ohne Kulturkampf.

P. S. Leider lassen sich auch „harte“ politische Themen populistisch mit Bedeutung aufladen und gegen die Mitte-Parteien ins Feld führen. Wenn mit dem ETS 2 im Jahr 2027 Gebäude und Verkehr in den EU-CO2-Zertifikatehandel einbezogen werden und fossiles Heizen und Treibstoff schnell deutlich teurer als heute sein werden, dann hat das Abschaffen des „teuren Klimawahnsinns“, mit dem „das deutsche Volk für einen globalen Schwindel vorsätzlich verarmt wird“ eine ausgezeichnete Chance, die Migration als das Mobilisierungsthema Nummer eins für die AfD abzulösen.

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Eben das!!!
Ich weiß nicht wie sich manche hier so ein Beratungstermin vorstellen?
Aber da steht kein Richter der einen verurteilen will

Ich kann Dir teilweise folgen. Allerdings: neulich, als soeben die Richterwahl gescheitert war, schrieb ich „Auf in den Kulturkampf!“ Aber nicht mit frischem Kampfesmut, sondern in sarkastischer Grundierung. Sollte heißen: es sind die Feinde des demokratischen Rechtsstaats, die den Kulturkampf betreiben, ob es uns nun gefällt oder nicht.

Unter diesem Blickwinkel stellt sich die Frage nach dem eigenen Vorgehen folglich etwas differenziert. Es geht nicht darum, ein Feld, auf dem man - so Deine These - nicht gewinnen kann, nicht mutwillig zu betreten. Sondern darum, wie man sich zu diesem auch ohne eigenes Zutun stattfindenden Kulturkampf stellt. Ihn ignorieren? Auf möglichst kleiner Flamme abzuwürgen versuchen? Oder ihn offensiv à la @cheffe führen? Wahrscheinlich spricht gegen jede dieser Möglichkeiten ungefähr genauso viel wie für sie.

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Ich würde vermuten, wir beide befinden uns in einem gemeinsamen Lager, nämlich dem der Demokratie und einer freiheitlichen Gesellschaft.

Und doch gebe ich Dir Brief und Siegel, dass wir beide unter „guter Politik“ in vielen Bereichen nicht das Gleiche verstehen.

Nein, @Alex, da kommen wir nicht zusammen.
Wie @jep korrekt feststellt, ist es nicht so, dass ich besonders scharf darauf bin, einen Kulturkampf zu führen. Ich bin nur der Überzeugung, dass wir ihm nicht ausweichen können, weswegen wir uns stellen müssen.

Schon witzig:
Ich habe den Eindruck, dass Du meine Gedanken und Thesen immer als leicht absurd oder abseitig wahrnimmst. Ich finde das eigentlich nicht, ich kenne viele Menschen, die so denken.
Und justament heute lese ich in der SZ einen Beitrag eines von mir hochgeschätzten Journalisten, Nils Minkmar. Anders als wir wendet er sich an die Adresse der Sozialdemokratie - doch was er schreibt, klingt sehr verdächtig genau nach dem, was ich Dir zu vermitteln suchte (vielleicht kann @jep den Artikel verlinken, ich weiß leider nicht, ob und wie das geht). In Auszügen:
„Die Zeit verlangt eigentlich nach einer gesamteuropäischen, linksliberalen Formation und einer Führung, die Vielfalt und Diversität abbildet und nach einer Allianz mit der kreativen Avantgarde in Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft sucht.“
„Die besondere Entwicklung vergangener Jahre besteht sogar darin, dass Menschen auch direkt gegen ihre materiellen Interessen wählen, (…) um ihre Champions im Kulturkampf zu stärken.“
Anhand des Aufsteigers der Demokraten in Amerika, Zohran Mamdani könne man studieren, „…was die Verbindung von kultureller Ambition und Verteilungsthemen möglich macht“.
Und Minkmar sieht eine Chance, nach einem Jahrzehnt dominanter rechter Themen in den Debatten, „(…) sich wieder in die Konkurrenz um eine kulturelle Hegemonie der Aufklärung zu begeben, ohne die keine offene Gesellschaft lange bestehen kann.“

Moderne Politik ist ein Verdrängungswettbewerb um Deutungshoheiten, ob es einem rational veranlagten Menschen nun gefällt oder nicht.

Natürlich, das meinte ich doch damit, als ich sagte, die radikale Rechte findet immer Themen, wo sie das Spielfeld, wie Du es nennst, benutzen kann. Heute Migration, morgen Klimawandel. Es werden keine spezifischen Inhalte bespielt, sondern emotionale Zustände.
Und genau deswegen verstehe ich nicht, wieso Du immer wieder implizierst, es gäbe eine wie auch immer geartete „gute Politik“, die der AfD das Wasser abgräbt. Als käme es auf Inhalte und Sachpolitik an! Diese Leute sind doch sogar fähig, wissenschaftliche Tatsachen zu ignorieren und das Gegenteil zu behaupten! Zeig mir ein Land oder einen Politiker, der die radikale Rechte durch vernünftige Sachpolitik zurechtgestutzt hat!

Das ist pure Polemik.
Niemand muss gendern, die Sache ist längst auf dem Rückzug und wird von niemandem mehr groß gemacht außer von den Rechten. Es war ja auch eine wilde Idee, auch sprachlich mehr Inklusion zu wagen.
Und ich verlange nicht, die Regenbogenflagge noch mehr zu zeigen - aber was ich verlange, ist, sie nicht aktiv abzuhängen und es noch öffentlich zu betonen, wie es Frau Bundestagspräsidentin so gut gefallen hat! Genau durch solche Anbiederungen stärkst du das Original, das ist klar - zu glauben, man könnte den Kulturkampf führen, indem man sich der AfD annähert, das ist der Fehler!
Wir (Demokraten) müssen uns unterscheiden und (metaphorisch) Flagge zeigen - dass man problemlos divers, tolerant, menschenfreundlich, konservativ, liberal und progressiv zugleich sein kann.

Und zuletzt nochmal zu Deinem Postscriptum:
Was wäre denn dann Dein Vorschlag, diesem Dilemma zu entkommen?
Soll man das mit dem Klimaschutz mal für ein paar Jahre vergessen, weil man den Triggerpunkten der AfD nicht entkommen kann? Wie sähe dafür eine „gute Politik“ aus?

So, wie es aussieht, hat ja nicht nur die Ampel Freude daran gehabt, „schlechte Politik“ zu machen. Handwerkliche Fehler, viel Streit.
Für die paar Tage, die die neue Regierung an der Macht ist, haben sie es bemerkenswert gut hinbekommen, dass sich nichts geändert hat diesbezüglich. Die wollen wohl auch keine „gute Politik“ machen. Was nun, @Alex? Vielleicht doch mal für die kulturellen Werte einstehen, die uns Demokraten von der AfD unterscheiden?

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Bitte sehr, wie gewünscht … :wink:

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Auszug aus einem Kommentar von Karoline Meta Beisel (SZ-Online von heute):

„Auch wenn man es inhaltlich falsch finden mag: Der einzige Weg raus aus der aktuell so verfahrenen Lage ist es, eine andere Person vorzuschlagen. Denn was wäre die Alternative? Union und SPD würden weiter erbittert streiten, die Sozialdemokraten bekämen weiter Schützenhilfe von den Grünen und der Linken. Und der Graben mitten durch die Mitte, zwischen progressiven und konservativen Demokraten, würde umso tiefer, je länger dieser
Streit andauerte – was im Übrigen genau das ist, was die AfD kürzlich in einem Papier als strategisches Ziel schwarz auf weiß festgehalten hat. Und die Union würde wohl so oder so nicht mehr dazu zu bewegen sein, Brosius-Gersdorf doch noch ins Amt zu wählen.“

Das angesprochene AfD-Strategiepapier wurde federführend von Beatrix von Storch erstellt, die dafür ihre guten Kontakte in die USA nutzen konnte. Zentraler Punkt ist darin das Ziel, SPD und CDU immer weiter auseinander zu treiben, indem man alles, was links von der CDU ist, konsequent als linksradikal brandmarkt, die Union zur Distanzierung zwingt und sie immer weiter nach rechts zieht.