Lieber @auracher56, in der Sache widerspreche ich Deinem Urteil gar nicht. Unter dem Strich wäre ich in der gegenwärtigen Situation auch für eine Aussetzung oder Reform der Schuldenbremse so, dass sie ein Anpacken von mehr der aktuell dringend benötigten Investitionen erlauben würde, als dies momentan unter ihrer Geltung möglich ist.
Aber in meinem Beitrag ging es nicht um ein Urteil über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse in der gegenwärtigen Situation, sondern um den Hinweis darauf, dass es gute prinzipielle Gründe dafür und dagegen gibt und die Sache nicht so einfach zu entscheiden ist, wie es sich für uns hier im Forum vielleicht darstellt.
Letztlich ist die Schuldenbremse ein Versuch des Gesetzgebers, gewisse politische Entscheidungen dem Kräftespiel des politischen Tagesgeschäfts zu entziehen, weil er sich selbst nicht traut, diese Entscheidungen unter dem Einfluss dieses Kräftespiels jederzeit angemessen treffen zu können.
Dass so etwas prinzipiell sinnvoll sein kann, dass es z. B. prinzipiell sinnvoll sein kann, dass ein Parlament nicht durch die Aufnahme von exorbitanten Schulden die Handlungsfähigkeit der ihm nachfolgenden Parlamente für Jahre und Jahrzehnte praktisch komplett im Keim ersticken kann, muss man erst einmal begreifen, bevor man über die Schuldenbremse urteilt. Auch dass es die Schuldenbremse für Regierungsparteien grundsätzlich schwieriger macht, sich mit völlig überteuerten Projekten und Programmen ihre Wiederwahl zu erkaufen, ist eine grundsätzlich plausibles Ansinnen. Ich wäre zum Beispiel sehr gespannt, wie das Urteil über die Schuldenbremse hier im Thread ausfallen würde, wenn die AfD nach der nächsten Bundestagswahl an der Macht ein riesiges Remigrationsprogramm oder auch neue Kernkraftwerke schuldenfinanziert aufs Gleis setzen wollte. Ich wette, dann wären plötzlich alle auf Knien dankbar, dass die eine Begrenzung der Verschuldungsmöglichkeit des Gesetzgebers in der Verfassung steht.
Wie gesagt bin ich unter den gegenwärtigen Umständen auch dafür, die Schuldenbremse auszusetzen oder Sondervermögen einzurichten, um die vielen dringend notwendigen Investitionen zu tätigen*, die alleine durch selektive Steuererhöhungen nicht zu finanzieren sind, aber darum ging es in meinem Post nicht.
*aber bitte flankiert von parallelem Bürokratieabbau und Schaffung von langfristiger Planungssicherheit für die Wirtschaft, sonst verpufft das Geld oder kommt gar nicht erst zur Anwendung, weil es nicht ausgegeben werden kann.