SC Freiburg: Wirtschaftlicher Steckbrief vor den Bayern

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Dies ist der achte Artikel in einer inzwischen nicht mehr ganz so neuen Artikelserie, in der wir uns vor jedem Bundesligaspiel der Bayern den kommenden Gegner durch eine wirtschaftliche Brille anschauen wollen.  442 Millionen EUR statt Aufstellung 4-4-2, Hauptsponsor statt Hauptrivale lautet das Motto. Die Meisten kennen die sportlichen Profile…

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Alex, vielen, vielen Dank für die tolle Analyse.

Noch ein paar Ergäzungen, die gerade in Bezug zu Bayern interessant sind: der Transfersommer wurde ähnlich gefeiert wie in München. Doch anders als in München sind VIER Neuzugänge inzwischen Stammspieler (Ginter, Doan, Gregoritsch und Kyereh), eine absolute Traumquote. Im zentralen Mittelfeld setzt man als Ersatz für das Stammduo (Höfler, Eggestein) komplett auf die Jugend (Keitel, Wagner, Röhl). Das ist durchaus riskant, aber ich habe bei Freiburg immer den Eindruck, dass sie lieber niemanden holen, als eine Notlösung. In Bezug auf die Stürmerposition ging Freiburg den umgekehrten Weg der Münchner: spielten sie letzte Saison meist mit keinem klassischen Neuner, holten sie jetzt mit Gregoritsch bewusst einen Zielspieler. Ähnlich wie Lewandowski (natürlich auf deutlich niedrigerem Niveau) ist Gregoritsch ziemlich komplett, und die Möglichkeit auch mal lange Bälle festzumachen, gibt dem Angriffspiel mehr Variabilität. In der Innenverteidigung ist der Tausch Schlotterbeck/Ginter interessant: obwohl Schlotterbeck sicherlich der spektakulärer Innenverteidiger ist (Spielaufbau, Vorstösse), ist Ginter defensiv deutlich solider. Mal abgesehen vom grossen Transferplus (Schlotterbeck 20 Mio, Ginter zum Nulltarif) war der Tausch sportlich auch nicht der befürchtete Downgrade. Gerade mit Hinblick auf die Kimmich-Diskussion finde ich das eine erwähnenswerte Randnotiz. Taktisch passte sich Freiburg letzte Saison noch sehr oft an den Gegner an und wechselte zwischen Dreier- und Viererkette. Diese Saison ist das bisher nicht der Fall: durchgehend 4-2-3-1, vielleicht Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstseins. Ich bin sehr gespannt auf Sonntag: das Spiel ist sowohl für Bayern als auch Freiburg eine kleine Standortbestimmung.

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Lieber @cj76 , ganz lieben Dank für dein Lob und deine lesenswerte Antwort, mit der du ein schönes Schlaglicht auf die sportliche Seite, sozusagen in Verlängerung meiner vornehmlich auf Zahlen und Veränderungen fokussierten Darstellung wirfst.

Über Gregoritschs Leistungssprung haben wir kürzlich ja schon einmal ein anderer Stelle diskutiert, mein Gedanke damals war ja, die Leistung eines Spielers mehr als Kontextprodukt, denn als eine allein in dem jeweiligen Spieler liegende Eigenschaft zu verstehen. Der HSV im Negativen und der SC Freiburg im Positiven sind anschauliche Beispiele für dieses Phänomen, dass Spieler, die bei diesen Vereinen anheuern, systematisch schlechter respektive besser spielen, als Viele es beim Blick nur auf diese Spieler in Isolation eigentlich erwarten würden. Der von dir erwähnte Fall Ginter kann auch als ein Beispiel dafür gelten.

Mich hat bei der Recherche besonders beeindruckt, wie viele Spieler der SC Freiburg Jahr für Jahr aus der eigenen Jugend in die Profimannschaft integriert, und zwar wirklich integriert und nicht nur als Feigenblatt hochzieht, um DFB-Auflagen zu erfüllen oder nominell die Sehnsüchte der Fans zu bedienen. In den letzten 10 Jahren waren es sage und schreibe 31, in manchen Jahren sogar fünf oder sechs auf einmal. Natürlich haben es nicht alle geschafft, sich bei Freiburg durchzusetzen, aber die meisten haben Spielzeit in der Erstligamannschaft bekommen und die überwiegende Mehrheit dieser Spieler hat es in der Folge zu einer Karriere im deutschen Profifußball gebracht (Liga 1 bis 3), womit der SC Freiburg wahrscheinlich die produktivste Jugendausbildungsmannschaft im deutschen Profifußball ist. (Schlotterbeck ist wohl das bisherige Kronjuwel, zumindest was den Verkaufserlös angeht.)

Ich hatte zum SC Freiburg vor meiner Recherche ein ziemlich indifferentes Verhältnis, der Verein hat mich emotional weder positiv noch negativ berührt und auch nicht wirklich interessiert. Über meine Recherche der letzten Tage habe ich ihn aber fast schon lieb gewonnen. Ich kann nicht anders, als tolle Arbeit, die Vernunft, Sachlichkeit und Zielstrebigkeit ausstrahlt, anzuerkennen, wenn ich sie sehe. Die wissen da in Freiburg einfach, was sie tun, und zwar in allen Bereichen.

Die Entscheidung, Cazoo als einen wesentlichen Sponsor des Vereins nicht nur für die Erstligamannschaft, sondern auch für die U23 und die Fußballschule unter Vertrag zu nehmen, war vielleicht der erste uncharakteristische gamble des Vereins, aber hindsight ist always 20/20. Dass der Laden wirtschaftlich plötzlich so derart kollabieren würde, konnten Leki und Co damals wahrscheinlich nicht ahnen und das Angebot von Cazoo war wahrscheinlich finanziell auch sehr verlockend, aber eine großräumige Werbepartnerschaft mit einem 4-jährigen Start-up einzugehen, das im großen Stil mehr Geld einsetzt, als es verdient, um Marktanteile zu gewinnen, ist per se eine risky proposition. Mal gucken, wie sich die Situation von Cazoo und mit Cazoo weiterentwickelt.

Immerhin wird dies wahrscheinlich völlig ohne Auswirkungen für den Fußball bleiben, denn irgendwie habe ich den Eindruck, dass die Freiburger selbst bei einem hypothetischen signifikanten Einnahmenrückgang in nächster Zeit sportlich nicht aus der Bahn fliegen würden. Aus sportlicher Sicht bin ich vor allem gespannt auf den Zeitpunkt, wenn Streich seine Schuhe an den Nagel hängt. Ich wüsste gar nicht, wer auf ihn folgen sollte, dafür habe ich nicht annähernd genügend Kenntnisse über das Innenleben des SC Freiburg, aber das wird auf jeden Fall eine spannende Zeit.

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Es ist unverantwortlich und fast schon naiv Ribe längerfristige Core Sponsoring Partnerschaft mit Cazoo einzugehen.

Passiert einigen Managern immer wieder. Da macht Jung natürlich einen top Job. Bis auf……

Das wird die vielleicht entscheidende Klippe für die Zukunft.
Man kann Freiburg für die Arbeit in den letzten Jahrzehnten gar nicht genug Anerkennung zollen. Als der allmähliche Aufstieg in den 80-ern begann, waren die ja noch nicht mal in ihrer Stadt die Nummer 1.
Aber einen Nachfolger für Streich zu finden wird nicht einfach sein. Nicht nur in sportlicher Hinsicht, sondern auch als die Integrationsfigur schlechthin für den ganzen Verein.

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Aber dieses Problem ist ja quasi immer der „Fluch der guten Tat“ oder der Preis des (langfristigen) Erfolgs und eine Folge der wahnsinnigen Kontinuität. So wie der BVB seit Klopp ein Problem hat, den „richtigen“ Nachfolger zu finden, langjährige Patriachen in Familienunternehmen immer dann besonders schwierig zu ersetzen sind, wenn sie bis zum Ende sehr erfolgreich waren etc. Will sagen: Ja, wird spannend, ja, der wahrgenommene Bruch wird größer als bei Vereinen, die alle 1-2 Jahre den Trainer wechseln, aber das ist doch eher Ausdruck der aktuellen Stärke als etwas Besorgniserregendes.

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Das mit dem Trainer hat Freiburg bisher aber gut geschafft. Nach 16 Jahren Volker Finke kam Robin Dutt, der sich trotz erfolgreicher Arbeit zu B04 begab (dort aber ohne Erfolg). Dann kam tatsächlich auch in Freiburg mal eine Trainerentlassung (Marcus Sorg nach einer halben Saison) und dann war schon Christian Streich an der Reihe.

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Das ist richtig. In eine ähnliche Richtung geht es bei Mainz.
Aber was die Problematik ist: Freiburg muss noch viele solcher guten Entscheidungen in der Zukunft bringen, möglichst unterbrechungsfrei.
Bayern kann auch fünf Trainer in fünf Jahren haben, ohne dass das den sportlichen oder wirtschaftlichen Erfolg irgendwie groß tangiert.
Freiburg könnte sich so was kaum leisten. Zumindest nicht ohne die erreichte Position stark zu gefährden.

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Genau, das wäre das Spannende. Wie würden die Fans reagieren, wenn mal wieder eine 2. Liga Phase käme, die man früher gelassen ausgesessen hat.

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Zur erfolgreichen Integration von Jugendspielern gibt es meiner Meinung vier wesentliche Hauptpunkte: erstens sind die mannschaftstaktischen und individualtaktischen Vorgaben sehr, sehr klar. Hält sich der Spieler konsequant daran kaschiert das funktioniernde System individuelle Schwächen. Das beste Beispiel ist Sildillia, kein Supertalent, aber einer der mit viel Energie und Disziplin seine Stärken auf den Platz bringt. Das Negativbeispiel ist hier Siquet, eins der wenigen für Freiburger Verhältnisse teuer eingekauften Talente, der es taktisch aber nicht auf die Reihe zu bringen scheint. Schwächt ein Spieler das System als Ganzes spielt er unter Streich konsequent keine Rolle, beziehungsweise spielt so lange in der zweiten Mannschaft bis er die Vorgaben verinnerlicht hat (ich würde Streich deshalb auch nicht pauschal als Jugendförderer bezeichnen). Das bringt mich zu Punkt zwei und drei: sehr genau charakterliche Analyse bei der Spielerpflichtung (hat ein Spieler den nötigen Arbeitsethos und Teamgeist) bzw. sehr grosser Wert auf charakterliche Schulung bei Jugendspielern und drittens die von Dir im Artikel beschriebene enge Verzahnung zwischen Profi- und Nachwuchsbereich. Abschliessender Punkt scheint das extrem gute Binnenklima in der Profimannschaft zu sein, auch Neuzugänge berichten immer wieder von der schnellen und guten Integration.

Zum Punkt Cazoo war es wohl so, dass die Auswahl an zahlungskräftigen Hauptsponsoren, die einigermassen zum Verein passen, nicht sehr gross war. Dank der jüngsten sportlichen Erfolge sollte es aber kein Ding der Unmöglichkeit sein, auch eher kurzfristig einen Nachfolger zu finden. Vermutlich wird im Hintergrund schon an einer Lösung gearbeitet.

Die Streich Nachfolge ist schwierig aber auch nicht unmöglich. Es ist nicht wirklich ein System Streich (in Dortmund hing es viel stärker an der Person Klopp), sondern ein System Freiburg. Insofern könnte es auch auf der Trainerposition eine Überraschungslösung geben, jemanden der eher unbekannt ist, aber einfach ins System, in die Kultur passt. Spontan könnte ich mir zum Beispiel einen Pelligrino Matarazzo gut in Freiburg vorstellen.

Damit es hier nicht allzu Friede-Freude-Eierkuchen mässig wird noch zwei Punkte, die mich persönlich manchmal stören: erstens ist Streich kein guter Verlierer und zweitens ist mir Freiburg manchmal zu sehr harmonisches Biotop, das kann auch nerven.

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@cj76: Wow, danke, sehr aufschlussreich. Generell haben deine Kommentare häufig Hand und Fuß. Du wirkst auf mich, als wüsstest du beim Thema Freiburg, wovon du sprichst. Hast du Kontakte in den Club? Wohnst du in der Region? Lebst du nicht in Brasilien?

Streich ist kein guter Verlierer und Streich ist auch nicht immer der emotional distanzierteste Zeitgenosse und es fällt ihm häufig schwer, Abstand vom Geschehen um ihn herum zu gewinnen, aber dann ist Streich auch extrem ehrgeizig, wie eigentlich alle guten Trainer. Ich kann ihm seine Fehler in der Regel verzeihen.

Darüber, welcher Trainer nach Streich wie geeignet für Freiburg wäre, mag ich gar nicht spekulieren. Dazu weiß ich viel zu wenig über den Verein, sein Innenleben und wie es sich dort „anfühlt“. Drei Tage intensives Einlesen können nicht jahrzehntelanges Desinteresse wettmachen. Aber ich glaube schon, dass die Chancen auf Erfolg des nächsten Trainers und seine Verweildauer dort weniger als bei anderen Vereinen von der Person des Trainers und mehr von der Beschaffenheit des Umfeldes abhängen werden, als es wahrscheinlich bei den meisten anderen Vereinen der Fall ist.

Bei keinem anderen Verein, den ich bisher porträtiert habe (gut, es waren erst acht), habe ich so sehr wie bei Freiburg den Eindruck gewonnen, es mit einem „ganzheitlichen System“, einer kohärenten Einheit zu tun zu haben und nicht mit einer Ansammlung von mehr oder weniger lose aufeinander abgestimmten Einzelteilen, die schon bei kleineren inneren oder äußeren Erschütterungen enorme innere Fliehkräfte zu entwickeln tendieren. Sehr stimmig, sehr imponierend.

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Meine Schwester lebte vor 25 Jahren in Freiburg. Damals war ich öfter im Stadion und seitdem verfolge ich den Verein intensiv. Die Pressekonferenzen mit Streich vor dem Spiel (stets 45 Minuten lang) sind sehr interessant. Man lernt ihn als Person im Laufe der Zeit wirklich kennen (er ist da sehr auskunftsfreudig, nur bei taktischen Dingen nicht). Sein Bild vom sozialen Gewissen der Liga wird in den Medien da auch etwas überstrapaziert (von 45 Minuten Pressekonferenz schaffen es immer die zwei Minuten zu Randthemen in die Medien). Streich als Metzgerssohn und Fussballarbeiter, der für sich Kultur, Natur und Intellektuelles entdeckt hat, spiegelt auch ein bisschen wider wie die Region Freiburg an sich wirkt: im Dreiländereck mit Frankreich und der Schweiz, eine ziemlich Randlage in Deutschland (die etwas isolierte geographische Lage ist meiner Meinung nach kein Zufall für die Entwicklung des Vereins) ist das eine Mischung aus studentisch-intellektuell politisch eher grün/links und badisch bodenständig mit Blick auf den Schwarzwald.

Neben den Pressekonferenzen gibt es auch einen Fan-Podcast (spotcast Freiburg), in dem 1,5-stundenlang (!) jedes Spiel und alles darum herum aus Fansicht analysiert wird (den höre ich auch regelmässig, wenn auch nebenbei aufgrund der epischen Länge). Auch hier spürt man die typisch Freiburger Kultur deutlich. Highlight sind Spielerinterviews, in denen auch recht lang Auskunft gegeben wird. Insgesamt gewinnt man bei Freiburg schon deutlich mehr eher ungefilterte Eindrücke als bei einem Weltclub wie Bayern. Der Unterschied im Podcast zeigt das auch ganz gut: auf Miasanrot ist das Ganze schon sehr struktiert auf journalistischem Niveau. Im Spotcast Freiburg wir eher mal einfach darauf los erzählt (nur die Namensspiele erfreuen sich auch gleicher Beliebtheit).

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Du hörst ganz eindeutig nicht die Folgen mit mir. :smile:

Finde deine Leidenschaft für Freiburg (die Stadt und den Club) und vor allem die Person Streich faszinierend. Gefällt mir. Halt mich gerne über aktuelle Entwicklungen bei dem Verein auf dem Laufen, wenn es etwas Außergewöhnliches zu berichten gibt.

Ich wollte eigentlich immer schon mal einen Ausflug nach Freiburg machen, das sollte ich endlich mal umsetzen. Die Stadt muss großartig schön sein.

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Gerne. Wenn Bayern-Freiburg ansteht schreibe ich eigentlich immer etwas. Seit Jahren trifft Freiburg in allen Bereichen gute Entscheidungen. Gibt man denen mehr Geld in die Hand kommt im Normalfall was Gutes dabei heraus. Das neue Stadion ist ein Quantensprung und es spricht vieles dafür, dass Freiburg sich im vorderen Mittelfeld etabilieren kann. Sie haben sich in den letzten Jahren spielerisch auch extrem verbessert. Das ist schon ein besserer Fussball als zum Beispiel Union spielt. Höfler, Eggestein, Grifo, Doan, Kyereh, Ginter, Lienhart und auch Gregoritsch sind alles gute Fussballer, denen man gerne zuschaut. Streich ist ein Pragmatiker, der aber wenn es möglich ist, schon den gepflegten Ball bevorzugt.

Das beste an der Stadt Freiburg war für mich immer, dass man von der Innenstadt mit dem Fahrrad direkt in den Schwarzwald reinfahren kann. Von sowas kann man hier in Brasilien zum Beispiel nur träumen.

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