Danke, ja, genau richtig.
Die Logik der Abschreckung, das „Auf einem Massengrab kann man keine Siegesfeiern veranstalten“, das „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter“ funktioniert nur, wenn auch der Erste nicht sterben will.
Putin weiß, dass, wenn er den Knopf drückt – und ich spreche hier nur von einem strategischen Erstschlag gegen den Westen, nicht von so etwas wie einem taktischen Einsatz einer Atombombe über der Ostsee oder dem Schwarzen Meer zur Einschüchterung des Westens, das wäre noch einmal anders zu bewerten –, 60 Minuten später auch Moskau und St. Petersburg zu nuklearer Asche reduziert sind.
Aber was ist, wenn Putin das egal ist?
Was, wenn Putin aus irgendwelchen Gründen egal ist, was mit Russland (und der Welt) passiert, wenn er die Bombe zündet, wenn ihm sogar egal ist, was mit ihm persönlich passiert? Was, wenn Putin, konfrontiert mit einer vernichtenden Niederlage in der Ukraine oder wenn bei ihm irgendwelche anderen Triggerpunkte erreicht sind, bereit ist, eine Art „nuklearen Seppuku“ durchzuführen? Abtreten, aber Abtreten in style?
Das Konzept der Abschreckung setzt jemanden voraus, der sich abschrecken lässt.
Putin muss keine Todessehnsucht haben, er will die Welt bestimmt nicht in einen nuklearen Holocaust stürzen, aber es würde reichen, dass er keine Todesangst hat, um die Möglichkeit, das er rs tun könnte, zu einem relevanten Faktor in den Kalkulationen des Westens zu machen.*
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Abstrahierend von allen operativen Bedingungen, die eintreten müssten, damit Russland einen nuklearer Erstschlag durchführen kann. Dutzende von Menschen in der Befehlskette müssten mitmachen, es dürfte keine Last-Minute-Intervention aus der Generalität geben etc.
Siehe oben. Ich bin überzeugt davon, dass die Angst vor der Atombombe, und zwar spezifisch die Vorstellung von der Vernichtung der Welt, das zentrale handlungsleitende Motiv in Scholz’ Handeln ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dem der Amerikaner. Etwas zugespitzt formuliert: Wenn Russland keine Nuklearmacht wäre, hätten die Russen den Krieg in der Ukraine schon längst verloren. Dann wären der Ukraine von Tag eins an Panzer, Artillerie, Flugzeuge, Marschflugkörper, Raketen, Bomben und ggf. Schiffe in den Mengen zur Verfügung gestellt worden, die die Ukraine gebraucht hätte, um die Russen wieder aus ihrem Land zu werfen, und es wären von NATO-Gebiet aus russische Flugzeuge über der Ukraine abgeschossen und russische Schiffe im schwarzen Meer versenkt worden, es wäre möglicherweise die Kertsch-Brücke gesprengt worden etc.
Dass all das nicht stattgefunden hat, liegt meiner festen Überzeugung nach nur daran, dass Putin über den roten Knopf verfügt.
Interessanterweise folgte aus dieser Logik, wenn man sie zu Ende denkt, dass die Ukraine vom Westen niemals die Mittel erhalten wird, die sie braucht, um diesen Krieg zu gewinnen. Denn wenn man davon ausgeht, dass Putin im Falle einer Niederlage in der Ukraine, die zu einem großen Teil auf die militärische Hilfe des Westens zurückzuführen ist, bereit wäre, die Welt nuklear zu vernichten, dann kann der Westen die militärische Hilfe, die die Ukraine zum Sieg führen würde, gar nicht leisten, wenn er dieses Ereignis verhindern will.
Damit wäre dann auch alles Gerede von einer Unterstützung der Ukraine, die ihr zum Sieg verhilft, nur das, nämlich Gerede, weil in Wahrheit genau das zu unterlassen ist.
Meine Theorie erklärt schlüssig das empirische Geschehen auf der politischen und militärischen Ebene im Verhältnis Westen - Ukraine - Russland der letzten zweieinhalb Jahre, aber ob sie richtig ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass irgendjemand irgendwo eine alternative Theorie hat, die das Geschehen ebenso schlüssig erklären kann. Ich möchte hier keinesfalls einen absoluten Wahrheitsanspruch anmelden.
P.S.
Dann mache ich das mal, weil ich es gerade sehe:
Indeed. Genauso ist es. Ein Herrscher einer Nuklearmacht, die mächtig genug ist, mit einem atomaren Erstschlag das Ende der Welt einzuläuten, von dem man nicht mit absoluter Sicherheit sagen kann, dass er diese Waffen außerhalb bestimmter definierter Szenarien nicht einsetzen wird, hat unter diesem Schutzschirm der nuklearen Unsicherheit carte blanche, mit konventionellen militärischen Mitteln so vorzugehen, wie es ihm passt, zum Beispiel Nachbarländer zu überfallen, bei denen dieselbe Unsicherheit nicht besteht (im einfachsten Fall, weil sie selbst keine Atommächte sind).
Eine der unangenehmen Folgen der Atombombe.