Den Vergleich finde ich wenig hilfreich und subjektiv, wenngleich naheliegend.
Ich hatte es schonmal pointiert so beschrieben:
Wo Nagelsmann das Chaos wählte, sucht Tuchel die Struktur.
Daher kann der Eindruck entstehen, dass das Offensiv-Spiel unter Nagelsmann kreativer und attraktiver war. Allerdings haben wir alle ja auch den Preis dafür gesehen - eine Vielzahl von Kontern des Gegners bei sich auflösenden Defensiv-Strukturen unsererseits. Da das Spiel unter Tuchel wesentlich geordneter ablaufen soll, wirken die Offensiv-Aktionen etwas schematischer. Die Umstellungsphase des mehrere Jahre verankerten Stils dauert noch an, neue Spieler (zuvorderst natürlich Kane) kommen hinzu.
Auch wenn man für die zwei ersten Tore gestern etwas Glück brauchte, so waren die zugrunde liegenden Spielzüge doch erwähnenswert, weil sie auf klaren Strukturen basierten: beim Eins-Null brach Gnabry aus dem Sechzehner heraus und suchte dann den tiefen Ball auf Sane, beim Zwei-Null wurde der Ball schnell um den Sechzehner bewegt, bis eine Schuss-Position entstand. Beides wirkte deutlich einstudiert, was meines Erachtens bedeutet, dass es weniger auf reine individuelle Klasse ankam, sondern wiederholbar und häufig abrufbar ist. Auf Dauer halte ich das für erfolgversprechender (nicht unbedingt attraktiver).
Auch das Drei-Null war ein logischer Spielzug, der sich aus den Stärken der jeweiligen Spieler ergibt: der Speed und die Wendigkeit bei Coman und Davies, sobald der Gegner etwas höher presst, und die Abschluss-Stärke von Kane.
Insgesamt kann ich verstehen, dass sich Tuchels Ansatz nicht bei allen beliebt macht. Ich denke aber: mit zunehmender Dauer kann sich das bezahlt machen. Das Gegentor zeigte obendrein, dass Tuchel bezüglich der Risiken alter Verhaltensmuster zuzustimmen ist, wenn er den stabilisierenden Ansatz wählt (war ja auch im Supercup zu sehen). Dabei halte ich es für nicht ehrenrührig, sich auch auf einen Gegner vom Kaliber Augsburg einzustellen - im Unterschied zu Äußerungen aus anderen Threads bin ich der Meinung, dass Gegner-Anpassung heutzutage obligatorisch ist. Egal, wie gut er ist. Es wäre ja wahrhaft dämlich, den Augsburgern genau die Fläche zu liefern, auf der sie ihre (eingeschränkten) Stärken ausspielen können.
Vielleicht noch eins zum Spiel-Stil:
Ich denke, wir alle müssen uns von der Vorstellung verabschieden, mit diesem Team Fußball a la ManCity zu kreieren. @solari und andere machen die Probleme ja immer wieder am Kader fest respektive der mangelnden Qualität; womit sie richtig liegen, ist, dass man mit den bestehenden Spielern keine hochwertige Ballzirkulation herstellen kann, selbst wenn sich das Positionsspiel noch verbessert. Aber Gnabry, Coman, Sane und das restliche MF defensiv sind alle keine Pass-Monster, sondern haben andere Stärken, und hier bin ich auch anderer Meinung zu den Kollegen aus dem Forum: die Qualitäten im Eins-Gegen-Eins, der Speed sind schon höchstes Niveau, auch europaweit. Wenn dann noch Davies von hinten mit anschiebt, bekomme ich schon mittlerweile den Eindruck, dass wir sehr bewusst etwas tiefer spielen und weniger dominant im Sinne von Dauer-Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte.
Wo ich dem Artikel zustimme, ist ausdrücklich der fehlende Druck auf den Gegner in den defensiven Räumen. Exemplarisch beim Gegentor, aber schon gegen Leipzig, auch gegen Bremen und auch gestern dürfen mir die anderen zu locker kombinieren, auch schon in gefährlicheren Räumen. Es ist vollkommen klar, dass stärkere Gegner dann genau das draus machen, was RB im Supercup eben gemacht hat. Also ist auch da noch genügend Luft nach oben.
Zweifel am gesamten Ansatz habe ich aber bisher nicht.