Geschichte des Frauenfußballs - Lesens-, Hörens-, Sehens- und Wissenswertes

Nach meinem Anti-Kicker-Lehmann-Artikel wird’s Zeit für einen Gegenpost - eine Lanze für den Kicker breche ich mit dem Kicker-Podcast „Verboten gut“ von Isabella Fischer.
Ein absolute Must-Listen-Empfehlung für Freund:innen des Frauenfußballs - und alle, die es werden wollen. Bisher sind zwei Folgen erschienen. Mit diesem Artikel führt der KICKER den Podcast ein:

Zu hören ist der Podcast überall da, wo es Podcasts gibt, unter anderem auf Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer.

Die erste Folge „Das Wunder von Bärbel“ porträtiert zwei ikonische Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs - Lotte Specht (in den 30er Jahren) und Bärbel Wohlleben (in den Sechziger und Siebzigern).
Gut recherchiert, mit vielen Originalquellen und einer beeindruckenden Bärbel Wohlleben (inzwischen 81 und Mitglied der „Hall of Fame des Deutschen Fußballs, die „weibliche Beckenbauer“) im Interview - die erste Folge beleuchtet vor allem die Zeit zwischen WM-Titel 54 bis zum Ende des fünfzehnjährigen DFB-Verbotes im Jahre 1970.

Wohlleben war 1969 Mitglied der ersten Frauen-Fußball-Mannschaft TuS Wörrstadt während des DFB-Verbotes und gewann 1974 die Deutsche Meisterin des „Damenfußballs“. Mit ihrem 3:0 im Finale gewann sie die Wahl zum „Tor des Monats“ - als erste Frau Deutschlands.
Nachdem der DFB am 31. Oktober 1970 in Travemünde auf seinem Verbandstag das Frauenfußballverbot aufgehoben hatte, konnte endlich auch im Frauenbereich in und mit offiziellen Rahmenbedingungen gearbeitet werden.
Aber noch waren Häme und Spott der Männerwelt der Haupttenor, wenn’s um Frauen und Fußball geht…

Ich (aber das wisst ihr vermutlich schon) hatte mehrfach feuchte Klusen beim Hören.

In diesem Thread soll Raum sein für alles aus der Geschichte und Entwicklung des Frauenfußballs - was sicher und hoffentlich auch zu überschneidenden Themen und Diskussionen wie z.Bsp. Frauenrechte, Gleichberechtigung (Equal Pay), Emanzipation und Frauenbewegung, Sexismus im Sport, führen kann - Pluralismus erwünscht. Aber mein Hauptinteresse ist hier schon das Sammeln und Diskutieren von Dokumenten der Zeitgeschichte des Frauenfußballs.
Wo Zeitgeschichte endet und Gegenwart endet? Das wird jedeR unterschiedlich beurteilen. Weil ich gerade die ZDF-Doku „Born for this“ nachhole, würde ich persönlich keine Grenze setzen.

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Die zweite Folge portraitiert und Hannelore Ratzeburg und Petra Landers.
Und erzählt Geschichten des deutschen Frauenfußballs zwischen 1970 und 1989.

Hannelore Ratzeburg war die erste Frau, die in den 70ern den DFB-Vorstand aufmischte: Ihr verdankt der Frauenfußball die Durchsetzung eines eigenen Pokalwettbewerbs und die Gründung der Frauen-Nationalmannschaft 1982.
Außerdem sorgte sie 1988 im Alleingang dafür, dass Deutschland im Folgejahr seine erste Frauen-EM veranstaltete.

Petra Landers war Teil der ersten Europameisterinnen-Elf von 1989. Im Halbfinale der Heim-EM spielte sie trotz Kreuzbandriss durch - 4:3 im Elfmeterschießen nach Verlängerung gegen Italien. Die Kreuzband-OP verschob Landers, um die EM nicht zu verpassen. Beim Finale musste sie mit Tränen in den Augen von der Bank aus zusehen, wie ihre Kolleginnen vor 23.000 Zuschauer:innen im ausverkauften Stadion in Osnabrück mit 4:1 den Titel holten.
Ihre Kolleginnen u.a.: Martina Voss. Silvia Neid. Doris Fitschen. Die Torschützinnen Heidi Mohr und Ursula Lohn.
Das Finale wurde erstmals live im Fernsehen übertragen.

Die Folge wirft ein Schlaglicht auf die Geringschätzung, die den Pionierinnen in den 70er und 80ern begegnete - und zitiert auch aus den sexistischen Kicker-Artikeln oder Kommentaren des Aktuellen Sportstudios (trauriger Negativheld Wim Thoelke) der damaligen Zeit.
Und Isabella Fischer erzählt (viel zu kurz) die Geschichte der SSG Bergisch Gladbach, die zur ersten (inoffiziellen) Frauen-WM 1981 in Taiwan eingeladen - und Weltmeisterinnen wurden!
Im Team: Petra Landers.

Die Frauen finanzierten ihre Reise komplett selbst - und sammelten Spenden u.a. mit Waffelverkäufen bei Spielen. In Taiwan spielten die Frauen 9 Spiele in elf Tagen - verloren kein Spiel, und nach dem 1:0 im Finale gegen den Verein Rotterdam waren sie zu erschöpft, um zu jubeln.
In ihrer Heimat Bergisch Gladbach wurden die Weltmeisterinnen gefeiert. Darüber hinaus wurden die Frauen in Deutschland vollständig ignoriert - vor allem und auch vom DFB.

Acht Jahre später griff der DFB für seine Europameisterinnen tief in die Tasche - jede Frau erhielt ein Kaffeeservice.
Petra Landers kommentiert: „Hätten die uns das vorher gesagt, das wir ein Kaffeeservice als Belohnung bekommen - ich glaub nicht, dass wir uns so reingehauen hätten (und lacht). Wahrscheinlich haben die kurz vorm Finale noch jemand losgeschickt, um fix was für die Mädels zu kaufen - was anderes möchte ich mir gar nicht vorstellen (und lacht wieder).“

Der Kicker formulierte: „Deutschlands Fußballerinnen haben ihr bisheriges Mauerblümchen-Dasein abgeschüttelt. Selbst die Männer kommen nicht mehr nur ins Stadion, um sich am attraktiven Äußeren der Spielerinnen zu erfreuen. Sie wollen guten Fußball sehen, und bekommen ihn auch geboten.“

Verglichen mit Wim Thoelke 19 Jahre zuvor, war das schon ein revolutionär-feministisches Manifest!

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Bei Wohlleben fällt mir ihre „Nachfolgerin“ Beverly Ranger ein. Ihr gelang ein Jahr später ebenfalls ein Tor des Monats. Wenn ich mich recht erinnere wurde es auch die Nr.2 beim Tor des Jahres.

Wie in dem Artikel erwähnt, war sie sicher der erste Star des deutschen Frauenfußballs, vor allem auch dank dieses Tores. Natürlich auch insgesamt eine interessante Vita.

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Dies ist zwar kein Dokument der Zeitgeschichte, sondern „nur“ eine persönliche Erinnerung, aber ich sag’s mal wie die Live-Kommentare bei mindestens jedem zweiten Distanzschuss: „warum eigentlich nicht?“ :wink:

WM 2003, wieder mal in den USA, wohin die eigentlich nach China vergebene WM wegen des dort grassierenden Sars-Virus verlegt worden war (hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel). Das deutsche Team, zuletzt mehrfach in Folge Europameisterin, kam gut durchs Turnier, war aber im Halbfinale in Portland gegen die übermächtigen USA mit der Weltfußballerin Mia Hamm keineswegs favorisiert. Mitten in der Nacht wachte ich aus irgendeinem Grund auf, dachte plötzlich: „Mensch, jetzt läuft wohl gerade das HF, ich guck mal rein.“ Die damals noch vollzählige Familie störte ich nicht, denn ich schlief wegen irgendwas Gesundheitlichem gerade im Gästezimmer. Und so sah ich eine (letzte) halbe Stunde lang mein erstes Live-Spiel der Frauen. Überraschenderweise führte Deutschland mit 1:0, war aber natürlich mächtig unter Druck. Wikipedia kommentiert:

„Die deutsche Mannschaft setzte ihren Siegeszug im Halbfinale fort. Der amtierende Weltmeister im Frauenfußball, die USA, wurde mit einem 3:0 entthront. Nach dem Führungstor durch Kerstin Garefrekes (15.) stand es lange Zeit 1:0. Erst in der Nachspielzeit der zweiten Halbzeit sorgten Maren Meinert und Birgit Prinz mit einem Doppelschlag für den Endstand. Das Spiel wird unter Experten als das beste Frauenfußball-Spiel der Geschichte angesehen.“

Neben Mia Hamm spielte auch die junge Abby Wambach, später ebenfalls Weltfußballerin. Und auf der anderen Seite Birgit Prinz, am Ende des Jahres wie in den beiden folgenden genauso hoch dekoriert. Torschützin Maren Meinert ist heute Co-Trainerin des A-Teams. Im Finale gegen Schweden erzielte dann Nia Künzer, heute DFB-Sportdirektorin, per Kopf das ikonische Golden Goal zum Gewinn des ersten WM-Titels.

In dieser spannenden halben Stunde hatte ich das Gefühl, gerade etwas Großes zu erleben. Und das war es, auch im Rückblick.

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