Der Politik- und Gesellschafts-Thread (Teil 3)

Was den Verbotsantrag betrifft, sehe ich die Sache genauso wie @Petex: Ein politischer Akteur, der unsere staatliche Grundordnung, wie sie in der Verfassung beschrieben steht, umstürzen oder abschaffen möchte und dieses Ziel mit einiger Wahrscheinlichkeit auch erreichen kann, muss gestoppt werden, bevor es zu spät ist. Andere Länder kennen das verfassungsrechtliche Instrument des Parteienverbots nicht, wir aber schon. Wenn die AfD tatsächlich so gefährlich für den Fortbestand unserer staatlichen Verfasstheit ist, wie die Experten sagen, dann ist es für die dazu ermächtigten Organe geradezu zwingend geboten, dieses Mittel so schnell wie möglich zu nutzen und den Verbotsantrag einzuleiten, und zwar unabhängig davon, ob sich bestimmte Wähler dadurch möglicherweise düpiert oder um ihre Stimme betrogen fühlen könnten. Lieber enttäuschte Wähler als ein umgestürzter Staat. Diese ganzen praktischen Argumente (wie z. B. auch das der „carte blanche” für die Partei im Misserfolgsfall) überzeugen mich alle nicht.

Was die tatsächliche Gefährlichkeit der AfD angeht, bin ich wahrscheinlich weniger besorgt als viele andere. Wenn sie jedoch tatsächlich so gefährlich ist, wie die Experten sagen, wäre es geradezu abenteuerlich, nicht so früh wie möglich alle verfassungsmäßigen Mittel zu nutzen, um sie so schnell wie möglich zu verbieten. (Übrigens, dass die Einleitung des Verbotsantrages bisher noch nicht erfolgt und als Vorhaben insgesamt hoch umstritten ist, sagt implizit viel über die tatsächliche oder zumindest wahrgenommene Gefährlichkeit der Partei aus: Je gefährlicher die Partei ist, desto weniger Gewicht sollten dem Verbotsantrag entgegenstehende Sekundärargumente haben, desto einfacher sollte die Beweisführung vor Gericht sein und desto höher sollte auch die Motivation der zuständigen Organe sein, den Verbotsantrag so schnell wie möglich einzuleiten, um die Republik zu retten. Aber es passiert nicht. Conclusio: So gefährlich kann die AfD nicht sein.)

Ist Dir eigentlich bewusst, was Du hier forderst? Du forderst im Prinzip die Wiedereinführung der Zensur (auch wenn Du Gegenteiliges behauptest) – und zwar nicht nur zur Bekämpfung radikaler Parteien, sondern auch zur Bekämpfung anderer, von Dir nicht näher bestimmter, „Gefahren“. Die Zielbildreferenz, auf die diese Form der Regulation von Dir vielleicht nicht so beabsichtigt, aber effektiv hinauslaufen würde, hast Du dankeswerterweise gleich selbst genannt: den autoritären Staat.

Wie stellst Du Dir das vor? Wie stellst Du Dir Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Medienfreiheit im digitalen Raum vor, wenn all das unter dem Vorbehalt staatlicher Kontrolle zur Abwehr von „Gefahren“ steht? Welche Gefahren das sind und welche Meinungsäußerungen damit verboten oder reguliert sind, ändert sich vermutlich von Legislaturperiode zu Legislaturperiode, sodass mal das eine und mal das andere gesagt werden darf?

Aber wenn dem so ist, was machst Du dann, wenn die nächste Regierungskoalition aus Parteien besteht, deren Kommunikationsverbote nicht Deinen Vorstellungen entsprechen? Was machst Du, wenn man plötzlich nicht mehr über Horrorfilme schreiben darf, weil das die zarten Gemüter von Kindern schädigen könnte? Was machst Du, wenn die Kommunikation über Frauenrechte verboten wird, weil das zur Entmännlichung der Gesellschaft beitrüge?

Was machst Du, wenn die nächste Regierung alle Kommunikation im digitalen Raum unterbindet, die ihrem Ansehen schaden könnte?

In der Demokratie trägt die Zensur – oder, falls Dir dieser Begriff nicht gefällt, eine öffentliche Meinungsäußerung, die immer unter dem Vorbehalt staatlicher Approbation steht –, so wohlmeinend und mit guten Absichten sie auch eingeführt werden mag, immer die Saat des Umschlags in das Schreckensbild in sich, das sie eigentlich verhindern möchte: den autoritären Staat, der die Äußerungsmöglichkeiten seiner Bürger einschränkt, sie gängelt, kontrolliert und und sich als Regierung gegen seine eigene Abschaffung immunisiert.

Ich sehe bereits viele der bestehenden Versuche, digitale Kommunikation zu regulieren, kritisch, bin aber Pragmatiker genug, um in vielen Fällen den Mehrwert zu erkennen. Grundsätzlich kann die Antwort auf „schlechte Kommunikation“ meines Erachtens aber nicht „regulierte Kommunikation“ sein, sondern nur Bildung, wenn ich Idealist bin, oder ein achselzuckendes „Tja, das ist eben der Preis der Freiheit”, wenn ich Realist bin.

In diesem Fall bin ich Realist: Lieber habe ich eine völlig zerstörte Internetkommunikation und lebe dafür in einer freien Gesellschaft, als dass ich eine schön geordnete, wohlerzogene Internetkommunikation habe und dafür in einer Gesellschaft lebe, die die Saat der Abschaffung jeglicher Freiheit bereits in sich trägt.

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